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I. [Logische Möglichkeit einer von allem Substanzwert unabhängigen Geldfunktion]

 

Jetzt muß die schon angedeutete Restriktion an dem Begriff des Gesamtgeldquantums etwas genauer vollzogen werden. Daß man nicht einfach sagen kann, es gäbe so viel kaufendes Geld, wie es kaufbare Ware gibt, liegt nicht etwa an der unermeßlichen Quantitätsdifferenz, die zwischen allen angehäuften Waren auf der einen Seite und allem angehäuften Geld auf der anderen bestünde. Denn da es keinen gemeinsamen Maßstab für beide, wie für qualitativ gleichgeartete Dinge, gibt, so besteht zwischen ihnen überhaupt kein unmittelbares Mehr oder Weniger. Kein Warenquantum hat von sich aus eine bestimmte Beziehung zu einem bestimmten Geldquantum, da prinzipiell alle Zwecke des Geldes mit einem beliebig verkleinerten Geldquantum erreichbar wären. Wieweit dies in Wirklichkeit gehen kann, ohne den Verkehr zu unterbinden, zeigt die berichtete Tatsache: es habe vor einigen Jahrhunderten in Rußland Silbermünzen von solcher Kleinheit gegeben, daß man sie überhaupt nicht mehr mit den Händen vom Tisch habe aufnehmen können, sondern sie aus dem Beutel auf denselben schüttete, und die zu zahlende Summe abteilte, worauf dann beide Parteien ihre Teile mit der Zunge aufleckten und in die Beutel zurückspuckten. Man könnte sagen: welches auch der absolute Umfang des Geldvorrats sei, er bleibt, solange er die Dienste des Geldes leistet, immer gleich viel »Geld«; es variiert nur das Quantum, das diese Zeichen oder Stücke in anderer Beziehung, nämlich als Material irgendwelcher Art betrachtet, darstellen, aber ihr Quantum als Geld braucht sich dadurch nicht zu ändern. Darum gibt jener direkte Vergleich aller Waren und alles Geldes überhaupt keinen Schluß. Die Unverhältnismäßigkeit zwischen der Totalität des Geldes und der der Waren, als Nenner jener wertausdrückenden Brüche, ruht vielmehr auf der Tatsache, daß der Geldvorrat als ganzer sich viel schneller umsetzt als der Warenwert als ganzer. Denn niemand, läßt, soweit er es vermeiden kann, erheblichere Geldsummen still liegen, und man kann es tatsächlich fast immer vermeiden; kein Kaufmann aber entgeht dem, daß beträchtliche Teile seines Vorrates lange liegen, ehe sie verkauft werden. Diese Differenz des Umsatztempos wird noch viel größer, wenn man diejenigen Objekte einrechnet, die sich nicht zum Verkaufe anbieten, trotzdem aber gelegentlich und für ein verführerisches Gebot verkäuflich sind. Legt man also die wirklich gezahlten Preise für die einzelnen Waren zum Gründe und fragt nach dem Geldquantum, das daraufhin zum Ankauf des gesamten Vorrats erforderlich wäre, so sieht man allerdings, daß dasselbe den tatsächlichen Geldvorrat unermeßlich übersteigt. Von diesem Gesichtspunkt aus muß man sagen, daß es sehr viel weniger Geld als Ware gibt, und daß der Bruch zwischen der Ware und ihrem Preise durchaus nicht dem zwischen allen Waren und allem Gelde gleich, sondern, wie sich leicht aus dem vorhergehenden ergibt, erheblich kleiner als dieser ist. Auf zwei Wegen aber läßt sich dennoch unsere grundlegende Proportion retten. Man könnte nämlich, erstens, als das in sie eintretende Gesamtwarenquantum dasjenige ansehen, das sich in aktueller Verkaufsbewegung befindet. Aristotelisch zu reden, ist die unverkaufte Ware nur eine Ware »der Möglichkeit nach«, sie wird zur Ware »der Wirklichkeit nach« erst in dem Moment ihres Verkauftwerdens. Wie das Geld erst in dem Augenblick, wo es kauft, d.h. die Funktion des Geldes übt, wirklich Geld ist, so entsprechend die Ware erst, wenn sie verkauft wird; vorher ist sie Verkaufsobjekt nur vermöge und innerhalb einer ideellen Antizipation. Von diesem Standpunkte aus ist es ein ganz selbstverständlicher, ja identischer Satz, daß es so viel Geld gibt, wie es Verkaufsobjekte gibt - wobei natürlich unter Geld auch alle durch den Kredit und Giroverkehr ermöglichten Geldsubstitute einbegriffen sind. Nun sind zwar die momentan ruhenden Waren keineswegs wirtschaftlich unwirksam, und das wirtschaftliche Leben wäre unermeßlich verändert, wenn auf einmal der Warenvorrat so restlos in die Bewegung jedes Momentes einginge, wie der Geldvorrat es tut. Allein genauer betrachtet scheint mir der ruhende Warenvorrat nur nach drei Seiten hin auf die wirklichen Geldkäufe zu wirken: auf das Tempo des Geldumlaufs, auf die Beschaffung der Geldstoffe oder -äquivalente, auf das Verhältnis der Geldausgaben zu den Reserven. Aber diese Momente haben auf die aktuellen Umsätze schon ihre Wirkung geübt, unter ihrem Einfluß hat sich das empirische Verhältnis zwischen Ware und Preis gebildet, und sie verhindern also gar nicht, in jener fundamentalen Proportion das Gesamtwarenquantum als dasjenige zu verstehen, das sich aus den in jedem gegebenen Moment wirklich geschehenden Käufen zusammensetzt. Das kann aber, zweitens, auch als Folge der Tatsache anerkannt werden, daß dasselbe Geldquantum, weil es nicht wie die Waren konsumiert wird, eine unbegrenzte Zahl von Umsätzen vermittelt und die Geringfügigkeit seiner Gesamtsumme im Verhältnis zu der der Waren, die in jedem isolierten Augenblick besteht, durch die Schnelligkeit seiner Zirkulation ausgleicht. An einigen Höhepunkten des Geldwesens wird es ganz unmittelbar anschaulich, eine wie verschwindend geringe Rolle die Geldsubstanz in den durch sie vermittelten Wertausgleichen spielt: im Jahre 1890 hat die französische Bank auf Kontokorrent das 135fache des tatsächlich darauf eingezahlten Geldes umgesetzt (54 Milliarden auf 400 Mill. Fr.), ja, die Deutsche Reichsbank das 190fache. Innerhalb der funktionierenden Geldsummen, auf die hin die Geldpreisbestimmung. der Waren erfolgt, wird die Geldsumme gegenüber dem, was durch ihr Funktionieren aus ihr wird, eine verschwindende Größe. Man kann deshalb zwar nicht von einem einzelnen Augenblick, wohl aber von einer bestimmt ausgedehnten Periode sagen, daß das Totalquantum des in ihr umgesetzten Geldes der Totalsumme der in ihr verkäuflich gewesenen Objekte entspräche. Der Einzelne macht doch auch seine Ausgaben, bewilligt insbesondere die Preise für größere Anschaffungen nicht von ihrem Verhältnis zu seinem momentanen Geldbestand aus, sondern im Verhältnis zu seinen Gesamteinnahmen innerhalb einer längeren Periode. So mag in unserer Proportion der Geldbruch seine Gleichheit mit dem Warenbruch dadurch gewinnen, daß sein Nenner nicht das substanziell vorhandene Geldquantum, sondern ein durch die Zahl der Umsätze in einer gewissen Periode zu bestimmendes Vielfaches desselben enthält. Von diesen Gesichtspunkten aus läßt sich die Antinomie zwischen den überhaupt vorhandenen und den aktuellen Waren als Gegenwerten des Geldes lösen und die Behauptung aufrecht halten, daß zwischen der Gesamtsumme der Waren und der des Geldes in einem geschlossenen Wirtschaftskreise keine prinzipielle Disproportion herrschen kann - so sehr man über das richtige Verhältnis zwischen einer einzelnen Ware und einem einzelnen Preise streiten mag, so viel Schwankungen und Disproportionalitäten entstehen mögen, wenn eine bestimmte Größe der fraglichen Brüche psychologisch fest geworden und daneben durch objektive Verschiebungen eine andere richtig geworden ist, so sehr namentlich eine rasche Steigerung des Verkehrs einen zeitweiligen Mangel an Umsatzmitteln fühlbar machen mag. Die Metallimporte und -exporte, die aus einem Mangel bzw. einem Überfluß von Geld in dem betreffenden Lande im Verhältnis 2U seinen Warenwerten hervorgehen, sind nur Ausgleichungen innerhalb eines Wirtschaftskreises, dessen Provinzen die beteiligten Länder bilden, und bedeuten, daß das allgemeine, in diesem Wirtschaftskreise jetzt wirkliche Verhältnis zwischen beiden aus der Verschiebung, die es in einem einzelnen Teile erlitten hat, wieder hergestellt wird. Unter diesen Annahmen würde die Frage, ob ein Preis angemessen ist oder nicht, sich unmittelbar aus den beiden Vorfragen beantworten: erstens, welche Summe von Geld und welche Summe von Verkaufsobjekten momentan wirksam sind, und zweitens, welchen Teil des letzteren Quantums das jetzt in Rede stehende Objekt ausmacht. Die letztere ist die eigentlich entscheidende, und die Gleichung zwischen dem Objektbruch und dem Geldbruch kann eine objektiv und berechenbar wahre oder falsche sein, während es sich bei der zwischen den Objekten überhaupt und dem Geld überhaupt nur um Zweckmäßigkeit oder Unzweckmäßigkeit, nicht aber um Wahrheit im Sinne einer logischen Erweislichkeit handeln kann. Dieses Verhältnis der Totalitäten zueinander hat gewissermaßen die Bedeutung eines Axioms, das gar nicht in demselben Sinne wahr ist, wie die einzelnen Sätze, die sich auf dasselbe gründen; nur diese sind beweisbar, während jenes auf nichts hinweisen kann, von dem es sich logisch herleite. Eine methodische Norm von großer Bedeutsamkeit kommt hier zur Geltung, für die ich ein Beispiel aus einer ganz anderen Kategorie von Werten anführen will. Die Grundbehauptung des Pessimismus ist, daß die Gesamtheit des Seins einen erheblichen Überschuß der Leiden über die Freuden aufweise; die Welt der Lebewesen, als eine Einheit betrachtet, oder auch der Durchschnitt derselben, empfinde sehr viel mehr Schmerz als Lust. Eine solche Behauptung ist nun von vornherein unmöglich. Denn sie setzt voraus, daß man Lust und Schmerz, wie qualitativ gleiche Größen mit entgegengesetztem Vorzeichen, unmittelbar gegeneinander abwägen und aufrechnen könne. Das kann man aber in Wirklichkeit nicht, da es keinen gemeinsamen Maßstab für sie gibt. Keinem Quantum Leid kann es an und für sich anempfunden werden, ein wie großes Quantum Freude dazu gehört, um es aufzuwiegen. Wie kommt es, daß dennoch solche Abmessungen in einem fort stattfinden, daß wir sowohl in den Angelegenheiten des Tages, wie in dem Zusammenhang der Schicksale, wie in der Gesamtheit des Einzellebens das Urteil fällen, das Freudenmaß sei hinter dem Maß der Schmerzen zurückgeblieben, oder habe es überschritten? Das ist nicht anders möglich, als daß die Erfahrung des Leben uns - genauer oder ungenauer - darüber belehrt, wie Glück und Unglück tatsächlich verteilt sind, wieviel Leid im Durchschnitt hingenommen werden muß, um ein gewisses Lustquantum damit zu erkaufen, und wieviel von beiden das typische Menschenlos aufweist. Erst wenn hierüber irgendeine Vorstellung besteht, wie unbewußt und unbestimmt auch immer, kann man sagen, daß in einem einzelnen Falle ein Genuß zu teuer - d.h. mit einem zu großen Leidquantum - erkauft ist, oder daß ein einzelnes Menschenschicksal einen Überschuß von Schmerzen über seine Freuden zeige. Jener Durchschnitt selbst ist aber nicht »unverhältnismäßig«, weil er vielmehr dasjenige ist, woran sich das Verhältnis der Empfindungen im einzelnen Falle erst als ein angemessenes oder unangemessenes bestimmt - so wenig wie man sagen kann, der Durchschnitt der Menschen wäre groß oder klein, da dieser Durchschnitt ja erst den Maßstab abgibt, an dem der einzelne Mensch - als welcher allein groß oder klein sein kann - sich mißt; ebenso, wie man nur sehr mißverständlich sagen kann, daß »die Zeit« schnell oder langsam verginge - das Vergehen der Zeit vielmehr, d.h. das als Durchschnitt erfahrene und empfundene Tempo der Ereignisse überhaupt ist die messende Größe, an der sich die Schnelligkeit oder Langsamkeit des Ablaufs der einzelnen Erlebnisse ergibt, ohne daß jener Durchschnitt selbst schnell oder langsam wäre. So also ist die Behauptung des Pessimismus, daß der Durchschnitt des Menschenlebens mehr Leid als Lust aufweise, ebenso methodisch unmöglich wie der des Optimismus, daß er mehr Lust als Leid einschließe; das Empfundenwerden der Gesamtquanten von Lust und Leid (oder, anders ausgedrückt, ihres auf das Individuum oder die Zeitperiode entfallenden Durchschnitts) ist das Urphänomen, dessen Seiten nicht miteinander verglichen werden können, weil es dazu eines außerhalb beider gelegenen und sie gleichmäßig umfassenden Maßstabes bedürfte.

 


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