Baumeister - Vorschriften für Architekten


Aus diesen Betrachtungen lassen sich folgende Vorschriften, die den Baumeister in seinem Studieren führen sollen, herleiten. Er muss zuvorderst durch Erlernung der Historie und der philosophischen Wissenschaften seine Seelenkräfte fleißig üben und stärken, auch sich die nötige Gründlichkeit und Scharfsinnigkeit verschaffen. Der künftige Baumeister muss so gut wie der Dichter von Jugend auf in Künsten und Wissenschaften geübt werden. Nachdem er die allgemeine Wissenschaften hinlänglich getrieben, muss er sich insbesondere in den mathematischen Wissenschaften gründlich unterrichten lassen; sich auf das Zeichnen legen, welches er so treiben muss als wenn er ein Maler werden wollte, damit er nicht nur dadurch einen feinen Geschmack für das Schöne in Figuren und Zierraten bekomme, sondern im Fall es nötig ist, dergleichen Sachen auch selbst angeben könne.

Wenn er sich diese vorläufige Wissenschaften und Künste erworben hat, so muss er seinen Fleiß vornehmlich auf die Betrachtung der vornehmsten Gebäude richten, welche in den verschiedenen Ländern von Europa zerstreut sind. Zuerst muss er die verschiedenen Schriften der vornehmsten Baumeister mit großem Fleiß lesen, sich ihre Regeln bekannt machen, und nach denselben zeichnen. Hierauf schafft er sich von den Zeichnungen schöner Gebäude, Gärten und ganzer Städte an, so viel er habhaft werden kann. Diese betrachtet er mit einem nachforschenden Auge, zuerst nach ihrem ganzen Ansehen, wobei er genau auf die Empfindung, die sie in ihm erwecken, Acht haben muss. Hernach betrachtet er jeden Teil insbesondere in seiner Verhältnis zum ganzen, in seiner Stellung, in seiner Figur, in seinen Verzierungen und in den Verhältnissen seiner kleineren Teile, mit Zirkel und Maßstab in der Hand.

Bei diesen Untersuchungen ist es sehr wesentlich, dass er beständig auf die allgemeinen Grundsätze der Baukunst zurücksehe und jeden Teil des Gebäudes gleichsam frage: warum bist du da? wie erfüllst du deinen Endzweck? was tust du zum Ansehen, zur Festigkeit, zur Bequemlichkeit, zur Zierrat? tust du deiner Bestimmung vollkommen und auf das beste genug? Hierbei ist es überaus notwendig, dass der Baumeister sich auch durch kein Ansehen verblenden lasse. Sieht er etwas, davon kein hinlänglicher Grund vorhanden ist oder das seiner Bestimmung kein Genügen tut oder das gar wider notwendige Regeln oder doch gegen den Geschmack streitet, so soll ihn weder die Ehrfurcht für das Altertum, noch das Ansehen eines Palladio, noch der allgemeine Gebrauch abhalten, es zu verwerfen und sich selbst dafür zu warnen. Die besten neuen Baumeister haben grobe Fehler begangen und gewisse den guten Geschmack beleidigende Dinge haben fast überall Vergebung gefunden.

Wenn der Baumeister sich durch Schriften und Zeichnungen eine gute Kenntnis erworben hat, so reise er, wenn er kann, nach Italien und Frankreich und versäume nirgend, die besten Gebäude so wohl von Außen als innen genau zu betrachten; die Ausübung der Regeln darin zu entdecken und das gute, das ihm noch nicht bekannt gewesen, daran zu erkennen. Bei diesen Reisen muss er nicht bloß einzelne Gebäude an sich betrachten, sondern sie im Zusammenhange mit dem Platz, worauf sie stehen und in der Verbindung mit anderen nach allen Regeln untersuchen.

Von einem vollkommenen Baumeister aber fordern wir nicht bloß die Fähigkeit, einzelne Gebäude anzugeben. Dies ist das, was er am leichtesten lernen kann. Er muss ganze Plätze schön zu bauen, ganze Städte anzulegen und denselben von Innen und von Außen alle mögliche Bequemlichkeiten und Schönheiten zu geben wissen. Dazu gehören Einsichten, die ins große gehen und die einen Mann von mehr als gewöhnlichem Genie erfordern. Seine Einsichten müssen sich von der gemeinen Hauswirtschaft der Bürger bis auf die Haushaltung der Großen, so wohl in den Städten als auf dem Lande, von da bis zum Hofhalten der Fürsten und endlich bis zu dem großen der Policeiwissenschaft ganzer Städte und Länder erstrecken. Nur derjenige, der sich solcher weitläufigen Kenntnis be wußt ist, muss sich unterstehen, der Baumeister eines großen Herrn zu werden.

In der Weitläufigkeit der Talente und der Kenntnisse eines vollkommenen Baumeisters und in der kostbaren Art, sie zu erlangen, liegt ohne Zweifel der Grund, warum er seltener als ein großer Maler oder ein großer Dichter ist. Billig sollte in jedem Staat eine Einrichtung gemacht sein, große Baumeister zu ziehen, und dieser zufolge sollten aus der Baumeisterschule die fähigsten ausgesucht und in ihrer Kunst auf öffentliche Unkosten ausgebildet werden. Denn jedem Staat ist daran gelegen, dass eine Anzahl guter und redlicher Baumeister gesetzt werde, welche von dem Staat reichlich bezahlt werden. Dagegen müssten sie verbunden sein, gegen mäßige Erkenntlichkeit jedem Privatmanne in Bausachen beizustehen, damit er nicht in Gefahr komme, durch den Unverstand oder die Gewinnsucht der Arbeitsleute, einen beträchtlichen Verlust an seinem Vermögen zu leiden.


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