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III. [Die Objektivität der Wahrheit wie die des Wertes als Relation subjektiver Elemente]

 

Der Begriff der Wahrheit, als einer Beziehung der Vorstellungen zueinander, die an keiner derselben als eine absolute Qualität hafte, bestätigt sich schließlich auch dem einzelnen Gegenstande gegenüber. Einen Gegenstand erkennen, so stellt Kant fest, heißt: in dem Mannigfaltigen seiner Anschauung Einheit bewirken. Aus dem chaotischen Material unseres Weltvorstellens, dem kontinuierlichen Fluß der Eindrücke, sondern wir einzelne als zueinander gehörig aus, gruppieren sie zu Einheiten, die wir dann als » Gegenstände« bezeichnen. Sobald wir die Gesamtheit der Eindrücke, die zu einer Einheit zusammenzubringen sind, wirklich in eine solche versammelt haben, so ist damit ein Gegenstand erkannt. Was aber kann diese Einheit anderes bedeuten, als das funktionelle Zusammengehören, Aufeinanderhinweisen und -angewiesensein eben jener einzelnen Eindrücke und Anschauungsmaterialien? Die Einheit der Elemente ist doch nichts außerhalb der Elemente selbst, sondern die in ihnen selbst verharrende, nur von ihnen dargestellte Form ihres Zusammenseins. Wenn ich den Gegenstand Zucker dadurch als solchen erkenne, daß ich die durch mein Bewußtsein gleitenden Eindrücke: weiß, hart, süß, kristallinisch usw. in eine Einheit zusammenfüge, so heißt das, daß ich diese Anschauungsinhalte als aneinander gebunden vorstelle, daß, unter diesen gegebenen Bedingungen, ein Zusammenhalt, d.h. eine Wechselwirkung unter ihnen besteht, daß der eine an dieser Stelle und in diesem Zusammenhang da ist, weil der andere es ist, und so wechselseitig. Wie die Einheit des sozialen Körpers oder der soziale Körper als Einheit nur die gegenseitig ausgeübten Attraktions- und Kohäsionskräfte seiner Individuen bedeutet, ein rein dynamisches Verhältnis unter diesen, so ist die Einheit des einzelnen Objekts, in deren geistiger Realisierung seine Erkenntnis besteht, nichts als eine Wechselwirkung unter den Elementen seiner Anschauung. Auch in dem, was man die »Wahrheit« eines Kunstwerkes nennt, dürfte das Verhältnis seiner Elemente untereinander sehr viel bedeutsamer sein, gegenüber dem Verhältnis zu seinem Objekt, als man sich klarzumachen pflegt. Sehen wir einmal vom Porträt ab, bei dem wegen des rein individuellen Vorwurfs das Problem sich kompliziert, so wird man von kleineren Bestandstücken aus Werken bildender wie redender Kunst weder den Eindruck der Wahrheit noch den der Unwahrheit empfangen, sie stehen, soweit sie isoliert sind, noch jenseits dieser Kategorie; oder von der anderen Seite angesehen: in Hinsicht der Ansatzelemente, von denen aus das Kunstwerk weitergebildet wird, ist der Künstler frei; erst wenn er einen Charakter, einen Stil, ein Farben- oder Formelement, einen Stimmungston gewählt hat, ist der Zuwachs der weiteren Teile dadurch präjudiziert. Sie müssen jetzt die Erwartungen erfüllen, die die zuerst auftretenden erregt haben. Diese mögen so phantastisch, willkürlich, irreal sein, wie sie wollen; sobald ihre Fortsetzungen sich zu ihnen harmonisch, zusammenhängend, weiterführend verhalten, wird das Ganze den Eindruck der »inneren Wahrheit« erzeugen, gleichviel ob irgendein einzelner Teil desselben sich mit einer ihm äußeren Realität deckt und damit dem Anspruch auf »Wahrheit« im gewöhnlichen und substanziellen Sinne genügt oder nicht. Die Wahrheit des Kunstwerkes bedeutet, daß es als Ganzes das Versprechen einlöst, das ein Teil seiner uns gleichsam freiwillig gegeben hat - und zwar jeder beliebige, da eben die Gegenseitigkeit des Sichentsprechens jedem einzelnen die Qualität der Wahrheit verschafft. Auch in der besonderen Nuance des Künstlerischen ist also Wahrheit ein Relationsbegriff, sie realisiert sich als ein Verhältnis der Elemente des Kunstwerkes untereinander, und nicht als eine starre Gleichheit zwischen jedem derselben und einem ihm äußeren Objekt, das seine absolute Norm bilde. Wenn demnach Erkennen überhaupt bedeuten soll: den Gegenstand in seiner »Einheit« erkennen, so bedeutet es, wie man andrerseits gesagt hat, ihn in seiner »Notwendigkeit« erkennen. Beides steht in einem tiefen Zusammenhange. Notwendigkeit ist eine Relation, durch die die gegenseitige Fremdheit zweier Elemente zu einer Einheit wird - denn die Formel der Notwendigkeit ist: wenn A ist, so ist B; diese notwendige Beziehung besagt, daß A und B die Elemente einer bestimmten Einheit des Seins oder Geschehens sind - wobei »notwendige Beziehung« eine völlig einheitliche, und nur durch die Sprache zerlegte und wieder zusammengesetzte Relation bedeutet. Jene Einheit des Kunstwerks ist ersichtlich genau dasselbe wie diese Notwendigkeit; denn sie entsteht eben dadurch, daß die verschiedenen Elemente des Kunstwerks sich gegenseitig bedingen, eines notwendig da ist, wenn das andere gegeben ist und so wechselseitig. Und nicht nur unter. den so verknüpften Dingen ist die Notwendigkeit eine Relationserscheinung, sondern an sich selbst und ihrem reinen Begriffe nach. Von den beiden allgemeinsten Kategorien nämlich, aus denen wir das Erkennntnisbild der Welt bauen: dem Sein und den Gesetzen - enthält keine für sich Notwendigkeit. Daß überhaupt eine Wirklichkeit da ist, wird durch kein Gesetz notwendig gemacht, keinem logischen oder Naturgesetze wäre widersprochen, wenn es überhaupt kein Dasein gäbe. Und ebensowenig ist es »notwendig«, daß Naturgesetze existieren; sie sind vielmehr bloße Tatsachen, wie das Sein, und erst wenn. sie existieren, sind die ihnen unterworfenen Ereignisse » notwendig«; es kann kein Naturgesetz geben, daß es Naturgesetze geben müsse. Was wir Notwendigkeit nennen, besteht nur zwischen dem Sein und den Gesetzen, es ist die Form ihres Verhältnisses. Beides sind bloße, prinzipiell voneinander unabhängige Wirklichkeiten: denn das Sein ist denkbar, ohne daß es unter Gesetzen steht, und der Komplex der Gesetze würde gelten, auch wenn es kein ihm gehorsames Sein gäbe. Erst wenn sie beide da sind, erhalten die Gestaltungen des Seins Notwendigkeit, mit ihr oder in ihrer Gestalt stellt sich das Sein und die Gesetze als die Elemente einer uns unmittelbar nicht faßbaren Einheit dar: sie ist die Relation, die sich zwischen dem Sein und den Gesetzen knüpft, keinem von beiden für sich einwohnend, sondern nur dadurch das Sein beherrschend, daß Gesetze sind, nur dadurch den Gesetzen als ein Sinn und Bedeutung ihrer zukommend, daß es ein Sein gibt.

 


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