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II. [Die Arbeitsteilung als Ursache für das Auseinandertreten der subjektiven und der objektiven Kultur]

 

Hat bisher die Arbeitsteilung als eine Spezialisierung der persönlichen Tätigkeiten gegolten, so wirkt die Spezialisierung der Gegenstände selbst nicht weniger dazu, sie in jene Distanz zu den Subjekten zu stellen, die als Selbständigkeit des Objekts erscheint, als Unfähigkeit des Subjekts, jenes sich zu assimilieren und seinem eigenen Rhythmus zu unterwerfen. Dies gilt zunächst für die Arbeitsmittel. Je mehr diese differenziert, aus einer Vielheit spezialisierter Teile zusammengesetzt sind, desto weniger kann die Persönlichkeit des Arbeitenden sich durch sie hindurch ausdrücken, desto weniger ist seine Hand im Produkte zu erkennen. Die Werkzeuge, mit denen die Kunst arbeitet, sind relativ ganz undifferenziert und geben deshalb der Persönlichkeit den weitesten Spielraum, sich mittels ihrer zu entfalten; sie stellen sich ihr nicht gegenüber wie die industrielle Maschine, die durch ihre spezialistische Komplikation selbst gleichsam die Form personaler Festigkeit und Umschriebenheit hat, so daß der Arbeiter sie nicht mehr wie jene, an sich unbestimmteren, mit seiner Persönlichkeit durchdringen kann. Die Werkzeuge des Bildhauers sind seit Jahrtausenden nicht aus ihrer völligen Unspezialisiertheit heraus weiter entwickelt worden, und wo dies bei einem Kunstmittel allerdings und so entschieden geschehen ist, wie bei dem Klavier, da ist sein Charakter auch ein sehr objektiver, der schon viel zu viel für sich ist und deshalb dem Ausdruck der Subjektivität eine viel härtere Schranke setzt, als z.B. die an sich technisch viel weniger differenzierte Geige. Der automatische Charakter der modernen Maschine ist der Erfolg einer weit getriebenen Zerlegung und Spezialisierung von Stoffen und Kräften, gerade wie der gleiche Charakter einer ausgebildeten Staatsverwaltung sich nur auf Grund einer raffinierten Arbeitsteilung unter ihren Trägern erheben kann. Indem die Maschine aber zur Totalität wird, einen immer größeren Teil der Arbeit auf sich nimmt, steht sie ebenso dem Arbeiter als eine autonome Macht gegenüber, wie er ihr gegenüber nicht als individualisierte Persönlichkeit, sondern nur als Ausführer einer sachlich vorgeschriebenen Leistung wirkt. Man vergleiche etwa den Arbeiter in der Schuhfabrik mit dem Kundenschuhmacher, um zu sehen, wie sehr die Spezialisierung des Werkzeugs die Wirksamkeit der persönlichen Qualitäten, hoch- wie minderwertiger, lahmt, und Objekt und Subjekt als voneinander ihrem Wesen nach unabhängige Potenzen sich entwickeln läßt. Während das undifferenzierte Werkzeug wirklich eine bloße Fortsetzung des Armes ist, steigt überhaupt erst das spezialisierte in die reine Kategorie des Objektes auf. In sehr bezeichnender und auf der Hand liegender Weise vollzieht sich dieser Prozeß auch an den Kriegswerkzeugen; seinen Gipfel bildet dann das spezialisierteste und als Maschine vollkommenste, das Kriegsschiff: an ihm ist die Objektivierung so weit vorgeschritten, daß in einem modernen Seekrieg überhaupt kaum noch ein anderer Faktor entscheidet, als das bloße Zahlenverhältnis der Schiffe gleicher Qualität!

Der Objektivierungsprozeß der Kulturinhalte, der, von der Spezialisation dieser getragen, zwischen dem Subjekt und seinen Geschöpfen eine immer wachsende Fremdheit stiftet, steigt nun endlich in die Intimitäten des täglichen Lebens hinunter. Die Wohnungseinrichtungen, die Gegenstände, die uns zu Gebrauch und Zierde umgeben, waren noch in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, von den Bedürfnissen der unteren bis zu denen der Schichten der höchsten Bildung hinauf, von relativ großer Einfachheit und Dauerhaftigkeit. Hierdurch entstand jenes »Verwachsen« der Persönlichkeiten mit den Gegenständen ihrer Umgebung, das schon der mittleren Generation heute als eine Wunderlichkeit der Großeltern erscheint. Diesen Zustand hat die Differenzierung der Objekte nach drei verschiedenen Dimensionen hin, und immer mit dem gleichen Erfolge, unterbrochen. Zunächst ist es schon die bloße Vielheit sehr spezifisch gestalteter Gegenstände, die ein enges, sozusagen persönliches Verhältnis zu den einzelnen erschwert: wenige und einfache Gerätschaften sind der Persönlichkeit leichter assimilierbar, während eine Fülle von Mannigfaltigkeiten dem Ich gegenüber gleichsam Partei bildet; das findet seinen Ausdruck in der Klage der Hausfrauen, daß die Pflege der Wohnungsausstattung einen förmlichen Fetischdienst fordere und in dem gelegentlich hervorbrechenden Haß tieferer und ernsterer Naturen gegen die zahllosen Einzelheiten, mit denen wir unser Leben behängen. Der erstere Fall ist deshalb kulturell so bezeichnend, weil die sorgende und erhaltende Tätigkeit der Hausfrau früher umfänglicher und anstrengender war als jetzt. Allein zu jenem Gefühl der Unfreiheit den Objekten gegenüber kam es nicht, weil sie der Persönlichkeit enger verbunden waren. Die wenigen, undifferenzierteren Gegenstände konnte diese eher mit sich durchdringen, sie setzten ihr nicht die Selbständigkeit entgegen wie ein Haufe spezialisierter Dinge. Diese erst, wenn wir ihnen dienen sollen, empfinden wir als eine feindliche Macht. Wie Freiheit nichts Negatives ist, sondern die positive Erstreckung des Ich über ihm nachgebende Objekte, so ist umgekehrt Objekt für uns nur dasjenige, woran unsere Freiheit erlahmt, das heißt wozu wir in Beziehung stehen, ohne es doch unserem Ich assimilieren zu können. Das Gefühl, von den Äußerlichkeiten erdrückt zu werden, mit denen das moderne Leben uns umgibt, ist nicht nur die Folge, sondern auch die Ursache davon, daß sie uns als autonome Objekte gegenübertreten. Das Peinliche ist, daß diese vielfachen umdrängenden Dinge uns im Grunde eben gleichgültig sind, und zwar aus den spezifisch geldwirtschaftlichen Gründen der unpersönlichen Genesis und der leichten Ersetzbarkeit. Daß die Großindustrie den sozialistischen Gedanken nährt, beruht nicht nur auf den Verhältnissen ihrer Arbeiter, sondern auch auf der objektiven Beschaffenheit ihrer Produkte: der moderne Mensch ist von lauter so unpersönlichen Dingen umgeben, daß ihm die Vorstellung einer überhaupt anti-individuellen Lebensordnung immer näher kommen muß - freilich auch die Opposition dagegen. Die Kulturobjekte erwachsen immer mehr zu einer in sich zusammenhängenden Welt, die an immer wenigeren Punkten auf die sujektive Seele mit ihrem Wollen und Fühlen hinuntergreift. Und dieser Zusammenhang wird von einer gewissen Selbstbeweglichkeit der Objekte getragen. Man hat hervorgehoben, daß der Kaufmann, der Handwerker, der Gelehrte heute weit weniger beweglich ist, als etwa in der Reformationszeit. Materielle wie geistige Objekte bewegen sich jetzt eben selbständig, ohne personalen Träger oder Transporteur. Dinge und Menschen sind auseinandergetreten. Der Gedanke, die Arbeitsmühe, die Geschicklichkeit haben durch ihre steigende Investierung in objektiven Gebilden, Büchern und Waren, die Möglichkeit einer Eigenbewegung erhalten, für die der moderne Fortschritt in Transportmitteln nur die Verwirklichung oder der Ausdruck ist. Durch ihre eigene impersonale Beweglichkeit erst vollendet sich die Differenzierung der Objekte vom Menschen zu selbstgenugsamem Zusammenschluß. Das restlose Beispiel für diesen mechanischen Charakter der modernen Wirtschaft ist der Warenautomat; mit ihm wird nun auch aus dem Detailverkauf, in dem noch am längsten der Umsatz durch Beziehung von Person zu Person getragen worden ist, die menschliche Vermittelung völlig ausgeschaltet und das Geldäquivalent maschinenartig in die Ware umgesetzt. Auf anderer Stufe wird dasselbe Prinzip auch schon in dem Fünfzig-Pfennig-Bazar und ähnlichen Geschäften wirksam, in denen der wirtschaftspsychologische Prozeß nicht von der Ware zum Preise, sondern vom Preise zur Ware geht. Denn hier werden durch die apriorische Preisgleichheit sämtlicher Gegenstände vielerlei Überlegungen und Abwägungen des Käufers, vielerlei Bemühungen und Explikationen des Verkäufers wegfallen und so der wirtschaftliche Akt seine personalen Instanzen sehr schnell und gegen sie indifferent durchlaufen.

 


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