Geist. Neuzeit, Moderne

Den absoluten Gegensatz zwischen Geist (res cogitans, mens) und Stoff lehrt DESCARTES. Geist und Körper sind Substanzen (s. d.). Der Geist ist einfach, unausgedehnt, unzerstörbar, er erfaßt sich selbst als Denkendes (Princ. phil. I, 11). Geist und Körper stehen in Wechselwirkung (s. d.) miteinander. Im Sinne des Cartesianismus definiert SPINOZA: »substantia, cui inest immediate cogitatio, vocatur mens« (Cart. pr. phil. I, def. VI). Er selbst sieht im Geist keine Substanz, sondern ein Attribut (s. d.) der einen Substanz (s. d.). Diese (=Gott) ist sowohl Geist (»res cogitans«) als Materie (Eth. II, prop. I, II), er ist unendlicher Geist (»intellectus infinitus«, l.c. prop. IV), den Einzeldingen immanent. Nach LEIBNIZ ist alles an sich geistiger Art, indem den Körpern Monaden (s. d.) zugrunde liegen, geistige Substanzen. Jede Monade ist eine Welt für sich, »comme an monde à part, suffisant à lui-même« (Gerh. IV, 485 f.). Gott (s. d.) ist reiner, aktiver Geist. Nach BERKELEY gibt es nur eine Art von Substanzen (Princ. CXXXV): Geister, d.h. aktive, perzipierende Wesen, deren objektive Vorstellungen Körper (6. d.) heißen. Ein Geist ist ein einfaches, unteilbares, aktives Wesen, das in Einem Verstand und Wille ist und nur in seinen Wirkungen zu percipieren ist (Princ. XXVII). Wir haben vom Geiste nur eine »notion«, keine »idea« (ib.). Der höchste Geist ist Gott (l.c. CXLVI; ähnlich schon MALEBRANCHE, der Gott [s. d.] den »Ort der Geister« nennt). Nach CHR. WOLF ist Geist »ein Wesen, das Verstand und einen freien Willen hat« (Vern. Ged. I, § 896); nach PLATNER das, »was mit Bewußtsein und Absicht wirkt« (Phil. Aphor. I, § 1063); nach KANT »das durch Ideen belebende Prinzip des Gemütes« (Anthrop. I, § 69 B). - SWEDENBORG glaubt an einen Verkehr der Menschenseelen mit der Geisterwelt (vgl. KANT, Träume ein. Geistersehers, II. T., 2. Hptst.).

Die Auflösung der geistigen Substanz in ein »Bündel« von Erlebnissen erfolgt bei HUME. Nach ihm ist der Geist ein gesetzmäßig verknüpftes Zusammen von Perzeptionen, ein »heap or collection« von solchen (Treat. IV, set. 2; IV, Set. 6). HELVETIUS sieht im Geist (esprit) »un assemblage d'idées neuves quelconques« (De l'espr. I, disc. II, ch. 1, p. 73). HOLBACH und LA METTRIE betrachten den Geist als Naturprodukt.

J. G. FICHTE bestimmt die Wirklichkeit als Geist, als Ich (s. d.). SCHELLING betrachtet Geist und Natur (s. d.) als die beiden Seiten oder Pole des Absoluten, der »Indifferenz« (s. Gott). In den verschiedenen Dingen überwiegt bald das eine, bald das andere Moment. »Ein Geist ist, was aus dem ursprünglichen Streite seines Selbstbewußtseins eine objektive Welt zu schaffen und dem Produkt in diesem Streite selbst Fortdauer zu geben vermag« (Naturphilos. S. 312). Nach SUABEDISSEN ist der Geist des Menschen »die Einheit, das eine Prinzip des ursprünglichen Denkens und Erkennens und des ursprünglichen Lebens und Handelns«, »die Vernunft, die zugleich theoretisch und praktisch ist« (Grdz. d. Lehre von d. Mensch. S. 160). HEGEL setzt den Geist (die Vernunft, Idee, s. d.) als Weltprincip, das in dialektischer (s. d.) Bewegung die Stufen des An-sich, Außer-sich, An-und-für-sich durchläuft und Als »absoluter Geist« zum Wissen seiner selbst kommt. Geist ist »das Bei-sich-selbst-sein« (Philos. d. Gesch. S. 21), die »unendliche Subjektivität der Idee« (Ästh. I, 103), das »an und für sich seiende Wesen..., welches sich zugleich als Bewußtsein wirklich und sich selbst vorstellt« (Phänom. S. 328), »das sich selbst tragende absolute reale Wesen« (l.c. S. 329), das »Wirkliche« oder »Wesen« der Dinge (l.c. B. 19). Er ist die »Wahrheit« der Natur, »die zu ihrem Für-sich-sein gelangte Idee« (Encykl. § 381). Er geht aus dem »Tode des Natürlichen« hervor (l.c. § 376), als ein »Offenbaren« seiner selbst (l.c. § 383 f.), als die »wissende Wahrheit« (l.c. § 439). Er entwickelt sich durch die Phasen des subjektiven und objektiven zum absoluten Geist (l.c. § 385), der der göttliche Geist ist (l.c. § 386), die »absolute Tätigkeit..., sich in sich selbst zu unterscheiden« (Ästh. I, 120). Der subjektive Geist ist theoretischer und praktischer Geist (Encykl. § 445). Der »objektive Geist« ist »die absolute Idee, aber nur an sich seiend« (l.c. § 483), d.h. der Geist in den sozialen Gebilden, das »sittliche Leben eines Volkes« (Phänom. S. 330). Der absolute Geist ist die sich wissende Idee oder Weltvernunft (Encykl. §. 554 ff., § 574, 577), die noêsis hê kath' hautên des ARISTOTELES (Met. XI, 7). In der Kunst, der Religion und endlich in der Philosophie manifestiert er sich (Encykl. §. 554 ff.). Der Weltgeist ist, intellectualistisch, als Denkkraft gedacht. Bei SCHOPENHAUER hingegen ist er Wille (s. d.). Nach GRILLPARZER ist der Geist »nicht ein Ruhendes, sondern vielmehr das absolut Unruhige, die reine Tätigkeit, das Negieren oder die Idealität aller festen Verstandesbedingungen« (WW. XV, 7). Im Sinne Hegels lehrt K. ROSENKRANZ. Der Geist ist »das Für-sich-sein der Idee als Idee, die sich wissende und wollende Idee«, das »Prius der Natur wie der Vernunft« (Syst. d. Wiss. § 564 ff.). Der Geist »ist nur, was er tut« (l.c. S. 367). Er ist frei (ib.), hat Bewußtsein und Vernunft (l.c. S. 368). Der subjektive Geist ist »der natürlich-individuelle, der in seiner Tätigkeit bei sich, in seinem Begriffe, bleibt«; der objektive Geist ist der Geist, »der seine Freiheit als eine objektive Welt hervorbringende« Geist; der absolute Geist ist »der Geist, der sich selbst als den absoluten Inhalt in der diesem Inhalt congruenten absoluten Forum weiß« (l.c. S. 366). So auch J. E. ERDMANN, der das Wesen des Geistes in das »In-sich-sein« setzt (Gr. d. Psychol. § 7). Nach HILLEBRAND ist Geist »das subjektive Sein, d.h. das Sein, insofern es sich selbst als Objektivität hat und seine eigenen Bestimmungen an sich setzt« (Phil. d. Geist. I, 65). »Nur in und mit der lebendigen Individualisierung kann... der Geist zur konkret erscheinenden Wirklichkeit gelangen« (l.c. S. 65 f.). Das Wesen der Geistigkeit besteht in der »Selbsterfassung und Selbstsetzung des Seins« (l.c. S. 66). Der Geist ist substantiell (l.c. S. 68), hat die Freiheit zu seinem Wesen (l.c. S. 71). E. v. HARTMANN bestimmt den Weltgeist als das »Unbewußte« (s. d.). G. CLASS sieht im absoluten Geist die Einheit von absolutem Denken und absolutem Ich. R. EUCKEN versteht unter Geist »den bei sich selbst befindlichen Lebensprozess« (Grundbegr. S. 47). Er »erzeugt aus seinem Schaffen eine neue Wirklichkeit und will die vorgefundene Lage damit umwandeln« (l.c. S. 58). Das »schaffende Geistesleben« ist vom »empirischen Seelenleben« deutlich zu unterscheiden; in jenem »erfolgt ein Aufsteigen der Wirklichkeit zu einer innern. Einheit und zu voller Selbständigkeit« (Gesamm. Aufs. S. 166). Der Geist entfaltet sich in der Geschichte (Kampf um ein. geist. Lebensinh. S. 19 ff.). Das Geistesleben ist die Erschließung der eigenen Substanz des Wirklichen, es ist universal (l.c. S. 30). Die geistige Welt muß durch Selbsttätigkeit, Kampf erzeugt werden (l.c. S. 30, 42 ff.). FECHNER versteht unter Geistigem die »Selbsterscheinung« (Zend-Avesta II, 164 f.). Geist ist das »dem Körper oder Leibe überhaupt gegenüber gedachte, sich' selbst erscheinende Ganze, welchen Empfinden, Anschauen, Fühlen, Denken, Wollen u.s.w. als Eigenschaften, Vermögen oder Tätigkeiten beigelegt werden« (l.c. I, S. XIX). »Ein Geist erscheint und erfaßt sich unmittelbar selbst« (l.c. I, 252). Das Geistige ist das Innensein dessen, was von außen als Körperliches erscheint. Es gibt eine Reihe von Geistern verschiedener Ordnungen, niedere und höhere, umfassendere (z.B. Planetengeister), sie alle werden vom göttlichen Allgeiste umfaßt (Elem. d. Psychophys. II, 455). Einen »Allgeist« nimmt M. VENETIANER an. HARMS bestimmt den Geist als den Grund der inneren Erscheinung, als Für-sich-sein der Dinge. - HERBART nennt Geist die Seele, »sofern sie vorstellt« (Lehrb. zur Psychol.3, S. 29). Nach LOTZE ist der Geist nur eine höhere Entwicklungsstufe der Seele, die Vernunft (Kl. Schrift. II, 498). Alles Wirkliche ist innerlich geistiger Art (s. Monaden), hat ein Für-sich-sein. LAZARUS versteht unter Geist »die menschliche Seele, welche ihrer selbst, und zwar in ihrer Tätigkeit als Tätigkeit, sich bewußt wird« (Leb. d. Seele II2, 74). Nach STEINTHAI. ist Geist derjenige Kreis von seelischen Erzeugnissen, welcher die Denktätigkeit, die Intelligenz umfaßt (Urspr. d. Sprache S. 119 f.). J. H. FICHTE nimmt »Geistesmonaden« als reale Wesen, Träger des Bewußtseins an (Psychol. I, 74). Der Geist hat nicht bloß apriorische Bestandteile, er ist selbst ein »vorempirisches Wesen« (l.c. I, S. VIII). Der Menschengeist ist ein »raumzeitliches Realwesen« (l.c. S. VII). Der Geist ist nicht das Bewußtsein, sondern das Bewußtseinerzeugende (l.c. I, 71 ff.). Nach WUNDT heißt Geist »das innere Sein, wenn dabei keinerlei Zusammenhang mit einem äußeren Sein in Rücksicht fällt« (Grdz. d. phys. Psychol. I3, 9; vgl. S. 12). Das Geistige ist das Innensein der Dinge, die unmittelbare Realität, die sich von den elementarsten bis zu den höchsten Formen entwickelt. Alles Geistige ist aber bewußte Wirksamkeit, ein »unbewußter Geist« ist ein Widerspruch (Syst. d. Philos.2, S. 553 ff.). Die Natur ist, als Vorstufe des Geistes, selbst schon geistiger Art (l.c. S. 568 ff., 619 f.). Ebenso ursprünglich und real, ja realer als die Einzelgeister ist der Gesamtgeist (s. d.), der aber keine besondere Substanz ist, sondern in den Einzelgeistern existiert, wenn er auch mehr als deren Summe ist (l.c. S. 611 ff.; Gr. d. Psychol. S. 361; Log. II2, 2, S. 40; Völkerpsychol. I, 1, S. 10 f.; Eth.2 S. 459). Der göttliche Weltgrund ist Geist und zugleich übergeistig (Syst. d. Philos.2, S. 392 ff.). MÜNSTERBERG unterscheidet das Geistige vom Psychischen (s. d.); letzteres ist schon eine abstraktive Bearbeitung des ersteren, der in »Selbststellung«, im konkret-lebendigen Wirken besteht (Grdz. d. Psychol. I). A. DORNER versteht unter dem Geist die selbstbewußte Seele (Gr. d. Religionsphilos. S. 40 ff.). Unter »objektivem Geist« verstehen RIEHL, JODL, JERUSALEM die Gesamtheit der geistigen Produkte innerhalb einer Gesellschaft. Der Materialismus (s. d.) betrachtet den Geist als Stoff oder materielle Funktion oder Epiphänomen (s. d.) der Materie oder Energie. Vgl. Spiritualismus, Seele, Idealismus, Panpsychismus, Natur, Psychisch, Gesamtgeist.


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