Bildhauerkunst - Bildhauer der Neuzeit


Es sind also in Griechenland und vielleicht in Rom, alle Jahrhunderte durch, die von dem Untergang Roms, bis auf die Wiederherstellung der Wissenschaften, verflossen sind, Bildhauer gewesen: aber ihre Werke verdienten nicht auf uns zu kommen; oder wenn sie sich erhalten haben, so verdienen sie wenigstens unsere Aufmerksamkeit nicht. Es fehlt uns an einer gründlichen Geschichte von der Wiederherstellung dieser Kunst, so weit sie wieder hergestellt ist. Sie hat in Italien angefangen, sich wieder aus dem Staub empor zu heben. Die Gelegenheit dazu scheinen die reichen Handlungsstädte dieses Landes, besonders Pisa, gegeben zu haben. Der erworbene Reichtum machte ihnen Lust zu bauen; man ließ Baumeister und Bildhauer aus Griechenland kommen und man brachte auch antikes Schnitzwerk, aus den Trümmern der ehemaligen griechischen Gebäude, nach Italien. Man erwähnt namentlich eines gewissen Nicolaus aus Pisa, vom 13ten Jahrhundert, der von den Griechen die Bildhauerkunst gelernt und seinen Geschmack nach dem, was er von dem Antiken gesehen hat, soll gebildet haben. Um dieselbe Zeit soll auch in Rom, in Bologna und in Florenz, die Kunst aufs neue aufgekeimt haben. Auch wird ein Andreas von Pisa um dieselbe Zeit als ein guter Bildhauer genannt. Um das Jahr 1216 verfertigte ein gewisser Marchione das Grabmal Pabst Honorius III. in einer zu Sta. Maria Maggiore gehörigen Kapelle, welches schon Spuren des wiederkommenden guten Geschmacks zeigen soll. Zu Anfang des 15ten Jahrhunderts finden wir schon einen Mann, dessen Arbeit selbst Michel Angelo soll bewundert haben: nämlich Lorenzo Ghiberti, der aus einem Goldarbeiter ein Bildhauer und Stempelschneider geworden. Von ihm sind die aus Erzt gegossenen Türen der Kirche des h. Johannis des Täufers in Florenz, die Mich. Angelo für würdig erklärt hat, an dem Eingange des Paradieses zu stehen. Um dieselbe Zeit lebten auch in Florenz noch andere geschickte Bildhauer, Donat oder il Donatello, Bruneleschi und Andr. Verochio. Von diesem ist das gegossene Bild zu Pferde, des Bartolomeo Cleone von Bergamo, das in Venedig auf dem Platz des heil. Johannis und des heil. Paulus steht. Bald nach diesen kam Michel Angelo, den man mit Recht unter die größten Bildhauer der neueren Zeit setzt. Durch ihn wurde also diese Kunst einigermassen in Italien wieder hergestellt und von da breitete sie sich auch danach in andere Länder, diesseits der Alpen aus.

Allein den Glanz und die Größe, die sie vormals in Griechenland gehabt hat, konnte sie aus mehreren Ursachen, unter den Händen der Neueren nicht wieder bekommen. Athen hat wahrscheinlicher Weise so viel Bildhauer gehabt als gegenwärtig in ganz Europa sind. Was ist aber natürlicher als dass unter hundert Menschen, die sich auf eine Kunst legen, eher ein großer Kopf sich findet als unter zehn? Und dass, bei einerlei Genie, die Nacheiferung und die daher entstehende vollkommene Entwicklung der Talente stärker sein müsse, wo viel Künstler zusammen sind als wo sie einzeln leben? Daraus allein lässt sich schon abnehmen, dass die Neueren in dieser Kunst überhaupt hinter den Griechen zurück bleiben.

Ein anderer sehr starker Grund, der den Vorzug der Griechen über die Neueren vermuten liesse, wenn wir ihn nicht durch die Erfahrung wüßten, liegt in dem Gebrauch der Kunst. Es scheint sehr widersinnig und doch ist es wahr, dass die eingebildeten Gottheiten der Griechen den Künstlern mehr Stoff zum großen Aus druck gegeben haben als die Heiligen geben, die von den Christen verehrt werden, (denn die Gottheit selbst abzubilden, untersteht sich niemand mehr,) deren Tugenden mehr stille Privattugenden als große und heldenmütige Bestrebungen der Seele gewesen sind. Welcher von beiden Künstlern natürlicher Weise zu größeren Gedanken werde gereizt werden, der, der einen Herkules oder der andre, der einen heiligen Anachoreten zu bilden hat, lässt sich ohne alle Mühe erkennen. Eben so große Vorteile lagen auch in der politischen Anwendung der Kunst unter den Griechen. Niemand, der nicht in der Geschichte der Menschlichkeit ganz fremd ist, kan daran zweifeln, dass die Bildhauer in Athen größere Helden und überhaupt größere Männer und beide in größerer Zahl, vor ihren Augen gehabt als irgend ein neuer Künstler haben könnte; dass die Taten und Tugenden dieser Männer, natürlicher Weise, die Einbildungskraft und das Herz der damaligen Künstler weit mehr müsse erwärmt haben als ähnliche Fälle gegenwärtig tun würden.

Was von den Rednern in Athen angeführt worden [s. Beredsamkeit], gilt auch von den Bildhauern. Jederman war ein Kenner und der Künstler hatte das Lob und den Tadel aller seiner Mitbürger zu erwarten. Ein ganzes Publikum, unter dessen Augen er beständig war, hatte auch seine Arbeit täglich vor Augen, und wußte sie zu be urteilen. Dass auch dieses eine große Wirkung auf die Künstler müsse gehabt haben, kann nicht in Zweifel gezogen werden. Das honos alit artes, ist nicht nur von der Menge der Künstler zu verstehen, sondern vornehmlich von der Nahrung, die der Geist, zu Erhöhung der Talente, von der Hochachtung bekommt, die man Künstlern erweißt.

Dass endlich auch die Bildung des Menschen oder die Natur, deren Studium dem Künstler die Begriffe an die Hand gibt, die sein Genie danach veredelt, und bis zum Ideal erhöhet, in Griechenland vollkommener gewesen und durch die griechischen Sitten sich freier entwickelt habe als es unter den neueren Völkern geschieht, ist von Winkelmann gründlich dargetan worden.

Wenn also in dieser Kunst, wie in so manchen anderen Dingen, die Griechen unsere Meister sind, so ist es nicht dem Mangel an Genie, sondern verschiedenen, teils natürlichen, teils zufälligen Ursachen zuzuschreiben, die den Griechen günstiger als uns gewesen sind.

Wiewohl nun die Neueren wirklich einige große Bildhauer gehabt haben, so kann man doch nicht eigentlich sagen, dass die Bildhauerkunst jemal in den neueren Zeiten, in wirklichem Flor gewesen sei: denn dazu gehört in der Tat mehr als dass etwa alle zehn Jahre in irgend einer Hauptkirche oder in einer gro ssen Hauptstadt, ein Bild von einiger Wichtigkeit, zur öffentlichen Verehrung aufgestellt werde. Dass bei günstigen Umständen ein Michel Angelo und auch unsere Deutsche, ein Schlüter und ein Balthasar Permoser, sich zu der Größe der guten griechischen Bildhauer würden erhoben haben, daran lässt sich mit Grund nicht zweifeln.


 © textlog.de 2004 • 29.03.2024 09:11:04 •
Seite zuletzt aktualisiert: 14.11.2004 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright  A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  Z