§ 52. Darstellung des Ursprungs des Bösen nach Jakob Böhme

 

Die sichtbare, gegenwärtige, wirkliche, materielle Welt ist der Schauplatz des Bösen, ja sie verdankt sogar nach Jakob Böhmes christlich religiöser Vorstellung ihr Dasein dem Abfall von Gott — dem Fall Luzifers und Adams, denn vor dem Fall war der Mensch nicht Mann und Weib, sondern beides in einem, hatte er also keine Geschlechtsorgane, auch keine Zähne, keinen Magen, keine Gedärme, folglich auch natürlich keinen Podex. Alle diese materialistischen Organe, die jetzt selbst in der christlichen Welt eine so einflußreiche Rolle spielen, verdanken wir dem Sündenfall. Es ist daher hier der Ort, Jakob Böhmes Begriff vom Bösen und dessen Ursprung noch besonders hervorzuheben und zu erörtern, ob er gleich schon in der ganzen bisherigen Darstellung seiner Gedanken enthalten ist. Die Wichtigkeit und zugleich die Schwierigkeit des Gegenstandes erfordert es.

Das Böse ist nach Jakob Böhme überhaupt das Principium der Negativität, d. i. der Aufhebung der Einheit, der Scheidung und Unterscheidung (der Differenzierung) und der mit dieser zugleich gegebenen Entgegensetzung. Der Ursprung der Natur und des Geistes, des Etwas, des Daseins und des Bewußtseins, und der Ursprung des Bösen ist daher ein Akt, ein und derselbe Ursprung. Wenn Gott sich nicht von sich unterschiede, nicht in sich entzweite, so wäre er nicht Geist, nicht Wissen, nicht selbstbewußt, »denn in einem einigen Wesen, darinnen keine Schiedlichkeit ist, das nur eines ist, da ist keine Wissenschaft« (»Clavis«, § 13); nur dem Principium der Negativität, der Scheidung und Unterscheidung entquillt der selbstbewußte Geist. Das Principium der Negativität ist aber das Principium des Bösen die Ursache, daß etwas überhaupt im Unterschiede für sich wird und sein Fürsichsein in dieser Unterscheidung und Abtrennung befestigt. »Denn aller böser Wille ist ein Teufel, als nämlich ein selbstgefaßter Wille zur Eigenheit, ein abtrünniger vom ganzen Wesen, und eine Phantasei.« (»Gnadenwahl«, c. 2, § 12) Gott ist also nur durch den Teufel als das Principium der Verneinung Geist; denn er wird nur dadurch, daß er aus sich herausgeht, ausfleußt, sich von sich unterscheidet und entzweit, dieses Zweite als ein andres, einen Gegensatz sich setzt und aus diesem Herausgehen, diesem Entzweien wieder in sich hineingeht, für sich, sich selbst offenbar, Ichheit. Das Selbstbewußtsein Gottes aber ist als die allerheiligste, allereinigste, allererste Unterscheidung und Entzweiung das Principium aller Differenzen, damit das Prinzip der Natur; »die Weisheit ist Wissenschaft, ein Subjectum oder Gegenwurf der ungründlichen Einheit, sie ist das große Mysterium göttlicher Art, denn in ihr werden die Kräfte, Farben und Tugenden offenbar; in ihr ist die Schiedlichkeit der Kraft als der Verstand, sie ist selber der göttliche Verstand als die göttliche Beschaulichkeit, darin die Einheit offenbar ist.« (»Clavis«, § 18, 19) Das Selbstbewußtsein, in dem der Verstand urständet, ist das Principium aller Differenzen, d.h. das Unterscheidende; der Verstand ist die Ursache, daß etwas ist; ohne den Verstand und den Urzwiespalt des göttlichen Wesens wäre alles eines, denn er ist der Separator, der Scheider und Sonderer und als dieser der Macher des Etwas. Der Verstand als der große Separator ist das Prinzip des Etwas, aber eben damit auch das Prinzip aller Selbstheit, aller Partikularität, alles Eigensinnes Eigenwillens, aller Verstockung und Verhärtung in sich als der Scheider in Dein und Mein, der Vater alles Widerwillens, Kriegs und Streites; das Prinzip des Daseins daher, das Prinzip, daß überhaupt etwas ist, und das Prinzip des Bösen ist ein Prinzip, oder, wie es sich auch aussprechen läßt: Das Prinzip der Qualität und das Prinzip des Bösen ist ein Prinzip, denn das Etwas ist etwas nur als differentes, als eigenschaftliches, eigenwilliges; die Qualität ist ein abtrünniger, egoistischer Partikularwille, ein Hungergeist in Jakob Böhmes Sprache, eine Eigenmächtigkeit, eine in sich verstockte und verknorzte Sonderheit, die sich gegen andres als boshafte, es verzehren wollende Begierde, als Haßsucht, Freßgierde äußert. Das Reich des Daseins und Etwas, das Reich der Qualitäten, der Eigenschaften und damit das Reich aller besondern Wesen und Dinge ist aber die Natur; das Prinzip der Natur und das Prinzip des Bösen ist also ein Prinzip. Das Prinzip der Natur, die natura naturans, ist aber der Gegensatz und Gegenstand Gottes in Gott, ist eins in ihm mit dem Prinzip der Negativität, mit dem er sich in sich entzweit und unterscheidet, das Unterschiedene als ein andres sich entgegengesetzt und aus diesem Prozeß der Entzweiung das Licht seines Selbstbewußtseins erzeugt; das Prinzip des Selbstbewußtseins und das Prinzip der Natur, nämlich der Natur in Gott, der ewigen, ursprünglichen Natur, ist also ein und dasselbe Prinzip. »Das Wesen aller Wesen ist nur ein einiges Wesen, aber es scheidet sich in seiner Gebärung (d. i. Selbstbestimmung) in zwei Principia als in Licht und Finsternüs, in Freud und Leid, in Böses und Gutes, in Liebe und Zorn, in Feuer und Licht, und aus diesen zweien ewigen Anfängen in den dritten Anfang als in die Kreation zu seinem eignen Liebespiel nach beider ewigen Begierde Eigenschaft. Das große Mysterium aller Wesen ist in der Ewigkeit in sich selber ein Ding, aber in seiner Auswicklung und Offenbarung (womit Jakob Böhme die immanente, in Gott ewig geschehende, mit der Genesis seines Selbstbewußtseins identische Offenbarung meint) tritt's von Ewigkeit in Ewigkeit in zwei Wesen als in Böses und Gutes ein.« (»Sign. Rer.«, c. 16, § 11, 26) Der Ursprung, das Prinzip des Bösen liegt daher in Gott selbst86)), und da es eins ist mit dem Prinzip der Negativität, der Differenz, hat es sein Dasein in allen Dingen und Wesen; denn das Prinzip des Bösen ist ja überhaupt das, vermöge dessen und in dem ein Etwas sich selbst, seine Besonderheit bejaht, in dieser Bejahung seiner selbst aber ein andres verneint und eben in dieser Negativität ein Selbstwesen, ein Ich ist. »Das ist der Tod und Elend der Menschen und aller Kreaturen, daß die Eigenschaften streitig und eine jede in sich selber erhebend und in eigenem Willen qualifizierend ist, davon Krankheit und Wehe entstehet... eine jede Eigenschaft die Gleichheit begehret als ein Wesen nach und aus sich.« (»Myst. Magn.«, c. 11, 17) »In allen ist Gift und Bosheit; befindet sich auch, daß es also sein muß, sonst wäre kein Leben noch Beweglichkeit, auch wäre weder Farbe, Tugend, Dickes und Dünnes oder einigerlei Empfindnüs, sondern es wäre alles ein Nichts.« (»Drei Prinzip.«, Vorr., § 13) Der Teufel ist daher nach Jakob Böhme das Salz der Natur, ohne welches alles nur ein geschmackloser Brei wäre; denn das Prinzip aller Verschiedenheit, Spezies, Art und das Prinzip des Bösen ist ein Prinzip. Aber in Gott ist das Prinzip des Bösen nicht ein Prinzip des Bösen, sondern des Guten. Die Selbstentzweiung und Unterscheidung Gottes zündet wohl in Gott mit dem Selbstbewußtsein das Feuer der Ichheit und Selbstheit an; aber diese Ichheit ist nur die Form, die Einfassung der Einheit, ihr Inhalt ist die selbstlose Fülle aller Wesen. Diese Ichheit ist nur das selige Bewußtsein der reinen Liebe; das Fürsichsein Gottes, das ihm aus seiner Unterscheidung in sich, aus dem Sich-Entgegensetzen eines Gegenwurfs resultiert, ist nicht das Fürsichsein der Differenz, sondern vielmehr die im Unterschiede von der Differenz für sich seiende, sich offenbare Einheit und Freiheit, Gott wird nur an seinem Gegensatze, in der Unterscheidung von ihm sich offenbar; ohne die Widerwärtigkeit eines Gegensatzes in sich zu setzen, wäre Gott nicht sich selbst wissend; aber dieses Selbstbewußtsein ist das Bewußtsein des Guten von sich, der Liebe, und als das Selbstbewußtsein der Liebe eine Quelle der Freude, der Seligkeit; Gott ist die Seligkeit, weil oder wiefern er sich als Gott erkennt. Das Principium der Negativität, der Entgegensetzung, der Entzweiung, das Prinzip des Bösen ist also in Gott eine Ursache zum Guten. Das Negative ist in Gott ein Positives. Das Feuer der Negativität, der Ichheit ist in Gott nur ein wohltuendes liebliches Liebebrennen, das Feuer der Liebe, des Guten; das Prinzip des Bösen ist in Gott nur die Ursache87), daß das Positive, das Gute, in Form und Gestalt, in Selbstheit in Affekt kommt, ein Bewegliches, Wirkendes, Empfindliches, ein Tätiges, sich selbst Erkennendes werde. »Das Böse gehöret zur Bildung und Beweglichkeit und das Gute zur Lüge und das Strenge oder Widerwillige zur Freude.« (»Drei Prinzip.«, Vorr., § 14) Die Einheit, die zuerst bloße, stille, unbewegte Einheit, wird erst durch das Setzen eines Gegenwurfs und die Unterscheidung von ihm eine sich unterscheidende, negative, selbstische, brennende, feurige Einheit und dadurch erst wirkliche lebendige Einheit. Das Feuer der Negativität ist daher in Gott als identisch mit dem Lichte, der Einheit, das Böse ist in Gott (oder an sich) nur Gutes. »In Gottes Reich als in der Lichtwelt wird nicht mehr als ein Principium recht erkannt; denn das Licht hat das Regiment, und sind die andern Qualen und Eigenschaften alle heimlich, als ein Mysterium, denn sie müssen alle dem Lichte dienen und ihren Willen ins Licht geben; daraus wird die Grimme-Essenz im Lichte verwandelt in eine Begierde des Lichts und der Liebe, in Sanftmut. Obwohl die Eigenschaften als Herbe, Bitter, Angst, und das bitter Wehe im Feuer ewig bleiben, auch in der Lichtwelt, so ist derselben doch keine in seiner Eigenschaft offenbar, sondern sie sind allemsambt nur also Ursachen des Lebens der Beweglichkeit und Freuden. Was in der finstern Welt ein Wehe ist, das ist in der Lichtwelt ein Wohltun; und was im Finstern eine Furcht, Schrecken und Zittern ist, das ist im Licht ein Jauchzen der Freuden, ein Klingen und Singen, und das möchte nicht sein, wann im Urstande nicht eine solche ernstliche Qual wäre. Darumb ist die finstere Welt der Lichtwelt Grund und Urstand und muß das ängstliche Böse eine Ursache des Guten sein und ist alles Gottes.« (»Von sechs [theosophischen] Punkten«, c. 3, § 15) »Alles das, wessen diese Welt ein irdisch Gleichnüs und Spiegel ist, das ist im göttlichen Reiche in großer Vollkommenheit im geistlichen Wesen. Im Himmel (d. i. in Gott als Gott) ist alles gut; was in der Hölle bös, sowohl Angst und Pein ist, das ist im Himmel gut und eine Freude, denn es stehet alles in der Lichtesqual.« (»Sign. Rer.«, c. 16, § 22 u. 20) »In Gott ist kein Zorn, es ist eitel lauterliche Liebe; allein im Fundament, dadurch die Liebe beweglich wird, ist Zornfeuer, aber in Gott ist's eine Ursache der Freudenreich.« (»Theos. Fr.«, 3. Fr., § 27) »So die Liebe der Einheit nicht in feuerbrennender Art stünde, so wäre sie nicht würklich und wäre keine Freude oder Bewegnüs in der Einheit.« (Ebd., § 18)

 


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