1. Selbständigkeit des Klassischen als Durchdringung des Geistigen und seiner Naturgestalt


Diese in sich freie Totalität, welche in dem ihr Anderen, zu dem sie sich fortbestimmt, sich selber gleich bleibt, das Innere, das in seiner Objektivität sich auf sich selbst bezieht, ist das an und für sich Wahre, Freie und Selbständige, das in seinem Dasein nichts anderes darstellt als sich selbst. Im Reiche der Kunst nun ist dieser Gehalt nicht in seiner unendlichen Form, nicht das Denken seiner selbst als das Wesentliche, Absolute, das sich in Form der ideellen Allgemeinheit objektiv wird und für sich selbst macht, sondern noch in unmittelbarer natürlicher und sinnlicher Existenz. Insofern aber die Bedeutung selbständig ist, muß sie in der Kunst ihre Gestalt aus sich selber nehmen und das Prinzip ihrer Äußerlichkeit an sich selber haben. Sie muß deshalb zum Natürlichen zwar zurückkehren, doch als Herrschaft über das Äußere, welches, insofern es eine Seite der Totalität des Inneren selber ist, als bloß natürliche Objektivität nicht mehr existiert, sondern ohne eigene Selbständigkeit nur den Ausdruck des Geistes zeigt. In dieser Durchdringung erhält dadurch ihrerseits auch die durch den Geist umgebildete Naturgestalt und Äußerlichkeit überhaupt unmittelbar ihre Bedeutung an sich selber und deutet nicht mehr auf dieselbe als auf etwas von der leiblichen Erscheinung Getrenntes und Verschiedenes hin. Dies ist die dem Geist angemessene Identifikation des Geistigen und Natürlichen, welche nicht nur bei der Neutralisation der beiden entgegengesetzten Seiten stehenbleibt, sondern das Geistige zu der höheren Totalität heraufhebt, in seinem Anderen sich selber zu erhalten, das Natürliche ideell zu setzen und sich im Natürlichen und am Natürlichen auszudrücken. In dieser Art der Einheit ist der Begriff der klassischen Kunstform begründet.

a) Diese Identität von Bedeutung und Körperlichkeit ist hier nun näher so zu fassen, daß keine Trennung der Seiten innerhalb ihrer vollbrachten Einigung statthat und sich das Innere deshalb nicht als nur innere Geistigkeit aus dem Leiblichen und der konkreten Wirklichkeit in sich zurücknimmt, wodurch sich ein Unterschied beider gegeneinander hervorkehren könnte. Indem nun das Objektive und Äußere, in welchem der Geist zur Anschauung kommt, seinem Begriff nach durchweg zugleich bestimmt und besondert ist, so kann der freie Geist, den die Kunst zu seiner gemäßen Realität herausarbeitet, nur die ebensosehr bestimmte als in sich selbständige geistige Individualität in ihrer natürlichen Gestalt sein. Deshalb macht das Menschliche den Mittelpunkt und Inhalt der wahren Schönheit und Kunst aus; aber als Inhalt der Kunst, wie im Begriff des Ideals bereits entwickelt worden ist, unter der wesentlichen Bestimmung konkreter Individualität und der ihr adäquaten äußeren Erscheinung, welche in ihrer Objektivität von den Gebrechen der Endlichkeit gereinigt ist.

b) In dieser Rücksicht ergibt sich sogleich, daß die klassische Darstellungsweise ihrem Wesen nach nicht mehr symbolischer Art, im genaueren Sinne des Worts, sein kann, wenn auch hin und wieder noch einige symbolische Ingredienzien beiherspielen. Die griechische Mythologie z. B., welche, insoweit die Kunst sich derselben bemächtigt, dem klassischen Ideal angehört, ist, in ihrem Mittelpunkte aufgefaßt, nicht von symbolischer Schönheit, sondern gestaltet im echten Charakter des Kunstideals, obschon einige Reste des Symbolischen, wie wir noch sehen werden, daran haftenbleiben. - Fragen wir nun aber nach der bestimmten Gestalt, welche in diese Einheit mit dem Geist eingehen kann, ohne eine bloße Andeutung ihres Inhalts zu werden, so ergibt sich aus der Bestimmung, daß im Klassischen Inhalt und Form adäquat sein sollen, auch für die Seite der Gestalt die Forderung der Totalität und Selbständigkeit in sich. Denn zur freien Selbständigkeit des Ganzen, in welcher die Grundbestimmung des Klassischen liegt, gehört, daß jede der Seiten, sowohl der geistige Gehalt als dessen äußere Erscheinung, in sich die Totalität sei, welche den Begriff des Ganzen ausmacht. Nur in dieser Weise nämlich ist jede Seite an sich mit der anderen identisch und deshalb ihr Unterschied zum bloßen Formunterschied eines und desselben herabgesetzt, wodurch nun auch das Ganze als frei erscheint, indem seine Seiten sich als adäquat erweisen, da es in jeder derselben sich darstellt und in beiden eines ist. Der Mangel dieser freien Verdoppelung seiner innerhalb derselben Einheit führte im Symbolischen gerade die Unfreiheit des Inhalts und damit auch der Form nach sich. Der Geist war nicht sich selber klar, und deshalb zeigte seine äußere Realität sich nicht als seine eigene, durch ihn und in ihm an und für sich gesetzte. Umgekehrt sollte die Gestalt wohl bedeutsam sein, aber die Bedeutung lag nur zum Teil, nur nach irgendeiner Seite in ihr. Als ihrem Inneren daher ebensosehr noch äußerlich, gab die äußere Existenz zunächst statt der darzustellenden Bedeutung nur sich selbst, und sollte sie zeigen, daß sie auf etwas Weiteres hinzudeuten habe, mußte ihr Gewalt angetan werden. In dieser Verzerrung blieb sie nun weder sie selber, noch ward sie das andere, die Bedeutung, sondern tat nichts als eine rätselhafte Verknüpfung und Vermischung von Fremdartigem kund oder fiel als bloß dienender Schmuck und äußerer Zierat der bloßen Verherrlichung der einen absoluten Bedeutung aller Dinge anheim, bis sie sich endlich der bloß subjektiven Willkür des Vergleichs mit einer ihr entfernt liegenden und gleichgültigen Bedeutung preisgeben mußte. Soll dies unfreie Verhältnis sich lösen, so muß die Gestalt an sich selber schon ihre Bedeutung, und näher zwar die Bedeutung des Geistes haben. Diese Gestalt ist wesentlich die menschliche, weil die Äußerlichkeit des Menschen allein befähigt ist, das Geistige in sinnlicher Weise zu offenbaren. Der menschliche Ausdruck in Gesicht, Auge, Stellung, Gebärde ist zwar materiell und darin nicht das, was der Geist ist; aber innerhalb dieser Körperlichkeit selbst ist das menschliche Äußere nicht nur lebendig und natürlich wie das Tier, sondern die Leiblichkeit, welche in sich den Geist widerspiegelt. Durch das Auge sieht man dem Menschen in die Seele, wie durch seine ganze Bildung überhaupt sein geistiger Charakter ausgedrückt wird. Wenn deshalb die Leiblichkeit dem Geist als sein Dasein zugehört, so ist auch der Geist das dem Leibe angehörige Innere und keine der äußeren Gestalt fremdartige Innerlichkeit, so daß die Materialität nicht noch eine andere Bedeutung in sich hat oder darauf hindeutet. Zwar trägt die menschliche Gestalt viel von dem allgemeinen animalischen Typus an sich, aber der ganze Unterschied des menschlichen Körpers vom tierischen besteht nur darin, daß der menschliche sich seiner ganzen Bildung nach als der Wohnsitz, und zwar als das einzig mögliche Naturdasein des Geistes erweist. Deshalb ist auch der Geist nur im Leibe für andere unmittelbar vorhanden. - Die Notwendigkeit dieses Zusammenhangs und das spezielle Entsprechen von Seele und Leib anzugeben ist hier jedoch nicht der Ort; wir müssen diese Notwendigkeit hier voraussetzen. Nun gibt es allerdings Totes, Häßliches, d. h. von anderen Einflüssen und Abhängigkeiten Bestimmtes an der menschlichen Gestalt; ist dies der Fall, so ist es eben die Sache der Kunst, den Unterschied des bloß Natürlichen und des Geistigen auszulöschen und die äußere Leiblichkeit zur schönen, durch und durch gebildeten, beseelten und geistig-lebendigen Gestalt zu machen.

Bei dieser Darstellungsweise ist dann in betreff auf das Äußere nichts Symbolisches mehr vorhanden und alles bloße Suchen, Drängen, Verzerren und Verkehren abgeschnitten. Denn der Geist ist, wenn er sich als Geist gefaßt hat, das für sich Fertige und Klare, und ebenso ist auch sein Zusammenhang mit der ihm adäquaten Gestalt von der einen Seite her etwas an und für sich Fertiges und Gegebenes, das nicht erst durch eine von der Phantasie im Gegensatz gegen das Vorhandene hervorgebrachte Verknüpfung braucht zustande zu kommen. Ebensowenig ist die klassische Kunstform eine bloß leiblich hingestellte oberflächliche Personifikation, indem der gesamte Geist, soweit er den Inhalt des Kunstwerks ausmachen soll, in die Leiblichkeit heraustritt und mit ihr sich vollendet zu identifizieren vermag. Aus diesem Gesichtspunkte kann auch die Vorstellung betrachtet werden, daß die Kunst die menschliche Gestalt nachgeahmt habe. Der gewöhnlichen Ansicht nach erscheint jedoch dies Aufnehmen und Nachbilden als eine Zufälligkeit, wogegen zu behaupten ist, daß die zu ihrer Reife gediehene Kunst der Notwendigkeit nach habe in der Form der äußeren menschlichen Erscheinung darstellen müssen, weil der Geist nur in ihr das ihm gemäße Dasein im Sinnlichen und Natürlichen erhält.

Wie mit dem menschlichen Körper und dessen Ausdruck verhält es sich nun auch mit den menschlichen Empfindungen, Trieben, Taten, Begebenheiten und Handlungen; auch ihre Äußerlichkeit ist im Klassischen nicht nur als naturlebendig, sondern als geistig charakterisiert und die Seite des Inneren mit dem Äußeren in adäquate Identität gebracht.

c) Indem nun die klassische Kunst die freie Geistigkeit als bestimmte Individualität faßt und dieselbe in ihrer leiblichen Erscheinung unmittelbar anschaut, so ist ihr häufig der Vorwurf des Anthropomorphismus gemacht worden. Bei den Griechen z. B. hat schon Xenophanes gegen die Vorstellungsweise der Götter gesprochen, indem er sagte, wären die Löwen die Bildner gewesen, so würden sie ihren Göttern Löwengestalt gegeben haben. Von ähnlicher Art ist das witzige französische Wort: Gott habe den Menschen nach seinem Bilde geschaffen, aber der Mensch habe es ihm heimgegeben und Gott nach des Menschen Bilde geschaffen. In Beziehung auf die folgende Kunstform, die romantische, ist in dieser Rücksicht zu bemerken, daß der Gehalt der klassischen Kunstschönheit allerdings noch mangelhaft ist wie die Religion der Kunst selbst; aber der Mangel liegt so wenig im Anthropomorphistischen als solchem, daß im Gegenteil zu behaupten steht, die klassische Kunst sei zwar für die Kunst anthropomorphistisch genug, für die höhere Religion aber zuwenig. Das Christentum hat den Anthropomorphismus viel weiter getrieben; denn der christlichen Lehre nach ist Gott nicht ein nur menschlich gestaltetes Individuum, sondern ein wirkliches einzelnes Individuum, ganz Gott und ganz ein wirklicher Mensch, hineingetreten in alle Bedingungen des Daseins und kein bloßes menschlich gebildetes Ideal der Schönheit und Kunst. Hat man vom Absoluten nur die Vorstellung eines abstrakten, in sich unterschiedslosen Wesens, dann freilich fällt jede Art der Gestaltung fort; aber damit Gott als Geist sei, dazu gehört sein Erscheinen als Mensch, als einzelnes Subjekt, - nicht als ideales Menschsein, sondern als wirkliches Fortgehen bis zur zeitlichen, gänzlichen Äußerlichkeit der auch unmittelbaren und natürlichen Existenz. In der christlichen Anschauung nämlich liegt die unendliche Bewegung, sich bis zum Extrem des Gegensatzes hinzutreiben und erst als Aufhebung dieser Trennung in sich zur absoluten Einheit zurückzukehren. In dies Moment der Trennung fällt das Menschwerden Gottes, indem er als wirkliche einzelne Subjektivität in den Unterschied gegen die Einheit und Substanz als solche tritt, in dieser gemeinen Zeitlichkeit und Räumlichkeit die Empfindung, das Bewußtsein, den Schmerz der Entzweiung durchmacht, um durch diesen ebensosehr wieder aufgelösten Gegensatz zur unendlichen Versöhnung zu kommen. Dieser Durchgangspunkt liegt der christlichen Vorstellung nach in der Natur Gottes selber. In der Tat ist Gott hierdurch als absolute freie Geistigkeit zu fassen, in welcher das Moment des Natürlichen und der unmittelbaren Einzelheit zwar vorhanden sein, aber gleichmäßig aufgehoben werden muß. In der klassischen Kunst dagegen ist die Sinnlichkeit nicht getötet und gestorben, aber dafür auch nicht zur absoluten Geistigkeit auferstanden. Die klassische Kunst und ihre schöne Religion befriedigt daher auch nicht die Tiefen des Geistes; wie konkret sie auch in sich selber ist, bleibt sie doch für ihn noch abstrakt, weil sie, statt der Bewegung und aus der Entgegensetzung erworbenen Versöhnung jener unendlichen Subjektivität, nur die ungetrübte Harmonie der bestimmten freien Individualität in ihrem adäquaten Dasein, diese Ruhe in ihrer Realität, dieses Glück, diese Befriedigung und Größe in sich selbst, diese ewige Heiterkeit und Seligkeit zu ihrem Elemente hat, die selbst im Unglück und Schmerz das sichere Beruhen auf sich nicht verliert. Die klassische Kunst hat in den Gegensatz, der im Absoluten begründet ist, nicht bis zur Tiefe hineingearbeitet und ihn ausgesöhnt. Dadurch kennt sie nun aber auch nicht die Seite, welche mit diesem Gegensatze in Beziehung steht, die Verhärtung des Subjekts in sich als abstrakte Persönlichkeit gegen das Sittliche und Absolute, die Sünde und das Böse sowie das Verhausen der subjektiven Innerlichkeit in sich, die Zerrissenheit, Haltlosigkeit, überhaupt den ganzen Kreis der Entzweiungen, welche innerhalb ihrer das Unschöne, Häßliche, Widrige nach der sinnlichen und geistigen Seite hin hereinbringen. Die klassische Kunst überschreitet den reinen Boden des echten Ideals nicht.


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