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I. [Die mit Verpflichtungen zusammenbestehende Freiheit danach abgestuft, ob jene sich auf die Persönlichkeit oder auf die Arbeitsprodukte erstrecken; die Geldverpflichtung als die Form, mit der die äußerste Freiheit vereinbar ist]

 

Die dritte Stufe, bei der aus dem Produkt die Persönlichkeit wirklich ausgeschieden ist und der Anspruch sich gar nicht mehr in diese hineinerstreckt, wird mit der Ablösung der Naturalabgabe durch die Geldabgabe erreicht. Man hat es deshalb gewissermaßen als eine magna Charta der persönlichen Freiheit im Gebiete des Privatrechts bezeichnet, wenn das klassische römische Recht bestimmte, jeder beliebige Vermögensanspruch dürfe bei Verweigerung seiner Naturalerfüllung in Geld solviert werden; das ist also das Recht, jede persönliche Verpflichtung mit Geld abzukaufen. Der Grundherr, der ein Quantum Bier oder Geflügel oder Honig von seinem Bauern fordern darf, legt dadurch die Tätigkeit desselben in einer bestimmten Richtung fest, sobald er nur Geldzins erhebt, ist der Bauer insoweit völlig frei, ob er Bienenzucht, Viehzucht oder was sonst treiben will. Auf dem Gebiete persönlicher Arbeitsdienste vollzieht sich der formal gleiche Prozeß mit der Berechtigung, einen Ersatzmann zu stellen, den die andre Partei, wenn er sachlich einwandfrei ist, akzeptieren muß. Diese Berechtigung, die das Verhältnis seinem Sinne nach auf eine ganz neue Basis stellt, muß wie die Geldablösung oft erst erkämpft werden, weil man wohl fühlt, daß sie, wie auch die Geldablösung, der Weg zur Lösung der Verpflichtung überhaupt ist. Die Verfasser des Domesday Survey wählten charakteristischerweise für die Bauern, die ihre Frohnden durch regelmäßige Geldleistungen ersetzten. Ausdrücke, die bezeichnen sollten, daß sie weder ganz frei, noch ganz Untertan wären. Nur an den Namen der Geldzinse haftete noch lange ihr Ursprung aus Naturallieferungen: es wurden Küchensteuer, Faßpfennige, Herbergsgelder (statt der Beherbergung der umherreisenden Herren und ihrer Beamten), Honigpfennige usw. erhoben. Als Übergangsstufe tritt oft ein, daß die ursprüngliche Naturalabgabe in Geld taxiert und dieser Betrag als stellvertretend für sie gefordert wurde. Diese vermittelnde Erscheinung findet sich auch in Verhältnissen, die von dem hier behandelten Beispiel weit abliegen: in Japan wurden noch 1877 alle Zinsen und Steuern entweder in Reis bezahlt oder in Reis kalkuliert und in Geld bezahlt - entsprechend wie unter der Königin Elisabeth bei der Vermietung gewisser, den Universitäten gehöriger Ländereien der Pachtschilling in Korn vereinbart, obgleich offenbar in Silber erlegt wurde. Damit wird wenigstens die Identität des Wertquantums der Pflicht noch betont, während sie schon jede durch Inhaltsbestimmtheit bewirkte persönliche Bindung abgestreift hat. Wenn das ins primae noctis wirklich irgendwo bestanden hat, so nimmt es seine Entwicklung über analoge Stufen; jenes Recht des Grundherrn hatte das Ganze der verpflichteten Persönlichkeit, die Hingabe ihres zentralsten Habens oder vielmehr Seins zum Inhalt gehabt: dies wäre der Preis gewesen, um den er der Untertanin das Recht zur Eheschließung einräumte. Die nächste Stufe ist, daß er dieses Recht - das er jederzeit noch versagen kann - gegen Zahlung einer Geldsumme gibt; die dritte, daß sein Einspruchsrecht überhaupt fortfällt, daß der Untertan vielmehr frei ist, sich zu verheiraten, sobald er dem Herrn eine festgesetzte Summe: Brautgeld, Ehegeld, Frauengeld oder ähnliches zahlt. Die Befreiung der Persönlichkeit wird also auf der zweiten Stufe zwar schon auf Geld gestellt, aber doch nicht ausschließlich, indem immerhin noch die Einwilligung des Grundherrn gewonnen werden mußte, die man nicht erzwingen konnte. Das Verhältnis wird erst vollständig entpersonalisiert wenn gar kein anderes Moment als das der Geldzahlung darüber entscheidet. Höher kann die persönliche Freiheit vor dem Wegfall jedes bezüglichen Rechtes des Grundherrn nicht steigen, als wenn die Verpflichtung des Untertanen in eine Geldabgabe verwandelt ist, die der Grundherr annehmen muß. Deshalb hat denn auch vielfach die Verringerung und die schließlich völlige Ablösung der bäuerlichen Dienste und Lieferungen ihren Weg über ihre Umwandlung in Geldbezüge genommen. Dieser Zusammenhang zwischen Geldleistung und Befreiung kann unter Umständen von dem Berechtigten als so wirksam vorgestellt werden, daß er selbst das lebhafteste Interesse an barem Gelde übertönt. Die Umwandlung der bäuerlichen Frohnden und Naturallieferungen in Geldzinse hatte in Deutschland seit dem 12. Jahrhundert begonnen; und gerade dadurch wurde sie unterbrochen, daß der Kapitalismus im 14. und 15. Jahrhundert auch die Grundherren ansteckte. Denn sie erkannten, daß die naturalen Leistungen außerordentlich viel dehnbarer und willkürlich vermehrbarer waren als die Geldzinsungen, an deren quantitative, zahlenmäßige Bestimmtheit nicht mehr zu rühren war. Dieser Vorteil der Naturalleistungen erschien ihnen groß genug, um ihre Habgier gerade in dem Augenblick daran festhalten zu lassen, in dem im übrigen die Geldinteressen bei ihnen herrschend wurden. Es ist eben dieser Grund, aus dem man überhaupt den Bauer nicht will zu Gelde kommen lassen. Der englische Hintersasse durfte ganz allgemein kein Stück Vieh ohne besondere Erlaubnis seines Lords verkaufen. Denn durch den Viehverkauf bekam er Geld in die Hand, mit dem er anderswo Land erwerben und sich den Verpflichtungen gegen seinen bisherigen Herrn entziehen konnte. - Der äußerste Grad des Befreiungsprozesses wird durch eine Entwicklung innerhalb der Geldabgabe selbst erreicht: indem statt des periodischen Zinses eine einmalige Kapitalzahlung erfolgt. Wenngleich der objektive Wert in beiden Formen der identische sein mag, so ist doch der Reflex auf das Subjekt ein. ganz verschiedener. Die einzelne Zinszahlung läßt zwar, wie hervorgehoben, dem Pflichtigen völlige Freiheit in bezug auf das eigene Tun, wenn er nur das erforderliche Geld erwirbt; allein die Regelmäßigkeit der Abgaben zwingt dieses Tun in ein bestimmtes, ihm von einer fremden Macht aufgedrungenes Schema, und so wird denn erst mit der Kapitalisierung der Abgaben diejenige Form jeglicher Verpflichtungen erreicht, die zugleich der größten persönlichen Freiheit entspricht. Erst mit der Kapitalzahlung ist die Verpflichtung restlos in Geldleistung übergegangen, - während die Zinszahlung durch ihre regelmäßige Periodizität noch ein wenigstens formelles Element von Gebundenheit über das bloße Wertquantum hinaus enthält. Dieser Unterschied tritt etwa so hervor: im 13. Jahrhundert und noch später votierte das englische Parlament öfters, daß die Shires eine bestimmte Anzahl von Soldaten oder Arbeitern für den König zu liefern hätten; regelmäßig aber lösten die Repräsentanten- Versammlungen der Shires die Gewähr von Menschen gegen eine Geldleistung ab. So viel personale Freiheit damit aber auch gerettet war -: es unterscheidet sich doch wesentlich von jenen Rechten und Freiheiten, die das englische Volk seinen Königen durch einmalige Geldvotierungen abkaufte. Wenn derjenige, der das Kapital erhält, damit all den Unsicherheiten enthoben ist, denen er bei einzelnen Zinsungen unterliegt, so ist das entsprechende Äquivalent dafür auf der Seite des Leistenden, daß seine Freiheit nun aus der labilen Form, die sie bei immer wiederholter Zinsung aufweist, in die stabile übergeht. Die Freiheit des englischen Volkes seinen Königen gegenüber beruht zum Teil darauf, daß es sich durch Kapitalzahlungen ein für allemal in Bezug auf bestimmte Rechte mit ihnen auseinandersetzte: pro hac concessione, sagt z.B. eine Urkunde Heinrichs III., dederunt nobis quintam decimam partem omnium mobilium suorum. Nicht trotzdem, sondern gerade weil eine solche Handelschaft um die Freiheiten des Volkes einen etwas brutalen, äußerlichen, mechanischen Charakter trägt, bedeutet sie ein reinliches Sichabfinden miteinander, den völligsten Gegensatz gegen die Empfindung des Königs, daß sich »kein Blatt Papier zwischen ihn und sein Volk drängen sollte« - aber eben deshalb auch eine radikale Beseitigung aller der Imponderabilien gemütvollerer Beziehungen, die bei. einem weniger geldgeschäftsmäßigen Erwerb von Freiheiten oft die Handhabe bieten, sie zurückzunehmen oder illusorisch zu machen. Ein gutes Beispiel der stufenweisen Entwicklung, in der die Geldablösung der Naturalleistung die Befreiung des Individuums trägt, vollzieht sich an der Verpflichtung der Untertanen, Bürger und Hintersassen, ihre Landesherren bzw. Beamte, Schirmvögte, Gerichtsherren bei ihren Reisen zu beherbergen und zu verpflegen. Diese Last stammte aus dem alten Königsdienste und erlangte im Mittelalter eine sehr bedeutende Ausdehnung. Es ist der erste Schritt zur Sachlichkeit und Unpersönlichkeit dieser Verpflichtung, wenn dieselbe streng umgrenzt wird; so finden wir schon früh genau vorgeschrieben, wie viele Ritter und Knechte beherbergt werden müssen, wie viele Pferde und Hunde mitgebracht werden dürfen, wieviel Brot, Wein, Fleisch, Schüsseln, Tischtücher usw. zu liefern sind. Immerhin, sobald unmittelbar Beherbergung und Atzung stattfand, mußten einerseits die Grenzen der Leistungen leicht ins Schwanken geraten, andrerseits trugen sie entschieden den Charakter der persönlichen Beziehung. Demgegenüber ist es die entwickeltere Stufe, wenn wir hören, daß bloße Lieferungen von Naturalien ohne Beherbergung stattfanden; dabei konnten die Abmessungen des Quantums viel genauer sein, als wenn die Personen beherbergt und satt gemacht werden sollten. So heißt es, der Graf von Rieseck sollte eine bestimmte Abgabe Korn erhalten: »Davon sul man syme gesinde brot backen, wan er in dem Dorf zu Crotzenburg ist, off daz er die arme lüde in dem dorff nit furter besweren oder schedigen solle.« Diese Entwicklung führt weiter dahin, daß feste Geldleistungen gelegentlich der Anwesenheit der hohen Herren bei ihren Reisen und Gerichtssitzungen stipuliert werden. Und endlich wird auch das hierin noch liegende variable und personale Moment beseitigt, indem diese Leistungen in ständige Abgaben übergeführt werden, die als Atzgeld, Herrentaggeld, Reisigvogtgeld, auch dann erhoben wurden, als die alten Amtsreisen der Richter usw. durch ganz andere Organisationen ersetzt wurden. Das war der Weg, auf dem die Leistungen solcher Art schließlich ganz fortfielen und in der allgemeinen Steuerleistung der Untertanen aufgingen, der sozusagen jede spezifische Formung fehlt und die deshalb das Korrelat der persönlichen Freiheit der Neuzeit ist.

 


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