8. Pechvögel und Unglücksraben.


Es ist eine psychologische Selbstverständlichkeit, daß derjenige, der mit der absoluten Wahrheit des gesellschaftlichen Lebens in Widerspruch gerät, an irgendeiner Stelle seines Lebens auch den Gegenstoß zu spüren bekommt. Meist verstehen diese Menschen nicht, daraus zu lernen, sondern fassen das ganze Unglück als ein ungerechtes, persönliches Mißgeschick auf, als ein Pech, das sie verfolgt. Sie verbringen ein ganzes Leben damit, festzustellen, welches Pech sie immer haben, daß ihnen gar nichts gelinge, daß alles mißglücke, wenn sie Hand daran legen. Manchmal trifft man sogar auf eine Neigung, sich mit Niederlagen zu brüsten, als ob es eine unheimliche Macht gerade auf sie abgesehen hätte. Wenn man diesen Standpunkt ein wenig überlegt, so kommt man darauf, daß auch bei dieser Betrachtung wieder die Eitelkeit ihr böses Spiel treibt. Es sind Menschen, die so tun, als ob sich eine finstere Gottheit nur mit ihnen beschäftigen würde, bei einem Gewitter keine anderen Gedanken haben, als daß der Blitz gerade sie aufsuchen müsse, die sich allmählich mit der Furcht abquälen, daß sich gerade bei ihnen ein Dieb einschleichen könnte, kurz, die bei jeder Schwierigkeit des Lebens immer nur den einen Eindruck gewinnen, als ob sie diejenigen wären, die das Unglück sich aussuchen werde.

Solche Übertreibungen kann nur ein Mensch begehen, der sich in irgendeiner Weise als den Mittelpunkt der Geschehnisse betrachtet. Manchmal sieht es recht bescheiden aus, wenn sich jemand immer als vom Unglück verfolgt hinstellt, während sein Wesen in Wirklichkeit von schwerster Eitelkeit strotzt, wenn solche Menschen meinen, daß alle feindlichen Gewalten immer nur für sie Interesse haben und nie für andere. Es sind jene Menschen, die sich schon als Kinder immer ihre Zeit verbitterten und sich von Einbrechern, Mördern und anderen unheimlichen Gesellen verfolgt sahen und noch immer glauben, die Gespenster und Geister hätten nichts anderes zu tun, als sich um sie zu kümmern. Oft drückt sich ihre Stimmung in der äußeren Haltung aus. Sie gehen gedrückt einher, immer etwas gebückt, wie um nicht verkennen zu lassen, welch ungeheure Last sie tragen. Sie erinnern unwillkürlich an Karyatiden, die während ihres ganzen Daseins eine schwere Last stützen müssen. Es sind Menschen, die alles übermäßig ernst nehmen und alles mit pessimistischem Blick beurteilen. Bei dieser Stimmung ist es erklärlich, daß ihnen immer etwas schief geht, sobald sie Hand daran legen, daß sie Unglücksraben sind, die nicht nur sich selbst das Leben vergällen, sondern auch anderen. Und doch steckt auch hier nichts anderes dahinter als ihre Eitelkeit. Es ist eine Art von Wichtigtuerei, wie im ersten Fall.


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