[Die sagenhaften Narrheitsherde Böotien, Brabant, Abdera, Megara, Schilba, Schöppenstädt, Weilheim.]


Die Frage, ob an der von altersher behaupteten Lokalisation der Dummheit an einzelnen Orten etwas Wahres ist, kann hier nur kurz berührt werden. Im Altertum galten die Böotier als ein bäuerlich ungeschlachtes, stumpfsinniges Volk, dem jeder Sinn für höhere Interessen mangelte. Ihre geistige Artung bildete für die Athener vielfach einen Gegenstand des Spottes. Wieviel von dieser ungünstigen Beurteilung der Wahrheit entsprach, muß dahingestellt bleiben. Über die geistige Qualität der Brabanter kursierten in früheren Jahrhunderten ähnliche Anschauungen, wie über die Böotier im Altertum. Erasmus erwähnt, daß die Bewohner Brabants mit den Jahren nicht an Verstand, sondern an Torheit zunehmen, gibt aber keine Aufklärung darüber, auf welche Tatsachen sich diese Annahme stützt.

Bei uns wird den Schwaben nachgesagt, daß sie erst mit 40 Jahren klug werden, und den Mecklenburgern ihr Wappentier gelegentlich als Symbol ihrer geistigen Qualität vorgehalten, während die Sachsen andrerseits als "helle" gelten. Es verlohnt sich nicht, auf diese wenn auch schon alten, doch wohl nur scherzhaften Nachreden einzugehen. Interessanter ist der Umstand, daß man vom Altertum bis in die Neuzeit einzelne Städte als besondere Herde von Dummheit oder Narrheit betrachtete. Im Altertum war es Abdera, dessen Einwohner sich durch einen außergewöhnlichen Grad von Einfältigkeit ausgezeichnet haben sollen und deshalb den Gegenstand des allgemeinen Spottes bildeten. Man wollte auch die Ursache dieser Stupidität ergründet haben und schrieb dieselbe bald dem Klima des Ortes, bald dem Wasser zu. Die Zahl der amüsanten Narrheiten, die man den armen Abderiten zuschrieb, ist Legion, und Wieland hat diesen Stoff in seinem Werkchen "die Abderiten" mit köstlichem Humor verwertet. Geschichtliche Forschung hat jedoch nichts ergeben, was als genügender Grund für den Ruf Abderas betrachtet werden könnte.

Gleich den Abderiten galten auch die Megarenser als Vertreter lächerlichen Pfahlbürgertums; welche Torheiten man ihnen zuschrieb, hiefür liefert Aristophanes ein Beispiel, der in den "Acharnern" einen Megarenser auftreten läßt, der, um seine Vermögensverhältnisse zu bessern, seine beiden Töchter als Schweine verkleidet auf den Markt bringt, und die eine derselben für ein Bündel Knoblauch, die andere für ein Mäßchen Salz verkauft.

Die Neigung, die Einwohner gewisser Orte als Vertreter besonderer Beschränktheit darzustellen und ihnen die törichtsten Streiche zuzuschreiben, hat sich vom Altertum bis in die Gegenwart erhalten. Was da und dort von obrigkeitlicher Seite oder einzelnen Bürgern an Lächerlichkeiten kleinstädtischen Charakters verübt wurde, übertrug man in phantastischer Ausschmückung und Übertreibung auf gewisse Orte, deren ehrsame Bürger zu derartigen Nachreden keinen besonderen Anlaß gaben. Dies gilt in Deutschland für Schilda und Schöppenstädt, die ohne triftigen Grund in den Ruf kamen, Sitz einer endemischen Narrheit zu sein. Was man speziell den Schildbürgern seit dem Erscheinen des Laienbuches (1597) andichtete, sind so tolle Streiche, wie sie nur die Phantasie eines Schwankdichters, nicht aber der nüchterne Unverstand beschränkter Spießbürger aushecken kann.

In Bayern genießt das Städtchen Weilheim den Ruf, eine Nebenbuhlerin des sächsischen Schilda und des hannoverschen Schöppenstädt zu sein. Man spricht von "Weilheimer Stickein", wenn man Akte besonders einfältiger Kleinstädterei bezeichnen will, doch liegt auch diesem Rufe meines Wissens nichts Positives zugrunde.

Die Italiener verlegen, wie Weber in seinem "Demokritos" erwähnt, die Abderitenstreiche nach Bergamo, die Franzosen in die Normandie oder Garonne, die Engländer nach Gotham in Nottinghamshire. Auch außerhalb Europas mangelt es nicht an Orten, die im Ruf stehen, die Traditionen des alten Abdera übernommen zu haben. Dies gilt z. B. im Orient für die Ortschaft Halbun bei Damaskus. Die Streiche, die man von den Halbuniern erzählt, erinnern jedoch zu sehr an die von den Schildaern und Schöppenstädtern berichteten Schwänke, als daß man etwas Tatsächliches hinter denselben vermuten dürfte1). Wenn nun auch Abdera, Schilda und andere Städte unverdientermaßen zu dem Ruhm gelangten, daß die Torheit innerhalb ihrer Mauern sich zu besonderer Blüte entfaltete, so ist doch kein Zweifel darüber, daß es an zahlreichen Orten Abderiten oder Schildbürger gab und noch gibt. Noch immer gilt, was Wieland über die Abderiten am Schluss seines berühmten Werkchens in seiner satirischen Weise bemerkt: "Diese leben und weben noch immerfort, wiewohl ihr ursprünglicher Wohnsitz längst von der Erde verschwunden ist. Sie sind ein unzerstörbares, unsterbliches Völkchen; ohne irgend einen festen Sitz zu haben, findet man sie allenthalben, und wiewohl sie unter allen Völkern zerstreut leben, haben sie sich doch bis auf diesen Tag rein und unvermischt erhalten."

 

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1) Wir wollen hier nur zwei derselben nach R. Andrée anführen: Einmal wollten die Halbunier einen Berg abseits rücken, weil er ihnen die Sonne entzog. Sie banden Stricke um ihn und zogen mächtig, bis diese zerrissen und sie einen bösen Fall taten. Einst wollten sie eine Republik gründen. Sie scheiterten aber daran, daß nicht genug Männer im Dorf waren, um alle Staatsämter zu besetzen, die man schaffen wollte.


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