A posteriori - Schopenhauer, Lipps, Nietzsche


Psychologisch wird das a priori zunächst von einigen (partiellen) Anhängern Kants bestimmt. SCHOPENHAUER bemerkt: »Lockes Philosophie war die Kritik der Sinnesfunktionen. Kant aber hat die Kritik der Gehirnfunktionen geliefert« (W. a. W. u. V. Bd. II, C. 1). A priori = die Art und Weise, »wie der Prozeß objektiver Apperzeption im Gehirn vollzogen wird« (l.c. C. 4). »Wenn man vom Subjekt ausgeht, d.h. a priori«, »wenn man vom Objekt ausgeht, d.h. a posteriori« (l.c. Bd. I, §17, vgl. §15). JOH. MÜLLER macht die apriorischen Anschauungsformen zu »eingeborenen Energien« (Zur vergl. Phys. d. Gesichtssinn. S. 45 ff., 826). HELMZHOLTZ neigt zu einer psychologischen Auffassung des a priori (Tats. d. Wahrn.) besonders aber F. A. LANGE, der behauptet, das a priori werde durch Erfahrung gefunden (Gesch. d. Mat. II3, 29; ähnlich J. B. MEYER). Es entspringt aus der Natur des Bewußtseins, ist bedingt durch die »psychophysische Organisation« (l.c. S. 28). »Die psychophysische Einrichtung, vermöge welcher wir genötigt sind, die Dinge nach Raum und Zeit anzuschauen, ist jedenfalls vor aller Erfahrung gegeben« (l.c. S. 36).

Von Nicht-Kantianern bestimmen das a priori psychologisch: J. H. FICHTE, nach dem das Apriorische in »Urgefühlen«, »Urstrebungen«, »unbewußten Anlagen« des Geistes besteht (Anthr. S. 563). FORTLAGE nennt a priori das, was in der Tätigkeit des Auffassens allem beliebigen Inhalt vorhergeht und sich auf jeden beliebigen Inhalt beziehen läßt (Psych. I, § 10, S. 91). »Apriorische Schemata« sind die »Begriffsformen, welche nicht aus dem Vorstellungsinhalt als solchem, sondern aus seinem Verhältnisse zur Tätigkeit des Beobachters stammen« (l.c. S. 91). WAITZ: »Als a priori gegeben kann... ein Begriff nur betrachtet werden, wenn er ein allgemeines Gesetz des Vorstellungszusammenhangs überhaupt darstellt, so daß geordnetes Denken überhaupt erst durch die Befolgung und in dem Maße der Befolgung dieses Gesetzes möglich wird« (Lehrb. d. Psych. S. 575, 507). Nach VOLKMANN besteht die Apriorität nur »in konstanten Beziehungen der Vorstellungen, nicht in präformierten Eigentümlichkeiten der Sinnlichkeit, sondern in dem formierenden Mechanismus der Wechselwirkung der Vorstellungen« (Lehrb. d. Psych. II4, 7). A. SPIR versteht unter Begriffen a priori »Gesetze des Vorstellens, welche dem Subjekte selbst von Anfang an eigen sind« (Denk. u. Wirkl. II, 221). LIPPS betont: »Im menschlichen Geiste findet sich... a priori nichts als er selbst, d.h. seine Natur und eigenartige Gesetzmäßigkeit«. »Rein a priori kann also nur das Urteil heißen, das zwar - wie jedes Urteil - Objekte der Erfahrung zu Inhalten hat, bei dem aber das, was das Urteil macht, d.h. das Bewußtsein der objektiven Notwendigkeit des Vorstellens oder der Vorstellungsverbindung, nur durch die Gesetzmäßigkeit des Geistes begründet ist« (Gr. d. Log. S. 141). Es gibt Stufen der Apriorität (l.c. S. 142). Rein a priori sind die Urteile über die Zeit, nicht aber die über den Raum (l.c. S. 144). »Alles zeitliche Vorstellen setzt, ebenso wie alles räumliche, eine solche ursprüngliche Beschaffenheit der Seele voraus, die ihr erlaubt oder sie nötigt, unter gewissen sonstigen Bedingungen die Zeit- bezw. Raumform aus sich hervorgehen zu lassen... So ist auch das Farbenempfinden der Seele a priori eigen« (Gr. d. Seele S. 591 f.) M. BENEDICT: »Als ›aprioristisch‹ erscheinen gewisse Vorstellungen, wie z.B. jene von Zeit und Raum, gewisse Empfindungen und Handlungsweisen nur insofern, als die Eindrücke an die Mechanik der Nerventätigkeit gebunden sind« (Seelenk. d. Mensch. S. 11 f.) MÜNSTERBERG erklärt, die psychophysischen Dispositionen seien gegenüber dem wirklichen Bewußtseinsinhalt relativ apriorisch, indem sie die Formen seines Zusammenhanges notwendig bestimmen. Im Gehirn besteht eine gattungsmäßige Organisation. Aber die Synthesis des Mannigfaltigen ist nicht Funktion des psychologischen Subjekts (Grdz. d. Psych. I, S. 209). H SPENCER erklärt die Erkenntnisformen »als apriorisch für das Individuen, aber als aposteriorisch für die ganze Reihe von Individuen, in der jenes nur das letzte Glied bildet« (Psych. Il, § 332, S. 193 f.). Das Apriorische des individuellen Erkennens ist gattungsmässig erworben, erfahren, eingeübt, als Disposition ererbt, fest eingewurzelt (l.c. § 208, S. 487 ff.). Ähnlich auch LEWES, NIETZSCHE, SIMMEL und L. STEIN: »Raum und Zeit als Anschauungsformen, die zwölf Kategorien als Denk- bezw. Verknüpfungsformen a priori nehmen sieh bei Kant so aus, als seien sie ursprüngliche und nicht vielmehr erworbene Gehirntätigkeiten des sich entwickelnden Menschengeschlechtes. Hier können wir unmöglich stehen bleiben. Die gesamte Entwicklungsgeschichte in der neueren Biologie ist ein einziger lebendiger Protest gegen diese, auf Platon hinschielende Fassung des a priori. Soll Kant uns fruchtbar sein, so müssen seine Wahrheiten an denen Darwins gemessen werden.« »Der Evolutionismus muß ganz und ohne Rest in den Kritizismus hineingebildet werden« (An d. Wende des Jahrh. S. 264).


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