Handel


Neben der einfachen körperlichen Hervorbringung von Gütern und der dazu erforderlichen körperlichen Arbeit benötigt es, damit der Bedarf, dem diese Güter dienen sollen, befriedigt werde, noch eines andern: sie müssen demjenigen zugeführt werden, der sie verbrauchen soll und will und zu dem Zeitpunkt, in welchem dies der Fall ist. Dazu steht der heutigen Gesellschaftsordnung das Mittel des Güteraustausches zu Gebote und diejenige Tätigkeit, welche den Güteraustausch vermittelt, ist der Handel. Die älteste patriarchalische Familiengemeinschaft bedurfte seiner nicht, da sie grundsätzlich nur verzehrte, was sie hervorbrachte und umgekehrt. Erst mit dem Erwachen des Bedarfes nach Luxusartikeln begann der Tauschverkehr. Metallene Geräte, Bernstein, Edelmetalle und Stoffe von hohem Werte sind die ältesten Gegenstände des Handels. Er lag in den Händen des wandernden Kaufmannes. Als Landfremder rechtlos und mit abergläubischer Scheu betrachtet, stand der gehaßte und doch unvermeidliche Mann unter dem Schutze der Götter, ähnlich wie etwa giftige Schlangen im alten Orient angebetet zu werden pflegten. Mit der Zeit gestalteten sich die Beziehungen regelmäßiger, und es entstanden neben dem wandernden Kaufmann die großen, periodischen Märkte, wie wir sie noch jetzt in Mittelasien finden. Auch hier sind es einander Stammfremde, die miteinander handeln. Die »Internationalität« stand an der Wiege des Handels-Kapitals. Innerhalb der Gemeinschaft von Stammesgenossen und unter diesen selbst kannte man den Handel so wenig, wie das Nehmen von Zinsen. Unentgeltlich, wie noch heute in altväterischen Dörfern fern von der Stadt, lieh man Saatgut und Ackergeräte, und »unter Brüdern« gab es keinen nach Angebot und Nachfrage bestimmten Preis von Gütern. Auch als an die Stelle der großen Familienwirtschaft der Horden und Sippen mit dem Erstehen regelmäßigen Ackerbaues die Wirtschaft selbständig in Dörfern und Höfen nebeneinander existierender Bauern getreten war, blieb dieser Gegensatz bestehen. – Das änderte sich mit der Entstehung der Städte. Sie bedeutet das Hineintragen eines rein geschäftlichen Verkehrs in die alten Gemeinschaften selbst, den ersten Schritt zu ihrer Zersetzung. Neben die internationalen Märkte, auf welchen die Luxusartikel des Auslandes gehandelt wurden, traten die regelmäßigen städtischen Märkte, auf welchen sich die ländlichen Produzenten von Nahrungsmitteln und die städtischen Produzenten von gewerblichen Produkten begegneten und ihre Waren austauschten. Diese Wirtschaftsweise also kannte und benötigte des Tauschverkehrs als eines regelmäßigen Elements. Aber immer noch war der Bruchteil, den der einzelne von den durch ihn hervorgebrachten Gütern zu Markte brachte, ein geringer: Der städtische Gewerbetreibende war neben seinem Handwerk zumeist auch Landwirt (Ackerbürger), der Bauer verzehrte den größten Teil seiner Produkte selbst, nur der Ueberschuß kam zu Markt. Aber neben dem Handwerk, welches für die Versorgung der Stadt und ihres wenige Meilen im Umkreis umfassenden Bezirks arbeitete, erschien in den Städten alsbald noch ein anderes Element. Der wandernde und landfremde Kaufmann wurde ersetzt und verdrängt durch den ansässigen, einheimischen Kaufmannstand, der im Wege regelmäßiger Geschäftsverbindung Waren, welche das einheimische Gewerbe nicht hervorbrachte, von auswärts bezog. Es entstand der berufsmäßige Importhandel, und andererseits entstanden große Gewerbebetriebe, die den Ueberschuß der einheimischen Produktion nach auswärts verhandelten – als Exporteure. Dazu bedurfte es der Kenntnis der fremden Märkte und bedeutender Mittel. Beides fehlte den Handwerkern. Ein Kapitalist stellte sich ihnen als »Verleger« zur Verfügung, nahm ihnen ihre Produkte ab und verhandelte sie, sie waren auf ihn angewiesen, und da er auch den Rohstoff im großen billiger zu beschaffen wußte, lieferte er ihnen auch diesen und bedang sich aus, daß sie fortan allein für ihn arbeiteten; aus dem Handwerksmeister war ein abhängiger Hausindustrieller geworden: der erste Schritt zur modernen Fabrik. Damit waren alle Keime der modernen Entwicklung vorhanden. – Aber freilich nur als Keime. Denn noch immer war der Handel überwiegend ein Tauschverkehr mit Gegenständen von besonders hohem Werte. Wollten wir uns den Unterschied gegen heute vergegenwärtigen, so müßten wir uns vorstellen, daß der heutige Handelsverkehr vornehmlich etwa Champagner, Seidenstoffe und ähnliche Artikel für den Bedarf der besitzenden Klassen umfaßte. In Wahrheit zeigt ein Blick in die Uebersichten des auswärtigen Handels jedes Großstaates, daß es andere: die »Massenartikel« sind, welche die großen Zahlen ausmachen: Getreide – England hätte kein Brot, lieferte ihm das Ausland nicht jährlich für eine Milliarde Korn; – Kohlen und Eisen – Italien hätte aus den Mitteln des eigenen Landes keine Kohle im Ofen und kein eisernes Werkzeug; – Baumwolle – kein Kleidungsstück, wie es der moderne, europäische Arbeiter trägt, kann ohne die Versorgung des Marktes mit überseeischem Garne oder Baumwollrohstoff gefertigt werden. – Kein Baumwollfaden aber wird in der Wirtschaft versponnen und verwebt, in der er geerntet wurde, kein Eisenerz von dem Bergwerksbesitzer geschmiedet, der es der Erde abgewinnen ließ, nur ein winziger Bruchteil Kohlen wird von der Zeche selbst verbraucht, aber auch von Getreide rechnet man, daß mehr als die Hälfte der gesamten, gewaltigen Produktion der Welt von andern, als denen, die das Land bebauen, verzehrt und über ein Fünftel unter den Nationen ausgetauscht wird. Diesem Riesenaustausch solcher Güter dient die Börse. Sie ist ein moderner Markt, ein Ort, wo, wie auf diesem in regelmäßigen – an den großen Börsen täglichen – Versammlungen Kaufgeschäfte abgeschlossen werden. Worin unterscheidet sie sich von dem, was man gewöhnlich Markt nennt?


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