XX.3. Kreuzzüge und ihre Folgen

 

 Man ist gewohnt, den Kreuzzügen so viele gute Wirkungen zuzuschreiben, daß man dieser Meinung zufolge unserm Weltteil alle halbe Jahrtausende ein dergleichen Fieber, das seine Kräfte rüttelt und aufregt, wünschen müßte; eine nähere Ansicht zeigt aber, daß die meisten der angegebnen Erfolge nicht von den Kreuzzügen, am wenigsten von ihnen allein herstammen, sondern daß unter den vielen Antrieben, die damals Europa gewann, sie höchstens ein beschleunigender, im ganzen aber widriger Mit- und Nebenstoß gewesen, den die Vernunft der Europäer wohl hätte entbehren mögen. Überhaupt ist's nur ein Bild der Phantasie, wenn man aus sieben getrennten Feldzügen, die in zweihundert Jahren aus sehr verschiednen Ländern und Beweggründen unternommen wurden, bloß des gemeinschaftlichen Namens wegen eine Hauptquelle von Begebenheiten dichtet.

 1. Der Handel, sahen wir, war den Europäern in die arabischen Staaten vor den Kreuzzügen eröffnet, und es stand ihnen frei, solchen auf eine anständigere Weise zu nutzen und zu verbreiten, als es durch Räuberfeldzüge geschehen konnte. Bei diesen gewannen die Überfahrer, Geldnegozianten und Lieferanten; sie gewannen aber alles von den Christen, gegen deren Vermögen sie eigentlich die Kreuzfahrer waren. Was dem griechischen Reich entrissen wurde, war ein schändlicher Kaufmannsraub, der dazu diente, daß durch die äußerste Schwächung dieses Reichs den immer näher andringenden Türkenhorden dereinst ein leichter Spiel mit Konstantinopel gemacht werden sollte. Daß Türken in Europa sind und daß sie sich daselbst so weit umherbreiten konnten, hatte der Löwe des heiligen Markus in Venedig schon durch den vierten Kreuzzug vorbereitet. Zwar halfen die Genuesen einem Geschlecht griechischer Kaiser wieder auf den Thron; allein es war der Thron eines geschwächten, zerstückten Reiches, den nachher die Türken leicht überwältigen mochten, da denn Venetianer sowohl als Genueser ihre besten Besitzungen im Mittelländischen und am Schwarzen Meer, ja endlich fast allen ihren Handel dahin auch verloren.

2. Das Rittertum ist nicht durch die Kreuzzüge, sondern die Kreuzzüge sind durch das Rittertum entstanden; beim ersten Feldzuge schon erschien die Blume der französischen und normannischen Ritter in Palästina. Vielmehr haben die Kreuzzüge beigetragen, ihm seine eigentümliche Blüte zu rauben und wahre Waffenritter in bloße Wappenritter zu verwandeln. In Palästina nämlich kroch mancher unter den Helm, der ihn in Europa nicht tragen dorfte; er brachte Wappen und Adel zurück, die jetzt auf sein Geschlecht übergingen und damit einen neuen Stand, den Wappen- und mit der Zeit auch den Briefadel in Laut brachten. Da die Zahl der alten Dynasten, des wahren Ritteradels, vermindert war, so suchte dieser zu Besitzungen und erblichen Vorzügen gleich ihnen zu gelangen; sorgfältig zählte er seine Ahnen, erwarb sich Würden und Vorzüge, so daß in einigen Geschlechten er wieder der alte Adel hieß, ob er gleich mit jenen Dynasten, die gegen ihn Fürsten waren, mitnichten zu einer Klasse gehört. In Palästina konnte, was Waffen trug, Ritter werden; die ersten Kreuzzüge waren ein großes Erlaßjahr für Europa. Bald kam dieser neue dienende Kriegsadel der wachsenden Monarchie sehr zustatten, die ihn gegen die übriggebliebenen hohen Vasallen klüglich zu gebrauchen wußte. So reiben Leidenschaften einander und der Schein den Schein auf; durch den dienenden Kriegs- und Hofadel ging endlich das alte Rittertum gar zugrunde.

 3. Daß die in Palästina gestifteten geistlichen Ritterorden Europa zu keinem Vorteil gewesen, ist durch sich selbst klar. Sie zehren noch von dem Kapital, das einst dem Heiligen Grabe, einem für uns ganz untergegangenen Zwecke, geweiht wurde. Die Hospitaliter sollten ankommende Pilgrime beherbergen, Kranke verpflegen, Aussätzige bedienen; dies sind die hohen Johanniterritter unserer Zeit. Als ein Edelmann aus dem Delphinat, Raimund du Puy, Waffengelübde unter sie brachte, trennte sich der Lazarusorden von ihnen und blieb bei der ersten Stiftung. Die Tempelherren waren regulierte Chorherren, lebten zehn Jahre selbst von Almosen und beschützten die Pilger des Heiligen Grabes, bis auch, nach vergrößerten Gütern, ihre Statuten verändert wurden und der Ritter den Waffenträger, der Orden dienende Brüder hinter sich bekam. Der Deutsche Orden endlich war für Kranke und Verwundete gestiftet, die auf dem Felde umherlagen; Kleidung, Wasser und Brot war ihre Belohnung, bis auch sie im nutzvollen Dienst gegen die Ungläubigen reich und mächtig wurden. In Palästina haben alle diese Orden viel Tapferkeit und viel Stolz, auch wohl Untreue und Verrat bewiesen; mit Palästina aber hätte ihre Geschichte zu Ende sein mögen. Als die Johanniter dies Land verlassen mußten, als sie Zypern und Rhodus verloren und Karl der Fünfte ihnen mit dem Felsen Malta ein Geschenk machte: wie sonderbar war der Auftrag, ewige Kreuzzieher auch außerhalb Palästina zu bleiben und dafür Besitztümer in Reichen zu genießen, die weder die Türken bekriegen noch die Pilgrime zum Heiligen Grabe geleiten mögen. Den Lazarusorden nahm Ludwig VII. in Frankreich auf und wollte ihn zu seinem Beruf, der Aufsicht der Kranken, zurückführen; mehr als ein Papst wollte ihn aufheben; die Könige von Frankreich schützten ihn, und Ludwig XIV. vereinte ihn mit mehrern geringen Orden. Er gedachte hierin anders als sein Vorfahr Philipp der Schöne, der aus Geiz und Rache die Tempelherren grausam ausrottete und sich von ihren Gütern zueignete, was ihm auf keine Weise zustand. Die Deutschen Ritter endlich, die, von einem Herzoge in Masowien gegen die heidnischen Preußen zu Hülfe gerufen, von einem deutschen Kaiser alles das zum Geschenk erhielten, was sie daselbst erobern würden und was ihm, dem deutschen Kaiser, selbst nicht gehörte, sie eroberten Preußen, vereinigten sich mit den Schwertbrüdern in Livland, erhielten Estland von einem Könige, der es auch nicht zu erhalten wußte, und so herrschten sie zuletzt von der Weichsel bis zur Düna und Newa in ritterlicher Üppigkeit und Ausschweifung. Die alte preußische Nation wurde vertilget, Litauer und Samojiten, Kuren, Letten und Esten wie Herden dem deutschen Adel verteilt. Nach langen Kriegen mit den Polen verloren sie zuerst das halbe, sodann das ganze Preußen, endlich auch Livund Kurland; sie ließen in diesen Gegenden nichts als den Ruhm nach, daß schwerlich ein erobertes Land stolzer und unterdrückender verwaltet worden, als sie diese Küsten verwaltet haben, die, von einigen Seestädten kultiviert, gewiß andere Länder geworden wären, überhaupt gehören alle drei angeführte Orden nicht nach Europa, sondern nach Palästina. Da sind sie gestiftet, dahin in ihren Stiftungen gewiesen. Dort sollten sie gegen Ungläubige streiten, in Hospitälern dienen, das Heilige Grab hüten, Aussätzige pflegen, Pilger geleiten. Mit dieser Absicht sind auch ihre Orden erloschen; ihre Güter gehören christlichen Werken, vorzüglich Armen und Kranken.

 4. Wie der neue Wappenadel einzig und allein von der wachsenden Monarchie in Europa seine Bestimmung erhielt, so schreibt sich die Freiheit der Städte, der Ursprung der Gemeinheiten, endlich auch die Entlassung des Landmannes in unserm Weltteil von ganz andern Ursachen her, als diese tolle Kreuzzüge gaben. Daß im ersten Fieberanfall derselben allen liederlichen Haushältern und Schuldnern ein Verzug zugestanden, Lehnsmänner und Leibeigne ihrer Pflichten, Steuernde ihrer Steuer, Zinsende ihrer Zinsen entlassen wurden, das gründete noch nicht die Rechte der Freiheit Europas. Längst waren Städte errichtet, längst wurden älteren Städten ihre Rechte bestätigt und erweitert; und wenn sich dem wachsenden Fleiß und Handel dieser Städte auch die Freiheit des Landmannes früher oder später mit anschloß, wenn selbst das Anstreben zur Unabhängigkeit solcher Munizipalitäten in dem Gange der sich aufrichtenden Monarchie notwendig begriffen war, so dörfen wir nicht in Palästina suchen, was uns im Strom der Veränderungen Europas nach hellen Veranlassungen zuschwimmt. Auf einer heiligen Narrheit beruht schwerlich das dauerhafte System Europas.

 5. Auch Künste und Wissenschaften wurden von den eigentlichen Kreuzfahrern auf keine Weise befördert. Die liederlichen Heere, die zuerst nach Palästina zogen, hatten keinen Begriff derselben und konnten ihn weder in den Vorstädten von Konstantinopel noch in Asien von Türken und Mamlucken erhalten. Bei den späteren Feldzügen darf man nur die geringe Zeit bedenken, in welcher die Heere dort waren, die Drangsale, unter welchen sie diese wenige Zeit, oft nur an den Grenzen des Landes, zubrachten, um dem glänzenden Traum mitgebrachter großer Entdeckungen zu entsagen. Die Pendeluhr, die Kaiser Friedrich II. von Meledin zum Geschenk erhielt, brachte noch keine Gnomonik, die griechischen Paläste, die die Kreuzfahrer in Konstantinopel anstaunten, noch keine bessere Baukunst nach Europa. Einige Kreuzfahrer, insonderheit Friedrich der Erste und Zweite, wirkten zur Aufklärung mit; jener aber tat es, ehe er das Morgenland sah, und diesem war nach seinem kurzen Aufenthalt daselbst diese Reise nur ein neuer Antrieb, in seiner längst erwiesenen Regierungsart fortzuwirken. Keiner der geistlichen Ritterorden hat Aufklärung nach Europa gebracht oder dieselbe befördert.

 


 © textlog.de 2004 • 16.04.2024 11:43:14 •
Seite zuletzt aktualisiert: 26.10.2004 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright