2. Die entgötterte endliche Welt


Indem nun der eine Gott in dieser Weise von den konkreten Welterscheinungen einerseits abgetrennt und für sich fixiert, die Äußerlichkeit des Daseienden aber andererseits als das Endliche bestimmt und zurückgesetzt ist, so erhält sowohl die natürliche als auch die menschliche Existenz jetzt die neue Stellung, eine Darstellung des Göttlichen nur dadurch zu sein, daß ihre Endlichkeit an ihr selber hervortritt.

a) Zum erstenmal deshalb liegt jetzt die Natur und die Menschengestalt entgöttert und prosaisch vor uns da. Die Griechen erzählen, daß, als die Heroen beim Argonautenzuge die Meerenge des Hellespont durchschifften, die Felsen, welche sich bisher wie Scheren schmetternd auf- und zugeschlossen hatten, plötzlich in dem Boden für immer festgewurzelt dastanden. Ähnlich geht hier in der heiligen Poesie der Erhabenheit, dem unendlichen Wesen gegenüber, das Festwerden des Endlichen in seiner verständigen Bestimmtheit an, während in der symbolischen Anschauung nichts seine rechte Stelle erhält, indem das Endliche ganz ebenso in das Göttliche umschlägt, als dieses zum endlichen Dasein aus sich herausgeht. Wenden wir uns z. B. von den alten indischen Gedichten her zu dem Alten Testament hinüber, so befinden wir uns mit einem Male auf einem ganz anderen Boden, der uns, wie fremd und von den unsrigen verschieden auch die Zustände, Begebnisse, Handlungen und Charaktere sein mögen, welche er zeigt, dennoch heimatlich werden läßt. Aus einer Welt des Taumels und der Verwirrung kommen wir in Verhältnisse hinein und haben Figuren vor uns, die ganz natürlich erscheinen und deren feste patriarchalische Charaktere in ihrer Bestimmtheit und Wahrheit uns als vollkommen verständlich nahestehen.

b) Für diese Anschauung, welche den natürlichen Gang der Dinge zu fassen vermag und die Gesetze der Natur geltend macht, erhält nun auch das Wunder zum erstenmal seine Stelle. Im Indischen ist alles Wunder und deshalb nichts mehr wunderbar. Auf einem Boden, wo der verständige Zusammenhang stets unterbrochen, wo alles von seinem Platze gerissen und verrückt ist, kann kein Wunder auftreten. Denn das Wunderbare setzt die verständige Folge wie das gewöhnliche klare Bewußtsein voraus, das nun erst eine durch höhere Macht bewirkte Unterbrechung dieses gewohnten Zusammenhangs Wunder nennt. Ein eigentlich spezifischer Ausdruck der Erhabenheit jedoch sind dergleichen Wunder nicht, weil der gewöhnliche Verlauf der Naturerscheinungen ebensosehr als diese Unterbrechung durch den Willen Gottes und den Gehorsam der Natur hervorgebracht wird.

c) Die eigentliche Erhabenheit müssen wir hingegen darin suchen, daß die gesamte erschaffene Welt überhaupt als endlich, beschränkt, nicht sich selbst haltend und tragend erscheint und aus diesem Grunde nur als verherrlichendes Beiwerk zum Preise Gottes angesehen werden kann.


 © textlog.de 2004 • 29.03.2024 07:54:59 •
Seite zuletzt aktualisiert: 14.09.2004 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright