§ 42. Jakob Böhmes Bedeutung für die Geschichte der Philosophie

 

Die Geschichte des denkenden Geistes führt uns jetzt von den vornehmen, von außen glänzenden und imponierenden, von innen aber ziemlich unbefriedigenden Palais der hochberühmten Ahnherrn des Empirismus in die von außen so schlechte und verächtliche, im Innern aber Schätze bergende Hütte des Görlitzer Schusters Jakob Böhms, der von der sonst allgemein geltenden Regel: Ne sutor ultra crepidam, eine glänzende Ausnahme macht und faktisch beweist, daß der Geist der Geschichte, der allgemeine Geist, allein der Geist des Menschen ist und ohne Ansehung der Person, des Ranges, der Geburt, der äußerlichen Mittel die Individuen aus dem Staube und Dunkel der Verborgenheit hervorzieht und zu seinen Organen, zu Verkündern seines Wesens macht, daß die geschichtlichen Ideen wie unterirdische Quellwasser auch aus Stellen hervorbrechen, wo man es am allerwenigsten erwarten sollte, aus Individuen, die nicht durch die sonst unerläßliche, durch Bildung und Sprachkenntnis bedingte Lektüre in- und ausländischer Journale, sondern nur durch Hörensagen oder höchstens die Dorfzeitung Notiz von dem bekommen, was in der Geisterwelt vorgeht, die daher auch dem, der solche Individuen nicht im Zusammenhange mit der Geschichte betrachtet, als Mirakel erscheinen und denen selbst ihre eigenen Ideen, weil sie nicht wissen, wie sie dazu kommen, weil sie sich selbst ein Rätsel sind und über sich erstaunen, als Offenbarungen, Eingebungen oder Erleuchtungen, was sie allerdings auch in einem gewissen Sinne sind, vorkommen.72)

Jakob Böhme ist ein Mystiker, wenn man anders dieses so unbestimmte und in neuerer Zeit so herabgewürdigte Wort zur Bezeichnung eines so merkwürdigen Wesens, wie er ist, anwenden kann und darf, aber ein Mystiker, der spekuliert, der innerhalb der Mystik nach Freiheit von Mystizismus, nach klarer Erkenntnis ringt. Die Grundlagen und Anhaltspunkte seiner Gedanken sind die das reine Himmelslicht des Denkens an dem dunkeln Wolkengrunde des Gemüts in die Regenbogenfarben der Phantasie zerstreuenden theologischen Vorstellungen der frühern Zeit, daher er vielen, die sich nur an das trübe Element seiner Grundlage halten, nur als Mystiker oder gar religiöser Schwärmer und Träumer erscheint und sogar in die Hände von Leuten fällt, die mit nichts weniger als mit dem Denken etwas zu schaffen haben wollen, und von ihnen gehegt und gefeiert wird, als wäre er einer ihresgleichen, weil sie unvermögend, die Form vom Inhalt, das Äußere vom Innern, das Partikuläre eines Schriftstellers von seinem Wesen zu unterscheiden, nicht erkennen, wie sehr das alte Sprüchwort: Stille Wasser gründen tief (in einem höhern und edleren Sinne verstanden), bei ihm seine Anwendung findet. Denn der wesentliche Gehalt seines Geistes, auf den er immer und immer wieder zurückkehrt, den er auf alle ihm zu Gebote stehende Weise zu erweisen und zu erörtern sich bestrebt und aus dem Schutthaufen seiner anderweitigen trüben Vorstellungen oft in der reinsten und erhabensten Sprache, fast mit wissenschaftlicher Bestimmtheit an das Licht des Bewußtseins hervorgräbt, ist philosophischer Natur. Seinem wesentlichen Gedankeninhalte nach steht er in innerm Zusammenhange nicht nur mit Spinoza und Cartesius, sondern überhaupt mit der Philosophie der neuern Zeit. Denn dieser sein wesentlicher Gedankengehalt ist seine Anschauung vom Geiste, ist die Art, wie er Gott als lebendigen, wirklichen, d. i. bewußten Geist erfaßt, ist sein Bestreben, eine Genesis sozusagen, eine Konstruktion des Bewußtseins und der Erkenntnis des Geistes, und zwar des Geistes in seiner unendlichen Bedeutung, in der Bedeutung Gottes, zu geben.

Auch schon von den frühern Denkern des christlichen Zeitalters wurde zwar Gott als Geist gedacht, aber einerseits nur in den leeren formellen und negativen Bestimmungen der Unkörperlichkeit, Immaterialität, Einfachheit und dergl., andererseits in den an sich wohl bestimmenden Bestimmungen des Willens, des Wissens und Denkens; aber diese waren nur wie Prädikate oder Eigenschaften auf den als Substrat zugrunde liegenden Begriff des Wesens, welcher der terminus a quo und ad quem der frühern Denker war, gleichsam aufgetragen, daher nur Behauptungen, Versicherungen, keine lebendigen Bestimmungen und Erkenntnisse, so daß Gott zwar in geistigen Prädikaten oder als geistiges Wesen, aber nicht als Geist, der Geist also überhaupt nicht in sein Leben entfaltenden, ihm immanenten oder gegenständlichen Bestimmungen erfaßt war.

 


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