b. Bewahrung der sittlichen Grundlage


Dies ist der allgemeine Charakter des klassischen Ideals, dessen weitere Entfaltung wir bei den einzelnen Künsten bestimmter werden zu betrachten haben. An dieser Stelle ist nur noch die Bemerkung hinzuzufügen, daß Götter und Menschen, wie sehr sie auch gegen das Partikuläre und Äußere hin fortgehen, in der klassischen Kunst dennoch die affirmative sittliche Grundlage müssen erhalten zeigen. Die Subjektivität bleibt mit dem substantiellen Inhalt ihrer Macht immer noch in Einheit. Wie das Natürliche in der griechischen Kunst die Harmonie mit dem Geistigen bewahrt und dem Inneren, wenn auch als adäquate Existenz, gleichfalls unterworfen ist, so stellt sich das subjektive menschliche Innere mit der echten Objektivität des Geistes, d. h. mit dem wesentlichen Gehalt des Sittlichen und Wahren, stets in gediegener Identität dar. Nach dieser Seite hin kennt das klassische Ideal weder die Trennung der Innerlichkeit und Außengestalt noch die Zerrissenheit des Subjektiven und dadurch abstrakt Willkürlichen in Zwecken und Leidenschaften auf der einen und des dadurch abstrakt Allgemeinen auf der anderen Seite. Die Grundlage der Charaktere muß daher immer noch das Substantielle sein, und das Schlechte, Sündliche, Böse der sich in sich verhausenden Subjektivität ist von den Darstellungen des Klassischen ausgeschlossen; vor allem aber bleibt der Kunst hier die Härte, Bosheit, Niederträchtigkeit und Gräßlichkeit, welche im Romantischen eine Stelle erhält, noch durchweg fremd. Wir sehen zwar vielfache Vergehen, Muttermord, Vatermord und andere Verbrechen gegen die Familienliebe und Pietät, auch als Gegenstände der griechischen Kunst wiederholt behandelt, doch nicht als bloße Greuel oder, wie es vor kurzem bei uns Mode war, als durch die Unvernunft des sogenannten Schicksals mit dem falschen Anschein der Notwendigkeit herbeigeführt; sondern wenn Vergehen von den Menschen begangen und zum Teil von den Göttern befohlen und verteidigt werden, so sind dergleichen Handlungen jedesmal nach irgendeiner Seite hin in der ihnen wirklich innewohnenden Berechtigung dargestellt.


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