§ 57. Entwicklung des Cartesianischen Satzes:
Cogito ergo sum

 

Ich denke, also bin ich; dies ist gewiß, dies ist unerschütterlich wahr. Aber was ist denn mein Denken, was dieses mein Sein in diesem: Ich denke, also bin ich?101) Mein Denken ist auf keine sinnlichen oder geistigen Objekte gerichtet und durch die Richtung auf sie bestimmt, es hat keinen von mir unterschiedenen Gegenstand, er sei, welcher er wolle, zu seinem Objekte; mein Denken ist nicht ein Denken, vermittelst dessen ich Gegenstände erkenne, das Denken der Erkenntnis. Denn von allen Objekten habe ich meinen Geist abgezogen, sie alle aufgegeben. Was ist also mein Denken auf diesem Standpunkt wenigstens, wo ich jetzt stehe? Nichts als das Zweifeln, als das Annehmen, es existiere nichts als eben dieses Mich-Unterscheiden und Abziehen vom Körper und allem Körperlichen, als das Verneinen seiner Realität.102) Was ist aber mein Sein, indem ich sage: Ich denke, also bin ich? Heißt dies wohl: Also bewege ich mich, esse, trinke, kurz, ich verrichte Funktionen, aus denen man sonst im Leben beurteilt und schließt, ob einer ist oder nicht ist? Oder ich bin überhaupt da in dieser sinnlichen Welt? Ich finde mich im Zusammenhang der wahrnehmbaren Dinge, wornach man sonst bemißt, ob etwas ist oder nicht? Es ist kein Ort da, wo, keine Zeit, in der ich wäre, es sind keine Gegenstände, kurz, es ist keine sinnliche Welt da, in Zusammenhang mit welcher ich stünde, kein Leib, den ich bewege oder mit dem ich esse oder trinke; denn von allen sinnlichen Dingen habe ich abstrahiert, sie von mir entfernt, sie als falsch und ungewiß verworfen. Wie kann also das Sein in dem »Cogito ergo sum« die Bedeutung dessen haben, was ich als unreell setze, was ungewiß ist, das Sein, das mir das unbezweifelbar Gewisse ist? Kann mein Sein vom Denken unterschieden oder abgesondert sein? Wenn das Sein vom Denken unterschieden wäre, welches das von mir Unabsonderliche103) und Unentreißbare, das einzig und ausschließlich, das absolut mit mir Identische ist, so gehörte auch mein Sein in die Klasse des von mir Abzutrennenden, des zu Bezweifelnden, es wäre mir ungewiß, es, das doch das Gewisseste, das Unbezweifelste ist104), es wäre von mir absonderlich; aber wie könnte das Sein von mir absonderlich sein? Es wäre ja dann ein sinnliches Sein, ein sinnlich Gegenständliches, aber alles Sinnliche habe ich schon als ein Ungewisses von mir entfernt. Daß ich denke, das Denken, kann ich nicht bezweifeln; denn das Zweifeln selbst ist Denken, aber ebensowenig kann ich zweifeln, daß ich bin; denn indem ich denke, bin ich. Ein Unterschied zwischen meinem Denken und Sein ist undenkbar, mein Denken ist mein Sein, es ist ganz eins mit ihm. Ich mag nun vom Sein anfangen und zum Denken übergehen oder vom Denken anfangen und zum Sein übergehen, ich erkenne immer ihre Einheit. Ist denn das Sein etwas von mir Unterschiedenes wie ein Körper, ein Objekt, kann ich es von mir wegnehmen, so daß ich noch übrigbleibe, wenn mein Sein weg ist, gleichwie ich alles andere von mir wegnehmen kann und doch ich noch übrigbleibe? Ist denn nicht eben gerade das Sein das von mir nicht Wegdenkbare, das, wovon ich nicht abstrahieren kann? Ist es nicht das mit mir unmittelbar Identische, das Unabsonderliche von mir? Es ist also eins mit dem Denken, denn nur das Denken ist mit mir eins, ich bin (als Geist natürlich) nicht, wenn ich nicht denke. Ebenso, wenn ich vom Denken anfange, erhalte ich dieselbe Gewißheit von seiner Einheit mit dem Sein. Denn ist mein Denken nicht ein Bezweifeln der Realität der Dinge, der Objekte überhaupt, namentlich aber der körperlichen, d. i. ein Unterscheiden und Abstrahieren von ihnen, ein Ausscheiden dessen, was nicht mein ist, nicht mir gehört, ein Anderes Unterschiedenes ist? Beziehe ich mich aber nicht gerade indem ich mich so unterscheide und abziehe, auf mich selbst, versichere mich meiner selbst? Ist dieses Denken nicht gerade eben die Position, die Bejahung meiner selbst, also mein Sein? Erkenne ich mich nicht unmittelbar in diesem Denken als Denkendes? Erkenne ich nicht dadurch, was ich bin? Bin ich nicht in diesem Mich-Unterscheiden von allem von mir Absonderbaren und Unterschiedenen meiner bewußt? Ist aber nicht dieses Bewußtsein, dieses im Unterschiede von anderm mich selbst bejahende Denken die gewisseste Gewißheit meiner selbst, das ununterscheidbar und unabsonderlich mit mir Eine und als dieses unabsonderlich mit mir Eine mein schlechthin Unbezweifelbares, mein absolut Unmittelbares, mein Wesen, mein Sein?105)

Zur Erläuterung dieses Paragraphs ist noch folgendes zu bemerken: 1. Descartes sagt ausdrücklich, daß er unter dem Denken nichts als das Bewußtsein verstehe (d. i. eben das im Zweifeln, im Unterscheiden sich selbst oder den Geist bejahende, nicht auf ein Objekt, sondern auf sich gerichtete und bezogene Denken); »cogitationis nomine intelligo illa omnia, quae nobis consciis in nobis fiunt, quatenus eorum in nobis conscientia est«. Es ist daher nach ihm der Verstand, der Wille, die Einbildung, ja selbst das Gefühl eins mit dem Denken: »Atque ita non modo intelligere, velle, imaginari, sed etiam sentire idem est hic quod cogitare«. (»Princ. Phil.«, P. I, § 9) Denn auch Verstand, Wille, Vorstellung, ja Gefühl ist Bewußtsein, auch in ihnen bin ich meiner selbst gewiß, auch in ihnen bejaht; auch selbst im Fühlen bezweifle ich sozusagen die Existenz der sinnlichen Objekte, d. i., unterscheide und abstrahiere ich mich von den sinnlichen Dingen und nehme in diesem Unterscheiden mich als ein Reelles, mich selbst wahr, bin meiner selbst und meiner Realität im Unterschied von anderem gewiß. Auch im Vorstellen, im Fühlen bin ich in derselben Unabsonderlichkeit von mir, in derselben Einheit mit mir, d. i. in derselben Selbstgewißheit, wie im Denken. 2. Das »Cogito ergo sum« ist kein Schluß, wie einige bisher meinten; vielmehr kann gar nichts vorgestellt werden, was mehr dem Sinn desselben und den Gedanken wie den ausdrücklichen Worten sogar des Descartes zuwider wäre als die Meinung, daß es ein Schluß sei. Descartes sagt nämlich ausdrücklich: »Cum autem advertimus, nos esse res cogitantes, prima quaedam notio est, quae ex nullo syllogismo concluditur, neque etiam, cum quis dicit: ego cogito, ergo sum sive existo, existentiam ex cogitatione per syllogismum deducit, sed tanquam rem per se notam simplici mentis intnitu agnoscit, ut patet ex eo, quod si eam per syllogismum deduceret, novisse prius debuisset istam majorem: illud omne, quod cogitat, est sive existit, atqui profecto ipsam potius discit ex eo, quod apud se experiatur, fieri non posse ut cogitet, nisi existat.« (Resp. ad II. Obj., p. 74. Vergl. auch »R. de C. ad C. L. R. Ep.«, p. 143, und »Epistolarum« P. III, Ep. 114) Auch Spinoza in seiner Darstellung der Cartes. Philosophie bemerkt ausdrücklich, daß es kein Schluß sei. (»Princip. Phil. Cart.«, P. I, S. 4) Gemäß seiner schon gerügten Inkonsequenz, die man aber wohl ihm als einen Anfänger der Philosophie nicht verargen wird, seiner Unbeholfenheit in den Darstellungen und Ausdrücken seiner Gedanken braucht allerdings auch hier Descartes ungeschickte, leicht irreführende Ausdrücke, z.B. wenn er sagt (Medit. III) »ex eo, quod dubitem, sequatur me esse et similia«. Ein ebenso ungeschickter Ausdruck, indem Descartes seinem eignen wahren Gedanken widerspricht oder ihn doch entstellt, ist es, wenn er zu der Behauptung, daß wenn wir auch alles bezweifeln und annehmen, daß nichts existiere, doch deswegen nicht zweifeln können, daß wir, die wir solches denken, existieren, die Bemerkung hinzusetzt: »repugnat enim, ut putemus, id quod cogitat, eo ipso tempore, quo cogitat, non existere«. (»Princ. Phil.«, P. I, § 7) Die Inkonsequenz dieser Stelle, die auch darin noch liegt, daß er die Zeitvorstellung mit hineinmischt, die ganz unwesentlich ist, braucht wohl nicht erst einem denkenden Leser gezeigt zu werden.

 


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