§ 11. Bacons philosophische Bedeutung

 

Der Grund, daß Bacon meistens nur als Empiriker aufgefaßt, von den bloßen und selbst antiphilosophischen Empirikern zu ihrem Schutzpatron erhoben wurde, daß die tiefen spekulativen Gedanken, die sich in seinen Schriften finden, bei der Beurteilung desselben nicht in Anschlag kamen und ohne allen Einfluß blieben, liegt übrigens allerdings in Bacon selbst, und zwar darin, daß er die Metaphysik und Philosophie der Griechen so sehr verkannte32) und verachtete und die Empirie, obwohl er sie nur zu dem mittleren, ja untersten Stockwerk in dem Gebäude der Wissenschaften macht, das obere Stockwerk, von dem erst allein eine Aussicht in die Natur gegeben wird, der aus der Erfahrung eruierten Philosophie einräumt, dennoch allein zu seinem Wohn- und Arbeitszimmer machte, bei ihr stehenblieb, hauptsächlich aber darin, daß überhaupt sein Geist weder ein echt philosophisch noch mathematisch spekulativer Geist, daß sein Geist ein sinnlicher, rein physikalischer Geist war.

Bacon war daher auch hauptsächlich dazu bestimmt und berufen, das Studium der Physik, inwiefern sie Physik, nicht bloß »angewandte Mathematik« ist, zu erwecken; sein Geist war eben wegen seiner inneren Verwandtschaft mit dem Wesen der Sinnlichkeit ein auf die Besonderheit und Differenz, die Qualität der Dinge gerichteter, die Dinge in ihrem spezifischen, qualitativen Sein und Leben zu erfassen bestrebter Geist. Der ihn beherrschende und bestimmende Begriff ist der der Qualität; daher er auch die Erfahrung so hervorhebt, so dringend auf sie hinweist. Denn die Qualität in der Natur ist nur Gegenstand der sinnlichen Empfindung, der Erfahrung, sie wird nur mittelbar erst Gegenstand des Denkens; in ihrem eigentümlichen Wesen ist sie aber immer nur Gegenstand der unmittelbaren sinnlichen Empfindung und Wahrnehmung. Daher Bacon auch der Mathematik nur eine untergeordnete Stelle in der Physik anweist und sich also über sie äußert: »Quantitas (quae subjectum est Mathematicae) materiae applicata veluti dosis Naturae est, et plurimorum effectuum in rebus naturalibus causativa, ideoque inter Formas essentiales numeranda est. Illud interim verum est, quantitatem inter formas naturales (quales nos eas intelligimus) omnium maxime esse abstractam et a materia separabilem, quod ipsum in causa fuit, cur et diligentius exculta et acrius inquisita ab hominibus fuerit, quam aliae quaecunque formae, quae omnes in materia magis sunt immersae... Nescio quo fato fiat, ut Mathematica et Logica, quae ancillarum loco erga Physicam se gerere debebant, nihilominus certitudinem suam prae ea jactantes dominatum contra exercere praesumant.« (»De Augm. Scient.«, III, c. 6) Darum steht auch Bacon in dieser Beziehung einzig in seiner Art da. Denn der den Hobbes und Cartesius und andere Naturforscher seiner und späterer Zeiten in ihren Anschauungen von der Natur beherrschende Begriff ist der der Quantität, ihnen ist die Natur nur von Seite ihrer mathematischen Bestimmbarkeit Gegenstand. Bacon dagegen hebt die Form der Qualität hervor, die Natur ist ihm nur unter dieser Form Gegenstand, sie ist ihm die primitive Form der Natur. Daher er auch sagt, daß selbst die erste Materie mit der Bewegung und Qualität in Verbindung gedacht werden müsse. Deswegen interessieren ihn auch die Gegenstände der Astronomie nur als physikalische Gegenstände, will er das Hauptaugenmerk auf ihre physikalische Beschaffenheit gerichtet wissen. »Neque enim calculos aut praedictiones tantum meditamur, sed Philosophiam, eam scilicet, quae de superiorum corporum non motu solummodo, ejusque periodis, sed substantia quoque et omnimoda qualitate, potestate atque influxu intellectum humanum informare secundum rationes naturales atque indubitatas possit, atque rursus in motu ipso invenire, atque explicare, non quid phaenomenis sit consentaneum, sed quid in Natura penitus repertum atque actu et re ipsa verum sit. Itaque plurimum et Praesidii ad contemplationem coelestium in Physicis rationibus collocamus.« (»Descript. Glob. Intell.«, cap. V) Darum sagt er auch von sich selber, daß er die passiones oder appetitus materiae besonders zu erforschen suche.33) (»Nov. Org.«, II, Aph. 48)

 

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27) Aufs heftigste spricht sich daher B. gegen den Paracelsus aus. Er sagt von ihm z.B., daß er das Licht der Natur, dessen heiligen Namen er so oft mißbrauche, nicht verborgen, sondern ausgelöscht habe, daß er nicht nur ein Deserteur, sondern Verräter der Erfahrung wäre. Die Dreiheit seiner Prinzipien nennt er jedoch — gewiß eine den spekulativen Trinitariern interessante Bemerkung! — ein »commentum haud ita prorsus inutile et rebus aliqua ex parte finitimum.« S. Imp. Philos., »De Interpret. Nat. Sent.«, c. II.

28) Bacon nennt selbst die Naturwissenschaft die Mutter der übrigen. Ob er gleich der Philosophie von Gott, der Natur und dem Menschen eine allgemeine Wissenschaft, die philosophia prima, voraussetzt, deren erster Teil von den mehreren Wissenschaften gemeinschaftlichen Grundsätzen handeln soll, so bestimmt er doch sogleich, daß in dem andern Teile der philosophia prima, der von den conditionibus adventitiis rerum handelt, z.B. der Gleichheit und Ungleichheit, diese Gegenstände nicht logisch, sondern physikalisch betrachtet werden sollen. »De Augm. Scient.«, III, c. 1, und V, c. 4.

29) Vergl. z.B. »Nov. Org.«, I, Aph. 95.

30) Z.B. »Nov. Org.«, Aph. 37. »Illi enim nihil sciri posse, simpliciter asserunt; Nos non multum sciri posse in natura ea, quae nunc in usu est, via.« und »De Augm. Scient.«, III, c. 4.

31) Z.B. »Recte ponitur: Vere scire esse per causas scire.« »Nov. Org.«, II, Aph. 2. — »Satis scimus nullum de rebus raris aut notabilibus judicium fieri posse, multo minus res novas in lucem protrahi, absque vulgarium rerum causis et causarum causis rite examinatis et repertis etc.« Ebendaselbst, I, Aph. 109. — Gegen die Art und Weise, wie die französischen Empiristen und Enzyklopädisten Bacon auffaßten, ist dieser Punkt besonders hervorgehoben von Le Sage und De Luc, vergl, dessen »Précis de la Philosophie de Bacon etc.« à Paris 1802, T. I, S. 60 etc.

32) Mit Recht sagt daher Goethe (zur Farbenlehre) »Höchst unerfreulich (ist) die Unempfindlichkeit (Bacons) gegen Verdienste der Vorgänger, gegen die Würde des Altertums. Denn wie kann man mit Gelassenheit anhören, wenn er die Werke des Aristoteles und Plato mit leichten Tafeln vergleicht, die eben, weil sie aus keiner tüchtigen gehaltvollen Masse bestünden, auf der Zeitflut gar wohl zu uns herüber geschwemmt werden können.« Übrigens ist Bacon hauptsächlich nur auf Plato und besonders Aristoteles erpicht; den ältern Philosophen, welche materielle sinnliche Prinzipien der Natur zugrunde legten, läßt er volle Gerechtigkeit widerfahren.

33) Unter diesen Passionen und Begierden der Materie versteht Bacon hier nichts anderes als die Erscheinungen der Expansion, Kontraktion, Attraktion usw., welche ebensowohl auf den Himmelskörpern als auf der Erde stattfänden, also allgemeine Eigenschaften der Materien wären, auf welche die Ortsdifferenz keinen Einfluß hätte.

 


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