4. Posthume Schriften


Dem ist es wohl auch zuzuschreiben, dass Spinoza selbst keine Schriften mehr veröffentlicht hat. Seine übrigen Werke sind erst nach seinem Tode herausgegeben worden. Noch in dem Todesjahre (1677) erschien ein Band: B. d. S., Opera posthuma, besorgt von ungenannt bleibenden Freunden, mit einer lateinisch geschriebenen Vorrede (wahrscheinlich von dem Mennoniten J. Jelles), die ihn gegen den Vorwurf des Atheismus verteidigte und seine Lehre für identisch mit dem wahren Christentum erklärte. Er enthält: 1. das systematische Hauptwerk, die Ethica ordine geometrico demonstrata, in fünf Teilen (oft überarbeitet, 1665 z.B. zerfiel das Werk noch in drei Teile, auch der alten holländischen Übersetzung von 1677 liegt vielfach ein anderer Text zugrunde); 2. den nicht lange vor seinem Tode verfaßten Tractatus politicus (nicht zu verwechseln mit dem theologisch-politischen), »in dem bewiesen wird, wie eine Gesellschaft, in der Monarchie oder Aristokratie besteht, eingerichtet sein muß, damit sie nicht der Gewaltherrschaft anheimfällt und Friede und Freiheit der Bürger unverletzt bleibt«, 3. den wahrscheinlich schon vor 1661 abgefaßten Traktat »Über die Läuterung des Verstandes (De intellectus emendatione) und den Weg, den man am besten zur wahren Erkenntnis der Dinge einschlägt« (unvollendet); 4. Briefe von Gelehrten an B. d. S. und des Verfassers Antworten an sie (74 Nummern, dazu jetzt 9 neue); endlich 5. den Abriß einer hebräischen Grammatik, in der man die Vorliebe des Substanz-Philosophen für das Substantiv bezeichnend gefunden hat. Neu aufgefunden und 1852 in holländischer Übersetzung von Böhmer herausgegeben wurde der ebenfalls aus Spinozas Jugend (1658-60) stammende »kurze« Traktat De Deo et homine eiusque felicitate, vollständiger von van Vloten, Amsterdam 1862, deutsch mit Erläuterungen von Sigwart (2. Aufl. 1881) und Schaarschmidt (Philos. Bibl. 3. Aufl. 1907). Ursprünglich nicht zum Druck, sondern für einen kleinen Freundeskreis bestimmt, ist er nicht völlig ausgearbeitet. Seinen holländischen Kommentar zum Pentateuch hat Spinoza selbst vernichtet.

Gesamtausgaben wurden erst, nachdem durch Jacobi, Goethe u. a. das Interesse für den lange verkannten und fast unbekannten Philosophen neu geweckt worden war, d.h. seit Anfang des 19. Jahrhunderts veranstaltet, die erste von dem bekannten Rationalisten Paulus, Jena 1802 bis 1803. Die letzte und vollständigste ist die von van Vloten und Land, 2 Lexikonbände, Hagae 1882/83, 2. Aufl. 3 Bde. 1895. Deutsche Gesamtübersetzungen lieferten Berthold Auerbach, der Spinozas Leben auch zu einem Roman verarbeitet hat, und Kirchmann-Schaarschmidt in der Philos. Bibl. (2 Bde.). Letztere ist jetzt in zeitgemäßer Neuausgabe von Baensch (Ethik 1910), Buchenau (Cogitata etc. 1907), die übrigen von Gebhardt (1907-14) erschienen. Eine große Gesamtausgabe wird von dem letztgenannten Spinozakenner im Auftrage der Heidelberger Akademie der Wissenschaften vorbereitet. Vgl. auch dessen Inedita Spinozana (Heidelberg 1917).

Die früheste Skizzierung von Spinozas Standpunkt bietet der »kurze« Traktat; hier erscheint er noch den italienischen Naturphilosophen (Telesio, Bruno, Campanella) verwandt. Die das ganze All und so auch uns erfüllende göttliche Intuition ist Ausgangspunkt und Endziel, wir sind »Sklaven Gottes«, unser Erkennen nur ein Leiden. Die Abhandlung Über die Läuterung des Verstandes gibt bereits den methodischen Unterbau des Systems in seinen Grundzügen und kann daher mit diesem zusammen behandelt werden. Von einer genaueren Entwicklungsgeschichte seiner Lehre, insbesondere von der weitschichtigen Frage des Einflusses früherer Philosophen auf ihn, zu der Avenarius, Cassirer, Dilthey, Freudenthal, Gebhardt, Joël, Tönnies u. a. wertvolle Beiträge geliefert haben, darf hier um so eher abgesehen werden, da sie einerseits noch nicht genug geklärt, anderseits gerade bei Spinoza doch nur von sekundärem Werte erscheint. Ob man ihn mit Kuno Fischer (Gesch. d. neuer. Phil. II) wesentlich als Weiterbildner Descartes' ansieht oder mit Freudenthal einen bedeutenden Einfluß der jüdisch-christlichen Philosophie des Mittelalters, oder mit Cassirer und Dilthey der italienischen Naturphilosophie auf seine philosophische Entwicklung annimmt: das fertige System erscheint gerade bei Spinoza, wie bei wenig anderen, als ein Werk aus einem Gusse.


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