5. Pädagogik


Von ihr gehören freilich in eine Geschichte der Philosophie nur die grundlegenden Prinzipien; von den meisten Philosophiehistorikern wird sie entweder überhaupt nicht behandelt oder nur flüchtig gestreift. Pädagogik gründet sich auf Ethik und Psychologie. Jene zeigt das Ziel; diese Weg, Mittel und Hindernisse. Aber tatsächlich ist der Anteil, welchen Herbart der Ethik an dieser Begründung zuweist, ziemlich dürftig. Er beschränkt sich in der Hauptsache darauf, dass - und auch noch nicht einmal überall - als »das Ganze des pädagogischen Zwecks« Tugend, d.h. die »in einer Person zur beharrlichen Wirkung gediehene« innere Freiheit, das »richtige Verhältnis von Einsicht und Wille« bezeichnet wird, wenn auch natürlich die übrigen Ideen gelegentlich »durchlaufen« werden. So fällt denn die nahezu alleinige Begründung der Pädagogik der Psychologie zu, der ja auch der pädagogische »Grundbegriff«, die Bildsamkeit des Zöglings, angehört.

Die Erziehungsaufgabe zerfällt in drei Hauptstücke: 1. Regierung, 2. Unterricht, 3. Zucht, d. i. Willens oder Charakterbildung. Die »Regierung« will eigentlich bloß durch »Disziplin« und »Gewöhnung« die Vorbedingung zu den beiden übrigen; die äußere Ordnung schaffen, die Autorität des Erziehers und den Gehorsam des Zöglings sichern, geht also genau genommen in der »Zucht« auf. »Unterricht« und »Zucht« aber werden nicht klar genug voneinander geschieden, sondern vielfach vermischt; es wird das auch heute noch viel gemißbrauchte Schlagwort vom »Erziehenden Unterricht« geprägt. Einerseits wird der Unterricht einseitig in den Dienst der Zucht gestellt, anderseits soll dem Erzieher die Bildung des »Gedankenkreises«, d.h. bestimmter Vorstellungsmassen, »alles« sein. »Nur aus Gedanken werden Empfindungen und daraus Grundsätze und Handlungsweisen.« Der sittliche Charakter beruht eben auf der harmonischen Ausbildung des Menschen, und diese auf der »gleichschwebenden Vielseitigkeit des Interesse«, das nicht in »einseitig« empirisches, spekulatives, ästhetisches, sympathetisches, gesellschaftliches oder religiöses Interesse ausarten darf, also dem Eklektizismus freiesten Spielraum gewährt. Von den sozialen Ideen eines Pestalozzi blieb Herbarts rein individualistische und intellektualistische Erziehungslehre unberührt. Trotz solcher prinzipieller Schwächen*) hat Herbart sich durch seine pädagogischen Schriften unleugbar große, wenn auch öfters allzu eifrig gepriesene, Verdienste um die pädagogische Theorie und Praxis erworben, und sein heute noch wirksamer Einfluß beruht weit mehr als auf seiner kaum mehr verteidigten allgemeinen Philosophie, auf dieser Seite seiner Tätigkeit, die von seinen Anhängern und Nachfolgern weiter gebildet worden ist.

 

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*) Eine zusammenfassende Kritik derselben in allgemeinverständlicher Sprache gibt P. Natorp: Herbart, Pestalozzi und die heutigen Aufgaben der Erziehungslehre, Stuttgart 1899, jetzt auch in Natorps Gesammelten Abhandlungen zur Sozialpädagogik (1907) Bd. I, 203 - 343. Weitere Untersuchungen über Herbarts Pädagogik a. ebd., S. 345 - 510. Die soziale Pädagogik Natorps, der sich an Kant und Pestalozzi anlehnt, hat den Herbartianismus unter unseren Volksschulpädagogen neuerdings stark zurückgedrängt.


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