§ 52. Darstellung des Ursprungs des Bösen nach Jakob Böhme

 

Das Böse ist also ein absolutes, ewiges Moment, ein Moment im göttlichen Leben selbst; aber in Gott ist das Böse nur die Kraft, die Energie, die Strengigkeit, die Heftigkeit und Leidenschaftlichkeit, d. i. die Subjektivität oder Selbstheit, die Form des Guten. Es verhält sich hier mit dem Bösen ebenso wie in der untergeordneteren Sphäre des menschlichen Lebens mit der Leidenschaft. Die Leidenschaft ist hier das Prinzip des Bösen, aber Prinzip des Bösen und selbst böse wird sie erst, wenn und sofern sie, sich abtrennend vom Guten, ein eignes Leben wird; an sich ist die Leidenschaft der Motor, die Energie, das Feuer, die Form, der Geist des Guten. Eine Güte, die sozusagen nicht den Teufel im Leib hat, die nicht das Prinzip und Moment des Bösen, das Feuer der Ichheit, Lebendigkeit und Leidenschaftlichkeit in sich hat, ist nicht die Güte des Geistes, sondern eine simpelhafte Güte.

Erst in dem großen Scheidungsprozesse der Offenbarung in der Natur, wo alles in selbständige Eigenhaftigkeit und in schiedliche Existenz tritt, um offenbar zu werden, erst da wird das Prinzip des Bösen ein Prinzip des Bösen; erst da, wo das Böse sich abtrennt vom Guten, in eigne besondre Existenz tritt, wo die Form sich selbst zum Inhalte, die Ichheit sich selbst zum Wesen und Gegenstand macht, wo das Feuer, als abgetrennt von der Liebe, nicht mehr ein Feuer der Liebe, sondern ein verzehrendes Zornfeuer, Feuer des Egoismus wird, erst da, wo das Böse also für sich selber wird, wird das Böse Böses und ist es als Böses offenbar und wirklich.88) Dieser Akt der Scheidung ist aber ein von dem ursprünglichen Akt der Entzweiung und Unterscheidung Gottes unzertrennlicher Akt; er ist schon in Gott, aber in Gott nur insofern, als er das Zentrum, das Prinzip der Natur ist, in ihm als der ewigen Natur, die sich wieder produziert und vergegenständlicht zu dieser, der zeitlichen, sinnlichen Natur, in und an der jene ihre ausgeprägte, ausgebildete Existenz und Erscheinung hat; und insofern daher auch das Böse seine bestimmte, ausgebildete Existenz erst in der Kreation hat, findet jener an sich mit der ewigen Entzweiung des Bewußtseins identische Akt seine bestimmte Wirklichkeit in der Kreatur oder ist erst in ihr ein bestimmt, wahrhaft wirklicher Prozeß und Akt. »Wenn man nun allhie redet vom Willen Gottes Zornes, daß er sich habe von der Liebe abgebrochen und wollen bildlich sein, so muß man'snicht außer der Kreatur verstehen. Man muß nicht Gott die Schuld des Falls geben, sondern nur der gebildeten Kraft in der Kreatur nach dem Nein, diese hat'sverscherzt und ist zur Lügen worden, nicht Gott, sondern die Kreatur, nicht die ungebildete Kraft des Zornes, darinnen die Liebe brennet.« (»Theos. Fr.«, 9. Fr., § 7, 8) Zugleich muß aber, weil das Zornfeuer in Gott das Prinzip der Kreatur ist, das Prinzip dieses Prozesses wieder in Gott insofern gesetzt werden, als nur an dem Gegenwurf der ewigen Natur, in der Gutes und Böses, Licht und Finsternüs innestehet, Gott das Bewußtsein seiner als des Lichtes, der Einheit anzündet.

Das Böse ist also nach Jakob Böhme ein absolut Notwendiges, die Bestimmung der Negativität eine absolut wirkliche Bestimmung. Denn das Böse ist das Prinzip alles Geistes und Lebens, wie sich deutlich genug aus dem bisher Entwickelten ergibt.

»So keine Widerwärtigkeit im Leben wäre, so wäre auch keine Empfindlichkeit noch Wollen noch Würken, auch weder Verstand noch Wissenschaft darinnen; dann ein Ding, das nur einen Willen hat, das hat keine Schiedlichkeit, so es nicht einen Widerwillen empfindet, der es zum Treiben der Bewegnüs ursachet, so stehet's stille.« (»Von göttl. Beschaul.«, c. 1, § 9) »Das Leben stehet in viel Willen: Eine jede Essenz mag einen Willen führen und führet ihn auch. Es feindet je eine Gestalt die andere an, und nicht allein im Menschen, sondern in allen Kreaturen.« (»Von sechs [theosophischen] Punkten«, III, c. 4, § 2, 3)

Der Ursprung des Lebens ist der Ursprung des Bösen, dieses kann nicht von jenem abgetrennt und abgesondert von ihm betrachtet werden, so daß man das Leben zuerst setzen könnte und dann hintendrein noch besonders fragen: Wie kam Böses hinein oder wie entwickelt sich Böses aus ihm? Obgleich aber das Böse als ein mit dem Leben und Geiste Identisches ein absolut Notwendiges, Ursprüngliches ist, nach dessen Ursprung man ebensowenig fragen kann als nach dem des Lebens, weil in ihm an und für sich der Begriff der Ursprünglichkeit liegt, so hat doch das Böse, wo es als Böses, in vom Guten abgeschiedener, eigener Existenz auftritt und offenbar wird, nicht etwa bei Jakob Böhme die Bedeutung eines absolut Notwendigen oder eines selbständigen Wesens wie etwa im Dualismus der alten Welt. Das Böse ist vielmehr, selbst wo es als Böses wirkt, eine Ursache, ein Mittel, ein Antrieb zum Guten, das Mittel zur Offenbarung, Empfindung und Erkenntnis des Guten: Das Negative ist das Negative seiner selbst oder negativ gegen sich selbst, der Teufel ist Teufel nur gegen sich selbst, das Böse der größte Feind und Gegner seiner selbst, d.h., in Jakob Böhmes Sprache, eine erschreckliche Qual, ein höllisches Feuer, eine ewig aufsteigende peinliche Qual und darum selbst eine Begierde nach Ruhe und Friede, nach dem Guten, nach dem Rückgang in den Urstand, wo es eins mit dem Guten nur die Belebung Begeistigung und Befeuerung desselben ist. »So keine Pein wäre, so wäre ihr die Freude nicht offenbar. Das Böse muß eine Ursache sein, daß das Gute ihm selber offenbar sei, und das Gute muß eine Ursache sein, daß ihme das Böse in seiner Arglistigkeit und Bosheit offenbar werde, auf daß alle Dinge in ihre Beschaulichkeit kämen.« (»Myst. Magn.«, c. 28, § 68, 69) »Das Böseste muß des Besten Ursache sein.« (Ebd., c. 10, § 62) Dieser Begriff des Bösen erläutert auch zugleich die schon angeführte Bestimmung, in der von Jakob Böhme die Einheit und der Geist gefaßt sind. Die wahre und wirkliche Einheit ist nicht die erste, anfängliche, der wahre Geist ist nicht der zwiespaltlos mit sich einige, sondern der in die Höllenpein des Bösen, in die schmerzliche Qual der Differenz ausgehende und durch die Aufhebung der Differenz als solcher, durch die Einigung derselben mit sich wieder in sich ein- und zurückgehende Geist; denn nur so, als in sich wieder ein- und zurückgehender, ist er ein sich empfindlicher, offenbarer, wirklicher und lebendiger Geist. »Die Lust der Freiheit« (die Jakob Böhme an andern Stellen den Geist nennt) »begehret wieder in das Stille als ins Nichts und dringet wieder aus der Finsternüs der Strengheit der Begierde in sich selbst als in die Freiheit außer dem Grimme der Feindschaft und hat sich nur also im strengen Impressen geschärfet, daß sie ein bewegend fühlend Leben ist und daß ihre Freiheit geschärfet (ichheitlich, selbstisch, begeistert) ist, daß sie ein Glanz ist, welches in der Freiheit ein Freudenreich ist und gibt.« (»Sign. Rer.«, c. 3, § 18) Derselbe Prozeß findet aber auch im Menschen statt. Die Unruhe, Pein und Qual des Bösen ursachet, daß der Mensch sich wieder aus der Differenz seiner Ichheit in seinen Urstand und Ursprung zurücksehnet und in die Form seiner Ichheit den Willen der ewigen Einheit einfasset, die jetzt erst an dem Gegensatze des schmerzlichen Bösen als Einheit, als süße Milde, als Wohltat empfunden und erkannt ist. »Das Böse oder Widerwillen ursachet das Gute als den Willen, daß er wieder nach seinen Urstand als nach Gott dringe und daß das Gute als der gute Wille begehrend werde. Dann ein Ding, das in sich nur gut ist und keine Qual hat, das begehret nichts, dann es weiß nichts Beßres in sich oder für sich, darnach es könnte lüstern.« (»Von göttl. Beschaul.«, c. 1, 13)

 

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86) »Wann ich«, sagt Jakob Böhme (in seiner »Zweiten Apologie wider B. Tilken«, § 140), »auf eure Weise soll reden, daß Gott in allem alles mächtig ist, wie es denn wahr ist, so muß ich sagen, daß Gott alles ist; er ist Gott, er ist Himmel und Hölle und ist auch die äußere Welt; denn von ihm und in ihm urständet alles.«

87) »Das Gute hat das Böse oder Widerwärtige in sich verschlungen und hält's im Guten in Zwang gleichsam als gefangen, da das Böse eine Ursache des Lebens und Lichtes sein muß.« (»Sechs Punkte«, III, § 2)

88) Gerade aber dieser Punkt, wo es erst zum Treffen kommt, ist auch der Punkt, wo Jakob Böhme sich gänzlich in theologische Phantastik und Willkür verliert, ohne daß er doch — freilich eine, übrigens sehr begreifliche, Unmöglichkeit — die Schwierigkeit löst. Und diese Schwierigkeit bietet sich ihm unglücklicherweise zweimal dar — erstlich bei dem Fall Luzifers, dann bei dem Fall Adams. Er hilft sich mit dem freien Willen. Aber es bleibt eben absolut unbegreiflich und sinnlos, wie der freie Wille aus der göttlichen Konkordanz heraustreten konnte. Es gibt eben keinen Übergang von der phantastischen Welt der Theologie in die wirkliche Welt.

 


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