3. Stellung des produzierenden Künstlers in der klassischen Kunstform


Wenn wir nun bisher auf der einen Seite als den Gehalt des Klassischen die in sich freie Individualität festsetzten und auf der anderen Seite auch für die Gestalt die gleiche Freiheit forderten, so liegt hierin schon, daß die gänzliche Verschmelzung beider, wie sehr sie sich auch als Unmittelbarkeit darstellen mag, dennoch keine erste und somit natürliche Einheit sein kann, sondern sich als eine gemachte, vom subjektiven Geist zustande gebrachte Verknüpfung erweisen muß. Die klassische Kunst, insofern ihr Inhalt und ihre Form das Freie ist, entspringt nur aus der Freiheit des sich selbst klaren Geistes. Dadurch erhält nun auch drittens der Künstler eine von der früheren verschiedene Stellung. Seine Produktion nämlich zeigt sich als das freie Tun des besonnenen Menschen, der ebensosehr weiß, was er will, als er kann, was er will, und der sich also weder in Ansehung der Bedeutung und des substantiellen Gehalts, den er zur Anschauung herauszugestalten gedenkt, unklar ist, noch sich durch irgendein technisches Unvermögen in der Ausführung gehindert findet.

Werfen wir einen näheren Blick auf diese veränderte Stellung des Künstlers, so bekundet sich seine Freiheit

 a) in betreff auf den Inhalt dadurch, daß er denselben nicht mit der unruhigen symbolischen Gärung zu suchen nötig hat. Die symbolische Kunst bleibt in der Arbeit befangen, sich ihren Gehalt erst zu produzieren und klarzumachen, und dieser Gehalt ist selber nur der erste, d. h. auf der einen Seite das Wesen in unmittelbarer Form der Natürlichkeit, auf der anderen die innere Abstraktion des Allgemeinen, Einen, der Veränderung, des Wechsels, Werdens, Entstehens und Wiedervergehens. Auf das erste Mal aber findet man nicht das Rechte. Deshalb bleiben die Darstellungen der symbolischen Kunst, welche Expositionen des Inhalts sein sollten, selber noch Rätsel und Aufgaben und zeugen nur von dem Ringen nach Klarheit und von dem Streben des Geistes, der fort und fort, ohne Rast und Ruhe zu finden,  erfindet. Diesem trüben Suchen gegenüber muß für den klassischen Künstler der Inhalt schon fertig vorhanden, gegeben sein, so daß er in sich schon als gewiß, als Glaube, Volksglaube oder als geschehenes, von Sage und Überlieferung fortgepflanztes Begebnis dem wesentlichen Gehalt nach für die Phantasie bestimmt ist. Zu diesem objektiv festgestellten Stoffe hat nun der Künstler das freiere Verhältnis, daß er nicht selber in den Prozeß des Zeugens und Gebarens eingeht und im Drange nach den echten Bedeutungen für die Kunst stehenbleibt, sondern daß für ihn ein anundfürsichseiender Inhalt daliegt, den er aufnimmt und frei aus sich reproduziert. Die griechischen Künstler erhielten ihren Stoff aus der Volksreligion, in welcher sich bereits, was vom Orient her den Griechen herübergekommen war, umzugestalten begonnen hatte; Phidias nahm seinen Zeus aus Homer, und auch die Tragiker erfanden sich nicht den Grundinhalt, den sie darstellten. Ebenso haben auch die christlichen Künstler, Dante, Raffael, nur das gestaltet, was schon in den Glaubenslehren und religiösen Vorstellungen vorhanden war. Dies ist zwar bei der Kunst der Erhabenheit nach der einen Seite hin in ähnlicher Weise der Fall, doch mit dem Unterschiede, daß hier das Verhältnis zum Inhalt als der einen Substanz die Subjektivität nicht zu ihrem Rechte kommen läßt und ihr keine selbständige Beschlossenheit vergönnt. Die vergleichende Kunstform umgekehrt geht zwar aus der Wahl der Bedeutungen wie der gebrauchten Bilder hervor, diese Wahl jedoch bleibt der nur subjektiven Willkür überlassen und entbehrt ihrerseits wiederum der substantiellen Individualität, welche den Begriff der klassischen Kunst ausmacht und daher auch in dem hervorbringenden Subjekt liegen muß.

b) Je mehr aber für den Künstler ein anundfürsichseiender freier Inhalt in Volksglaube, Sage und sonstiger Wirklichkeit als vorhanden vorliegt, um desto mehr konzentriert er sich auf die Tätigkeit, die solchem Inhalt kongruente äußere Kunsterscheinung zu gestalten. Während sich nun in dieser Beziehung die symbolische Kunst in tausend Formen umherwirft, ohne die schlechthin gemäße treffen zu können, und mit ausschweifender Einbildungskraft ohne Maß und Bestimmung umhergreift, um der gesuchten Bedeutung die immer fremdbleibenden Gestalten anzupassen, ist der klassische Künstler auch hierin in sich beschlossen und begrenzt. Mit dem Inhalt nämlich ist hier auch die freie Gestalt durch den Inhalt selbst bestimmt und demselben an und für sich angehörig, so daß der Künstler nur zu exekutieren scheint, was schon für sich dem Begriff nach fertig ist. Wenn der  symbolische Künstler daher der Bedeutung die Gestalt oder diese jener einzubilden strebt, so bildet der klassische die Bedeutung zur Gestalt um, indem er die schon vorhandenen äußeren Erscheinungen nur gleichsam von ihrem ungehörigen Beiwesen befreit. In dieser Tätigkeit aber, obschon seine bloße Willkür ausgeschlossen ist, bildet er nicht nur nach oder bleibt in einem starren Typus stehen, sondern ist zugleich für das Ganze fortbildend. Die Kunst, die ihren wahren Gehalt erst suchen und erfinden muß, vernachlässigt noch die Seite der Form; wo aber die Bildung der Form zum wesentlichen Interesse und zur eigentlichen Aufgabe gemacht wird, da bildet sich mit den Fortschritten der Darstellung auch der Inhalt unmerklich und unscheinbar fort, wie wir überhaupt Form und Inhalt bisher in ihrer Vervollkommnung stets haben Hand in Hand gehen sehen. In dieser Rücksicht arbeitet der klassische Künstler auch für eine vorhandene Welt der Religion, deren gegebene Stoffe und mythologische Vorstellungen er im freien Spiele der Kunst heiter fortentwickelt.

c) Dasselbe gilt von der technischen Seite. Auch sie muß für den klassischen Künstler bereits fertig sein, das sinnliche Material, in welchem der Künstler arbeitet, muß sich schon aller Sprödigkeit und Härte entäußert haben und den künstlerischen Intentionen unmittelbar gehorchen, damit der Inhalt, dem Begriffe des Klassischen gemäß, frei und ungehindert auch durch diese äußere Leiblichkeit hindurchscheinen könne. Zur klassischen Kunst gehört deshalb schon eine hohe Stufe technischer Geschicklichkeit, welche sich den sinnlichen Stoff zu willigem Gehorsam Untertan gemacht hat. Eine solche technische Vollendung, wenn sie alles, was vom Geiste und seinen Konzeptionen verlangt wird, unmittelbar ausführen soll, setzt sich die vollständige Ausbildung alles Handwerksmäßigen in der Kunst voraus, das hauptsächlich innerhalb einer statarischen Religion zustande kommt. Die religiöse Anschauung, wie die ägyptische z. B., erfindet sich dann nämlich bestimmte äußere Gestalten, Idole, kolossale Konstruktionen, deren Typus fest bleibt und nun bei der herkömmlichen Gleichheit der Formen und Figuren für die stets wachsende Fertigkeit einen breiten Spielraum der Fortbildung gibt. Dies Handwerksmäßige am Schlechteren und Fratzenhaften muß schon vorhanden sein, ehe der Genius der klassischen Schönheit sich die mechanische Geschicklichkeit zur technischen Vollendung umgestaltet. Denn erst wenn das Mechanische für sich keine Schwierigkeit mehr in den Weg stellt, kann die Kunst frei auf die Bildung der Form gehen, wobei sodann die wirkliche Ausübung zugleich eine Fortbildung ist, welche mit dem Vorschreiten des Inhalts und der Form in engem Verhältnis steht.


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