1. Angewandte Ethik


Soweit der Affekt eine Leidenschaft ist, ist er eine verworrene Vorstellung. Er hört auf, eine Leidenschaft zu sein, sobald wir eine »klare und deutliche« Vorstellung von ihm bilden, wie das von jedem Affekt möglich ist. In je höherem Maße der Geist alle Dinge als notwendig ansieht, um so mehr Macht hat er über die Affekte. Und die Affekte, die aus der Vernunft entspringen, sind stärker als alle anderen. Von diesen Grundsätzen aus ergibt sich für jeden »unter der Leitung der Vernunft« Stehenden die richtige Lebensweise (recta vivendi ratio). Wir beschränken uns darauf, im folgenden aus dieser angewandten Ethik einiges auf das sozialethische Gebiet Bezügliche herauszugreifen.

Nichts Nützlicheres, sagt Spinoza, scheinbar im strikten Gegensatze zu Hobbes, gibt es für den Menschen als der Mitmensch, der - gleichfalls von der Vernunft geleitet wird; denn beide fördern und erhöhen gegenseitig ihr wahres Glück und ihre Vollkommenheit. Keiner sucht für sich zu erlangen, was er nicht auch den anderen wünscht. Freilich bilden - und damit nähert er sich wieder dem Hobbesschen Pessimismus - die Neid- und Haßerfüllten die Mehrzahl, aber diese soll man durch Liebe und Edelmut zu überwinden suchen. Und, »weil wir unter den Einzeldingen nichts Herrlicheres kennen als einen Menschen, der von der Vernunft geleitet wird, so kann niemand in höherem Maße zeigen, wieviel seine Kunst und sein Geist vermag, als indem er die Menschen so erzieht, dass sie endlich dem eigenen Gebot der Vernunft gemäß leben« Auf Eintracht und Freundschaft unter den Menschen muß hinarbeiten, wer seinen wahren Nutzen und vernünftigen Lebensgenuß erstrebt; denn aus der Gemeinschaft entspringen schließlich doch mehr Vorteile als Nachteile. Der Vernunftmensch ist freier in einem Staat, in dem er nach gemeinsamen Gesetzen lebt, als in der Isoliertheit, in der er bloß sich selbst gehorcht. Nicht Mitleid, sondern Gerechtigkeit, Billigkeit, Sittlichkeit und Religion soll man zu diesem Zwecke fördern. Die Sorge für die Armen und Bedürftigen ist nicht Sache des einzelnen, sondern der Gemeinschaft.


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