§ 63. Das Prinzip der objektiven Gewißheit und Erkenntnis


»Da ich gewiß bin«, fährt Descartes fort, »daß Gott ist das unendliche Wesen, das alle Perfektionen in sich enthält, so bin ich auch gewiß, daß Gott mich nie täuscht und betrügt; denn die Täuschung, der Betrug ist eine Unrealität und kann daher als solche Gott, dem absolut Reellen, nicht zukommen.« (Medit. IV) »Er ist vielmehr die höchste Wahrhaftigkeit, die Quelle alles Lichtes. Es ist daher ein Widerspruch, daß er die eigentliche oder positive Ursache unserer Irrtümer ist. Es ist also notwendig, daß das Licht der Natur oder das uns von Gott gegebene Erkenntnisvermögen nie ein Objekt erfassen kann, das nicht wahr ist, insofern es erfaßt wird, d. i., insofern es klar und deutlich erkannt wird. Denn Gott würde mit Recht ein Betrüger genannt, wenn er ein Erkenntnisvermögen uns gegeben hätte, das verkehrt wäre und Falsches für Wahres ergriffe. Es schwindet daher jetzt der frühere Zweifel, der in mir deswegen entstand, weil ich nicht wußte, ob ich nicht vielleicht eine solche Natur hätte, die mich selbst im Evidentesten täuschte.« (»Princ. Phil.«, P. I, § 29, 30) »Durch die Gewißheit von der Realität und Wahrhaftigkeit Gottes werde ich darum jetzt auch gewiß, daß materielle Dinge existieren; denn die Vorstellungen von den materiellen Dingen produziere ich nicht aus mir selbst, sie entstehen im Gegenteil oft wider meinen Willen und ohne daß ich dabei mittätig bin, ich sehe vielmehr klar ein, daß sie von den Dingen selbst herkommen; Gott würde mich daher täuschen, wenn sie anderswoher als von den Dingen in mich kämen, und es existieren folglich materielle Dinge. Ebenso werde ich nun auch gewiß, daß ich mit einem Körper eng verbunden bin. Die Gewißheit aller Erkenntnis hängt daher allein von der Erkenntnis Gottes ab, so daß man, ehe man Gott kennt, nichts vollkommen wissen kann.« (Medit. VI u. IV)

Der Geist hat sich also wohl in dem Bewußtsein Gottes aus dem Standpunkt der bloßen Selbstgewißheit zum Bewußtsein der Wahrheit und Unendlichkeit erhoben, aber er kommt doch nicht über sich hinaus; denn das Bewußtsein von Gott ist selbst wieder nur die Gewißheit seiner selbst, Gott ihm nur die Bestätigung und Bewährung dessen, was ihm aus ihm selbst gewiß ist, nur die Garantie, daß das, was er klar und deutlich einsieht, wahr ist. »Non dubium est, quin Deus sit capax, ea omnia efficiendi, quae ego sic percipiendi sum capax, nihilque unquam ab illo fieri non posse judicavi, nisi propter hoc, quod illud a me distincte percipi repugnaret.« (Medit. VI, p. 35) Bei Descartes hat also schon Gott, in dieser Beziehung wenigstens, dieselbe Bedeutung, die er fast überall in der neuern Zeit erhielt, nur mit dem großen Unterschied, daß bei Descartes Gott die Affirmation des denkenden Geistes ist, während er nachher die Bedeutung bekam, nur die Bestätigung, die Affirmation der subjektiven Herzenswünsche zu sein.


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