Religion

Religion (religio) ist objektiv ein Gebilde des Gesamtgeistes (s. d.) eines Stammes, eines Volkes, der Menschheit, subjektiv ein bestimmter Bewußtseinszustand, der der »Religiosität«. Mannigfache Gefühle und Willenstendenzen sowie Vorstellungen und Gedanken konstituieren die Religion. Diese ist ein geistiges Gebilde, sie wurzelt im Wesen des menschlichen Geistes und Gemütes, hat hier ihren apriorischen Faktor, ist aber in ihrer Sondergestaltung ethnologisch-historisch bedingt. Allgemein, ihrer Idee nach, ist die Religion der Ausdruck für die Beziehung, in welcher der Mensch sich zu dem ihm übergeordneten Unendlichen, Ewigen, Ganzen findet und bewußt setzt, sie ist die konkret-anschauliche (nicht abstrakt- begriffliche, wie die Philosophie) Erfassung der Eingliederung des Menschen, des Endlichen überhaupt ins Unendliche, in den Urgrund des Seins, zugleich aber die praktische Betätigung im Dienste dieser Idee (Mythus - Kultus). Gefühle der Furcht und Ehrfurcht, der Pietät, der Hoffnung, Dankbarkeit und Liebe, des innerlichen Ergriffenseins vom Walten der übersinnlichen Macht (Mächte), der Trieb zur Ergänzung des endlichen (theoretisch-praktischen) Lebens, nach Anschluß an ein Höheres, Mächtiges, Fürsorgliches, in dem man Stärkung, Trost, Zuversicht findet, das Suchen nach Kausalzusammenhängen sind die emotionellen und intellektuellen Wurzeln der Religion. Getragen ist das alles uranfänglich von der Wirksamkeit der »personificierenden Apperzeption« (s. d.), welche alle Wesen als analog dem eigenen Ich, als empfindend-wollende Wesen auffaßt. Vom Animismus und Fetischismus (Polydämonismus in verschiedenen Formen. Zoolatrie, Sabäismus u.s.w.) geht die Religion zum Polytheismus und Henotheismus über, um endlich nach Überwindung der Zersplitterung in Lokal-, Stammes-, Nationalgottheiten zum Monotheismus zu führen. An Stelle der Naturmächte treten später, unter dem Einflusse der sozialen Entwicklung, ethische Persönlichkeiten. Die Religion ist zunächst ein psychologisches, Subjektives Phänomen, ist aber, wie das Erkennen, objektiv bedingt und kann auf eine eigene Art der objektiven Geltung ihrer Glaubenssätze Anspruch machen, wenn sie mit den Forderungen des Denkens nicht in Konflikt gerät. Neben der wissenschaftlichen und sittlich-rechtlich-sozialen läßt sich auch von einer religiösen Vernunft sprechen, deren Ideal niemals rein zur Objektivierung gelangt. Mit den übrigen Kulturgebilden steht die Religion in innigem Zusammenhange. Die allgemeinen soziologischen (geschichtsphilosophischen) »Rhythmen« gelten auch für die Entwicklung der Religion. Was die Theorien über den Ursprung der Religion anbelangt, so sind (nach RUNZE) zu unterscheiden: 1) rationalistische Theorien, welche die Religion aus bewußter Absicht und der Reflexion einzelner Menschen erklären: a. Euhemerismus (s. d.). b. physikalischer Rationalismus: die Religion wird auf das Bestreben, die Naturerscheinungen rationell zu deuten, zurückgeführt. c. psychologischer Rationalismus: die Göttervorstellungen gehen aus bewußter Selbstobjektivierung menschlicher Eigenschaften hervor. d. kritischer Rationalismus (LOBECK, CHR. G. HEYNE, G. HERMANN, J. H. VOSS, E. RENAN): die Mythologie ist eine dichterisch-personifizierende Theorie der Welt und Menschheit. 2) Antirationalistische Theorien: a. Nativismus: die Religion ist angeboren. b. Supranaturalismus: die Religion entstammt der Offenbarung. c. Evolutionismus: die Religion ist ein Produkt organischer Entwicklung. 3) Neuere Theorien: a. Symbolismus (CREUZER u. a.): die Religion ist phantasievoll-sinnbildliche Erfassung des Übersinnlichen. b. Ableitung aus dem Volkstum. c. Naturismus: die Naturvergötterung ist die Urform der Religion (A. RÉVILLE, vgl. H. MÜLLER, Natural Religion 1889). d. Ahnenverehrung (TYLOR, CASPARI, E. SPENCER u. a.). e. Kombination des Naturismus mit den Ergebnissen der Sprachforschung (vgl. M. MÜLLER, RUNZE, Sprache u. Religion 1889, H. USENER, Götternamen 1896, u. a.): Erklärung religiöser Erscheinungen aus dem Charakter der Sprache. f. Adaptionismus (GRUPPE): Übertragung mythischer Anschauungen und von Kulten, Anpassung von Völkern an fremde Ideen und Bräuche. - Betreffs der psychischen Motive der Religion nimmt man an: 1) natürliche Willenstriebe: a. Furcht, Ehrfurcht, Pietät, Lieb. u. a.. b. Wünsche. 2) das Phantasieleben: a. Traum. b. dichtende Phantasie. 3) intellektuelle Motive: Frage nach der Weltursache, Idee des Unendlichen. 4) Motive des rechtlich-sittlichen Lebens: a. Rechtsidee und Vergeltungsbedürfnis. b. Gewissen. c. Ideal der sittlichen Vollkommenheit (vgl. über das Ganze und die hierher gehörige Litteratur G. RUNZE, Kat. d. Religionsphilos. S. 32 ff.). Verschiedene Auffassungen (objektivistische, Subjektivistische) gibt es auch bezüglich der Wahrheit und des Wertes der Religion.

Im Folgenden soll vorzugsweise nur die Geschichte der in der Philosophie vorkommenden Bestimmungen des Religionsbegriffes gegeben werden.



Begriff, Definition und Geschichte der Religion:


Cicero, Lukrez, Herder, Goethe
Kant, Schleiermacher, Schelling
Feuerbach, Comte, Mill, Tolstoi
Dilthey, Wundt, Dorner, Runze

 

 


Vergleiche ferner:

- Religion (Kirchner, Wörterb. d. phil. Grundbegr.)

- Religionsphilosophie (Kirchner, Wörterb. d. phil. Grundbegr.)

- IV. Religionssoziologie (Weber, Wirtschaft u. Gesellschaft):

- § 1. Die Entstehung der Religionen

- § 2. Zauberer — Priester

- § 3. Gottesbegriff. Religiöse Ethik. Tabu

- § 4. »Prophet«

- § 5. Gemeinde

§ 6. Heiliges Wissen. Predigt. Seelsorge

- § 7. Stände, Klassen und Religion

- § 8. Das Problem der Theodizee

- § 9. Erlösung und Wiedergeburt

- § 10. Die Erlösungswege und ihr Einfluß auf die Lebensführung

- § 11. Religiöse Ethik und »Welt«

- § 12. Die Kulturreligionen und die »Welt«

- Feuerbach (Religion, Sensualismus, Ethik) (Vorländer, Gesch. d. Phil.)

- Of Unity in Religion (Bacon, Essays)


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