Bezifferung

Bezifferung. (Musik) Die Bezeichnung der Akkorde des Generalbasses, durch Ziffern oder durch andere Zeichen. Derjenige, welcher den Generalbass spielt, schlägt mit der linken Hand die Töne des Basses an, mit der rechten Hand aber die, zu den Basstönen gehörigen, Akkorde. Man ist gewohnt, nur die Basstöne durch Noten auszudrucken, die Akkorde aber durch Ziffern, welche über die Bassnoten gesetzt werden. Es gibt zwar Spieler, die sich rühmen, den Generalbass ohne Bezifferung richtig zu spielen; allein dieses ist nur dann möglich, wenn sie die Partitur des Tonstücks vor sich haben. Da es eine ganz bekannte Sache ist, dass über einerlei Bass mehrere, ganz von einander abgehende, Harmonien können genommen werden; so ist offenbar, dass der Generalbassspieler ohne Bezifferung nicht wissen kann, welche von allen möglichen Harmonien der Tonsetzer gewählt hat und es geschieht nur von ungefähr, wenn er die wahre trift. Wir wollen denen, die sich berühmen, einen unbezifferten Generalbass richtig zu spielen, das Urteil eines der größten Meister zur Warnung anführen. »Wir sehen allenthalben, (sagt er,) dass zu einem guten Accompagnement noch sehr viel gehöre, wenn auch die Bezifferung so ist, wie sie sein soll. Es erhellt hieraus das Lächerliche der Anfoderung, unbezifferte Bässe zu accompagniren; und man sieht zu gleich die Unmöglichkeit ein, die letztern dergestallt abzufertigen, dass man nur einigermaßen zufrieden sein könnte.« [S. Bach über die wahre Art das Klavier zu spielen. II. Teil. S. 298.] Es erhellt hieraus, dass die Bezifferung des Generalbasses eine ganz notwendige Sache sei.

Deswegen ist auch zu wünschen, dass die größten Meister sich vereinigten, die vollkommenste Bezifferung ausfindig zu machen und dieselbe dann durchgehends einzuführen. Denn noch jetzt ist die Methode zu beziffern nicht nur unvollkommen, sondern auch wankend, indem einerlei Akkorde nicht immer auf einerlei Art bezeichnet werden.

Die gewöhnlichen Bezifferungen werden hier nicht angeführt, weil sie, jede in dem Artikel von dem Akkord, den sie bezeichnet, besonders angezeigt worden. Also wird hier nur dasjenige angeführt, was die Bezifferung überhaupt betrift.

Die Unvollkommenheit der Bezifferung erhellt daraus, dass es auch bei den mit größtem Fleiß bezifferten Bässen so sehr schwer ist, alle Fehler zu vermeiden. Der Begleiter muss, außer den vor sich habenden Zeichen, noch gar zu viel besondere Regeln in acht nehmen, um nicht zu fehlen. Denn zur guten Begleitung wird nicht bloß erfordert, dass man zu jeder Bassnote den rechten Akkord nehme, sondern, dass er in der schicklichsten Höhe und in der schicklichsten Gestalt genommen werde. Bis jetzt ist noch keine Be zifferung bekannt, die diese beiden Umstände andeutet. So begnügt man sich z. B. den Sextenakkord durch die Ziffer 6 anzudeuten; ob aber die Sexte oben oder unten oder in der Mitte liegen soll, ob sie verdoppelt werden soll, ob man die Terz dabei verdoppeln oder ob man die Oktave dazu nehmen soll, wird durch keine Bezifferung angedeutet. Daher entsteht die Notwendigkeit der erstaunlichen Menge von Regeln, die auch bei bezifferten Bässen noch in acht zu nehmen sind. Eine andere Unvollkommenheit ist die Menge der Zeichen, die oft zu einem einzigen Akkord erfordert werden; von denen noch dazu jedes durch oder b oder kann verändert werden; da es denn kaum möglich ist, in der nötigen Geschwindigkeit sich in alles zu finden.

Es wäre vielleicht nicht unmöglich, diesen Unvollkommenheiten der Bezifferung abzuhelfen, wenn nur die besten Meister sich die Sache mit Ernst angelegen sein liessen. Wir wünschten vornehmlich, dass ein Kunstverständiger versuchen möchte, ob nicht die Bezifferungen dadurch zu erleichtern wären, dass man über der Bassnote, so oft es angeht, mit einem Buchstaben den Ton anzeigte, dessen Dreiklang oder Sexten- oder Septimenakkord, den eigentlichen zum Bass gehörigen Akkord ausmacht. Folgendes Beispiel wird dieses erläutern: Der gemeine Sextenakkord in der ersten Abteilung könnte so angedeutet werden, wie in der zweiten Abteilung zu sehen ist, wo der Buchstabe c andeutet, dass die rechte Hand den zu c gehörigen Dreiklang anschlägt. Der Quartsextenakkord der dritten Abteilung würde ebenfalls durch c angezeigt; der Akkord auf H könnte durch angedendet werden, weil der Septimenakkord von G, mit der rechten Hand gegriffen, den Akkord zu H ausmacht. So würde also dasselbe Zeichen anstatt der drei verschiedenen Bezifferungen , dienen können. Wir überlassen den Meistern der Kunst, dieser Sache nachzudenken, und das Urteil zu fällen, ob auf eine solche Art die so gar große Anzahl der Bezifferungen oder sogenannten Signaturen nicht zu vermeiden und dadurch die ganze Sache zu erleichtern wäre.

Oft werden die Bezifferungen, entweder aus Mangel der Überlegung oder auch wohl aus Vorbedacht, um den Sachen ein gelehrtes Ansehen zu geben, ohne Not vermehrt, da sie auf durchgehende Bassnoten gelegt werden, wie aus folgenden Beispielen erhellt: Es ist ganz ungereimt, die Bezifferungen so anzubringen, wie hier bei a, b und c, da die bezifferten Noten nur durchgehend sind. Verständige Tonsetzer schreiben diese Fälle wie bei d, e und f, steht, um anzuzeigen, dass die zur zweiten Note gehörige Harmonie, gleich auf der ersten angeschlagen werde.

Diese ganze Materie von der vollkommensten Bezifferung verdient von einem erfahrnen Tonsetzer vom Grund aus untersucht zu werden, damit einmal eine so gar wichtige Sache zu einer größeren Vollkommenheit könne gebracht werden.


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