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Es ist immer die gleiche Wendung – Hölderlin an Böhlendorf: »Deutsch will und muß ich übrigens bleiben, und wenn mich die Herzens- und Nahrungsnot nach Otaheiti triebe«; Kleist an Friedrich Wilhelm III.: daß er »schon mehr als einmal dem traurigen Gedanken nahe gebracht worden«, sich im Ausland ein Fortkommen suchen zu müssen; Ludwig Wolfram an Varnhagen von Ense: »Sie werden einen deutschen Schriftsteller von gewiß unbeflecktem literarischem Ruf nicht dem Elend zur Beute lassen«; Gregorovius an Heyse: »Diese deutschen Männer würden einen wahrlich verhungern lassen.« Und nun Büchner an Gutzkow: »Sie sollen noch erleben, zu was ein Deutscher nicht fähig ist, wenn er Hunger hat.« Es ist ein grelles Licht, das aus solchen Briefen auf die lange Prozession deutscher Dichter und Denker fällt, die an die Kette einer gemeinsamen Not geschmiedet, am Fuße jenes weimarischen Parnasses sich dahinschleppt, auf dem die Professoren gerade wieder einmal botanisieren gehen. – Für alles Unglück, von dem er Zeugnis ablegt, ist diesem folgenden Briefe das Glück zu überdauern zugefallen. Besonders sind die an die Seinen und an die Braut Eingriffen zum Opfer gefallen, welche der Bruder, Ludwig Büchner, an seinem Teil damit rechtfertigt, es sei ihm nur auf das angekommen, »was zur Kenntnis der politischen Bewegung jener Zeit und des Anteils, den Büchner daran hatte, wichtig erschien«. Diesem Anteil setzt der folgende Brief ein Ziel. Denn in der Frühe des 1. März 1835 floh Büchner aus Darmstadt. Schon seit einiger Zeit waren die Mitglieder der Gesellschaft der Menschenrechte der Behörde bekannt gewesen; die Arbeit am »Danton« ging, wie man gesagt hat, unter Polizeiaufsicht vor sich. Unter Polizeiaufsicht stand auch die Redaktion; als das Stück im Juli des Jahres erschien, nannte Gutzkow selbst es einen notdürftigen Rest, »die Ruine einer Verwüstung, die mich Überwindung genug gekostet hat«. Erst 1879 brachte Emil Franzos die unzensierte Ausgabe heraus. Die Wiederentdeckung Büchners am Vorabend des Weltkrieges gehört zu den wenigen literarpolitischen Vorgängen der Epoche, die mit dem Jahre 1918 nicht entwertet waren, und deren Aktualität einer Mitwelt, die die Reihe der eingangs erwähnten Äußerungen unabsehbar wachsen sieht, blendend einleuchten muß.

Georg Büchner an Karl Gutzkow

Darmstadt, Ende Februar 1835.

Mein Herr!
Vielleicht hat es Ihnen die Beobachtung, vielleicht, im unglücklicheren Fall, die eigene Erfahrung schon gesagt, daß es einen Grad von Elend gibt, welcher jede Rücksicht vergessen und jedes Gefühl verstummen macht. Es gibt zwar Leute, welche behaupten, man solle sich in einem solchen Falle lieber zur Welt hinaushungern, aber ich könnte die Widerlegung in einem seit Kurzem erblindeten Hauptmanne von der Gasse aufgreifen, welcher erklärt, er würde sich totschießen, wenn er nicht gezwungen sei, seiner Familie durch sein Leben seine Besoldung zu erhalten. Das ist entsetzlich. Sie werden wohl einsehen, daß es ähnliche Verhältnisse geben kann, die Einen verhindern, seinen Leib zum Notanker zu machen, um ihn von dem Wracke dieser Welt in das Wasser zu werfen, und werden sich also nicht wundern, wie ich Ihre Türe aufreiße, in Ihr Zimmer trete, Ihnen ein Manuskript auf die Brust setze und ein Almosen abfordere. Ich bitte Sie nämlich, das Manuskript so schnell wie möglich zu durchlesen, es im Fall Ihnen Ihr Gewissen als Kritiker dies erlauben sollte, dem Herrn Sauerländer zu empfehlen und sogleich zu antworten.
Über das Werk selbst kann ich Ihnen weiter nichts sagen, als daß unglückliche Verhältnisse mich zwangen, es in höchstens fünf Wochen zu schreiben. Ich sage dies, um Ihr Urteil über den Verfasser, nicht über das Drama an und für sich zu motivieren. Was ich daraus machen soll, weiß ich selber nicht, nur das weiß ich, daß ich alle Ursache habe, der Geschichte gegenüber rot zu werden; doch tröste ich mich mit dem Gedanken, daß, Shakespeare ausgenommen, alle Dichter vor ihr und der Natur wie Schulknaben dastehen. Ich wiederhole meine Bitte um schnelle Antwort; im Falle eines günstigen Erfolges können einige Zeilen von Ihrer Hand, wenn sie noch vor nächstem Mittwoch hier eintreffen, einen Unglücklichen vor einer sehr traurigen Lage bewahren.
Sollte Sie vielleicht der Ton dieses Briefes befremden, so bedenken Sie, daß es mir leichter fällt, in Lumpen zu betteln, als im Frack eine Supplik zu überreichen, und fast leichter, die Pistole in der Hand: la bourse ou la vie! zu sagen, als mit bebenden Lippen ein: Gott lohn' es! zu flüstern.

G. Büchner.