[Wichtigkeit der Unterscheidung von Beschränktheit und Schwachsinn. Die Kriterien der Dummheit auch für den Schwachsinn gültig. Die Intensität der intellektuellen Mängel nicht immer für die Unterscheidung ausschlaggebend.]


In praktischer Hinsicht ist die Unterscheidung der Dummheit vom pathologischen Schwachsinn von besonderer Wichtigkeit. Es erhellt dies ohne weiteres aus der zivil- und strafrechtlichen Bedeutung des Schwachsinns. Der normale Beschränkte besitzt trotz seiner intellektuellen Minderwertigkeit volle Geschäftsfähigkeit im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches und ist auch strafrechtlich wie jeder besser begabte geistig Normale verantwortlich. Der Schwachsinnige kann dagegen durch Entmündigung in seiner Geschäftsfähigkeit in weitgehendem Maße beschränkt werden und seine strafrechtliche Verantwortlichkeit (Zurechnungsfähigkeit) ist vermindert1) oder ganz ausgeschlossen. Die Entscheidung, ob es sich in einem gegebenen Fall noch um normale Beschränktheit oder um pathologischen Schwachsinn handelt, ist daher für das Individuum und seine Familie unter Umständen von größter Tragweite, stößt aber häufig, wie schon erwähnt wurde, namentlich soweit die leichtesten Formen des Schwachsinns in Betracht kommen, auf große Schwierigkeiten.

Die Dummheit ist ein Zustand, der weder stets gleich ausgeprägt ist, noch sich von den übrigen Begabungsgraden scharf absondert. In praxi begegnen wir ungemein vielen Abstufungen der Dummheit; die schwächsten Nuancen derselben gehen unmerklich in die Durchschnittsbegabung, die höheren Grade derselben ebenso in den Schwachsinn über. Aus dieser Sachlage erklärt es sich, daß wir keinen Kanon für die normale Intelligenz besitzen und die von uns für die Dummheit angeführten Kriterien nicht zu deren Unterscheidung vom Schwachsinn sich verwerten lassen, da dieselben auch für letzteren zutreffen. Man könnte nun zunächst daran denken, und theoretisch scheint diese Annahme auch gerechtfertigt, daß die Intensität der in Frage stehenden intellektuellen Mängel den Ausschlag geben müsse. In der Tat finden sich auch bei den mittleren und höheren Graden des Schwachsinns diese Mängel in ganz besonderem Maße ausgeprägt. Für die Unterscheidung der leichtesten Formen des Schwachsinns von der normalen Beschränktheit erweist sich jedoch der Grad der intellektuellen Minderwertigkeit allein als unzulänglich. In diesem Umstand sind die in der psychiatrischen Literatur überall hervorgehobenen Schwierigkeiten begründet, mit welchen die Beurteilung dieser Grenzfälle verknüpft ist — Schwierigkeiten, die in gerichtlichen Fällen nicht selten zu erheblichen Meinungsverschiedenheiten unter den Sachverständigen führen.

 

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1) Die verminderte Zurechnungsfähigkeit besteht bei uns vorerst allerdings nur in der Theorie, gesetzlich ist sie noch nicht anerkannt.


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