12. Etwas von den Sitten.

Veränderung der Sitten. Nägel. Ranelagh. Boxing. Dr. Mayersbach


Die Verschiedenheit des Essens am östlichen und westlichen Ende der Stadt ist bemerkenswert. Der ganz Fremde würde indes wenig Unterschied finden; denn überall geht es gleich steif und unbeholfen zu. Man sitzt vor Tische unbeweglich im Stuhl, spricht wenig, schlägt die Arme über einander, und hat Langeweile, bis zur Tafel gerufen wird. Dann ziehen die Weiber wie die Kraniche ins Speisezimmer; niemand führt sie. Man fodert zu trinken, wie in einem Wirtshaus, oder macht Partie mit jemand, um ein Glas zu trinken; und nach Tische werden Gesundheiten getrunken. Auch erscheint, so bald die Damen sich entfernt haben, überall der Nachttopf.

Suppe ist nirgends zu sehen. Man setzt noch immer Gläser mit Wasser auf den Tisch, und jedermann spült sich, Angesichts der ganzen Gesellschaft, den Mund und wäscht sich die Hände. Bis Thee und Kaffee im Nebenzimmer serviert werden, sitzt man am Tisch, und trinkt Wein. – Nur im Westen gibt es Servietten, die in der City durchgehends wegbleiben. Kleine Schüsseln findet man auch nur an dem vornehmen Ende der Stadt; am östlichen ißt man mancherlei durch einander und mit einander.

Die Engländer pflegen ihre Hospitalität zu rühmen, und nennen ihr Land das gastfreieste in der Welt. Ausländer hingegen beklagen sich, dass, wenn sie zu Hause den durchreisenden Engländern alle erdenkliche Höflichkeit erwiesen haben, diese, wenn man sie in England besucht, den Fremden zu einem Mittagsessen im Wirtshause bitten, und ihn alsdann seine Zeche mit einer halben, oder gar mit einer ganzen Guinee bezahlen lassen. Anfänglich lachte ich selbst über diesen, wie es mir vorkam, ganz verkehrten Begriff von Hospitalität. Allein ich habe der Sache nachgedacht, und finde manches zu erinnern, was sie in ein ganz anderes Licht stellen kann. Erstlich also, ist es wenigstens von den Einwohnern auf dem Lande sehr buchstäblich wahr, dass sie gegen Fremde, die ihnen empfohlen werden, die Gastfreiheit in einem hohen Grade ausüben. Zweitens sind die Veranlassungen zu einem Mittagsmahl in dem Wirtshause in London häufiger als anderwärts, indem so mancher daselbst kein Haus hält, sondern Jahr aus Jahr ein täglich in ein öffentliches Wirtshaus geht, um dort zu essen. Drittens glaubt mancher seinem Gaste mehr Freiheit zu lassen, wenn er ihn an eine Tafel führt, wo er seinen freien Willen behält, und fordern kann, was ihm beliebt, als wenn er ihn nöthigte, sich nach seinem Geschmack zu richten. Endlich auch in London selbst, sind die Fälle gar nicht selten, dass Fremde in den Häusern ihrer Bekannten bewirtet werden, wie es mir selbst vielfältig widerfahren ist. – Mehr aber, als dies alles, ließe sich noch zur Entschuldigung oder Rechtfertigung des Englischen, mir sonst so paradox scheinenden Begriffes von Hospitalität sagen, der zuletzt auf die Definition hinausläuft, dass man in England für Geld haben kann, was man will. Schöne Gastfreundschaft! sagte ich, als ich diesen Ausdruck zum erstenmal hörte; und tausend Ausländer für Einen werden in Versuchung sein, denselben Ausruf zu tun. Ich gestehe gern, dass ich nicht mehr so verächtlich von dieser Gastfreiheit urteile, welche jedem für Geld verschafft, was er nur an Bequemlichkeit und Genuß verlangen kann. Es ist nichts Geringes, den Fremdling, den Reisenden, den Käufer, der im Laden etwas kaufen will, mit Freundlichkeit und Dienstfertigkeit aufzunehmen. Diese Attention ist aber in England recht eigentlich zu Hause. Kauft man für eine bloße Kleinigkeit, für zwei Schilling z.B., in einem Laden, so ist der Kaufmann erbötig, das Gekaufte selbst nach Hause zu schicken; gleichviel, ob in die nächste Straße, oder durch den ganzen Diameter der unermeßlichen Hauptstadt zu gehen ist. Kauft man für mehrere Pfund Sterling, so wird man fast unfehlbar von dem Kaufmann zu Tische gebeten. Im Laden präsentiert man dem Käufer einen Stuhl, ein Glas Wein, eine Tasse Chokolade, oder andere Erfrischungen. Um eine Kleinigkeit abzusetzen, läßt sich der reichste Kaufmann keine Mühe verdrießen; man mag hundert Stücke Zeug um- und durchwühlen: er wird nicht müde, immer wieder andere herbeizuschaffen. – In den Wirtshäusern ist alles Aufmerksamkeit, und der gewöhnlichste Passagier wird wie der erste Lord bewirtet. Die Aufwärter laufen an den Wagen, so bald sie jemand ankommen sehen; der Wirt selbst erscheint und bewillkommt seine Gäste. Er bedient sie bei Tisch, und das Kammermädchen sorgt bestens dafür, dass die Betten frisch und rein sind. Fährt man fort, so ist man wieder eben so mit dem Wirte, der Wirtin, und den Aufwärtern umgeben. Jedes hat im Hause sein bestimmtes Amt. Boots ist bei der Hand, Schuh und Stiefeln abzuziehen, zu putzen, und dem Fremden Pantoffeln zu präsentieren. Kommt man zu Pferde an, so hat der Horseler, oder wie das Wort gewöhnlich ausgesprochen wird, Ostler, die Sorge für die Pferde. Will man ausfahren, so hat jeder Gastwirt mehrere nette Postchaisen und etliche Züge Pferde im Stall, deren sich ein Deutscher Edelmann nicht schämen dürfte. Fast Jahr aus Jahr ein brennt ein Feuer in dem Kamin; und die Wirtshäuser sind schon darauf eingerichtet, dass man, außer dem Schlafzimmer, für jede Gesellschaft ein besonderes Wohnzimmer hat, ohne dass die Kosten darum besonders erhöhet würden. – Tische und Stühle sind durchgehends vom schönsten Mahagonyholz, mit roßhaarnen Küssen; und der Teppich von der vortrefflichen Wollenmanufaktur in Wiltshire, oder wenigstens ein Schottischer, liegt den Winter hindurch in jedem Zimmer; so wie vor jedem Bette Jahr aus Jahr ein, und in den zierlichern Gasthöfen auf allen Treppen, ein schmaler Streif von eben diesem Tuche liegt. Des Silberzeugs, des Tafelgeschirrs ist kein Ende; nur Servietten muß man nicht erwarten. Wahrlich das Land ist gastfrei zu nennen, wo es Menschen sich so angelegen sein lassen, andern das Leben bequem und angenehm zu machen, Reisende nach einem beschwerlichen Cahotage zu erquicken, und ihnen einigen Ersatz zu verschaffen für die liebe Heimath, von der sie sich entfernen müssen. Wer empfunden hat, wie der Reisende in andern Ländern in sich selbst zurückgetrieben wird; wie er so gar keine Teilnahme erweckt, so gar kein freundliches Gesicht ihn bewillkommen sieht, für sein Herz so gar keine Nahrung findet, wenn er sich einmal von den Seinigen entfernt; wie es den Gastwirten gar nicht um seine Bequemlichkeit, sondern lediglich um ihren Gewinn zu tun ist: der muß den Vorzug des Reisens in England empfinden, wo ihn so manches freundliche Wort, so viel echte Urbanität in den Sitten der Menschen, mit denen er auf der Reise umzugehen genöthigt ist, unaufhörlich mit dem ganzen Geschlecht versöhnt und in eine zufriedene Stimmung versetzt. Ein gutes Gesicht, und Bereitwilligkeit, jeden seiner Wünsche zu erfüllen, lassen sich wahrlich nicht mit dem Gelde erkaufen, das er für seine Zehrung zahlt. Allein die Begriffe, dass man als Gastwirt verbunden sei, für die Bequemlichkeit und das Wohl der Gäste zu sorgen, dass man wirklich die Rechte der Hospitalität an ihnen ausüben müsse, und ein schönes Gefühl von Unabhängigkeit und Gleichheit, womit man sich bewußt ist, dass man nicht bloß vom Fremden lebt, sondern ihm auch wirklich das geben kann, was seine Börse nicht bezahlt: – dies wird schon mit der Muttermilch eingesogen, und mit den Anfangsgründen der Erziehung in den Gemütern entwickelt. Dazu kommt noch, dass hier nicht leicht ein hungriger Abenteuerer einen Gasthof anlegt, sondern dass dieses Geschäft insgemein den Besitz eines ansehnlichen Vermögens voraussetzt; dass folglich die Gastwirte selten so gröblich unwissend wie in andern Ländern sind, und im Gegenteil die Erziehung, die ihrem Vermögen angemessen war, genossen haben; mithin, dass die Überzeugung, Zufriedenheit und Glück müsse nur in einer bestimmten Geschäftigkeit gesucht werden, den Entschluß leitet, auf irgend eine Art das Vermögen anzulegen und zu einem gemeinnützigen Endzwecke damit zu wirtschaften. Dieser Geist der Tätigkeit unterscheidet den Engländer, wie mich dünkt, am meisten von allen andern Nationen. Ein Deutscher, ein Franzos, ein Italiener von gewöhnlichem Schlage, der dreißig- oder vierzigtausend Thaler hätte, würde sich erniedrigt glauben, wenn er ein Gewerbe oder eine Hantierung triebe; der Engländer fängt damit erst recht an, und hält das Geld nur für eine Federkraft in seinen Händen, wodurch er für seine Tätigkeit Platz gewinnen und in eigenem Wirken und Schaffen sich selbst gefallen kann. Ich weiß, es gibt auch auf dem festen Lande einige Ausnahmen; allein zu geschweigen, dass diese eigentlich, wie immer, die Regel bestätigen, so ist doch in den Gelenken unserer Gastwirte eine natürliche Steifigkeit, die sich nur durch die Zauberkraft einer Equipage mit Sechsen, oder eines adlichen Wapenschildes vertreiben läßt. Die Huldigung, die sie dem Reichtum leisten, möchte man ihnen noch verzeihen: sie hat wenigstens einen Gegenstand; allein die Furcht vor der privilegierten Klasse der Nation ist ein Schandfleck von angestammter Niederträchtigkeit, der die menschliche Natur entehrt, am meisten da, wo der Adel durch keinen Zügel, weder durch Eigennutz, noch durch Begriffe von Ehre und Schande, sich gehalten fühlt, mithin, weil er die oberste Stelle ohne sein Verdienst besitzt, dem eigentümlichen Werte nach auf die allerunterste Stufe hinabgesunken ist, und die Verachtung aller übrigen, die alle besser und edler sind als er, in vollem Maße verdient.

Es sind nun zwölf Jahre verflossen, seitdem ich in England war. In diesem Zwischenraume kann eine wesentliche Veränderung der Sitten in einem Volk Statt finden, dessen Wirksamkeit einen so raschen Umschwung hat. – A priori läßt sie sich sogar erwarten, und a posteriori möchte man aus allerlei Auftritten in der neuesten Geschichte sich davon versichert halten. – Bei einer sehr genauen Untersuchung ließen sich unstreitig auch einige Abweichungsgrade bestimmen, die vielleicht in der Folge mit wachsender Geschwindigkeit zunehmen, und wesentlichere Umwandelungen auf die Bahn bringen können; allein für den allgemeinen Eindruck ist gleichwohl der Zwischenraum, den ich hier angegeben habe, noch zu unbedeutend, und England ist noch das alte, wie seine Einwohner es emphatisch zu nennen pflegen. Ich darf dieses mit desto größerer Zuversicht sagen, da ich wirklich eine merkliche Veränderung erwartet hatte, und mich in dieser Erwartung sehr getäuscht finde. Ich bin so wenig fremd in London, weder in Absicht auf die Phraseologie, noch im Punkte der Lebensart und Sittenstimmung, dass diese Identität der erneuerten Eindrücke mit den alten Vorstellungen mich gewissermaßen in der Eigenschaft des Beobachters stört, indem mir das gewohnt und alltäglich in der Erinnerung scheint, was ich mit Rücksicht auf Dich, da Du nie in England warst, als merkwürdig, und von unserer Art zu leben verschieden, anzeichnen sollte. Um mit der Sprache anzufangen, so ist es zwar gewiß, dass die Büchersprache epigrammatischer geworden ist, und dass auch im gemeinen Leben manche neue Wörter, zumal in Beziehung auf Indien, in Cours gekommen sind; allein die Aussprache ist völlig unverändert, und die große Masse der Redensarten, die Sprichwörter, die Benennungen der Dinge, bleiben dieselben. Fast ein wenig höflicher, als sonst, scheint mir der gemeine Mann zu sprechen, wie er auch in Absicht auf fremde Kleidertracht, ausländische Sitten und Sprachen, die sich seinen Sinnen auf den öffentlichen Straßen darstellen, toleranter geworden ist. Diese Ausbildung ist unstreitig eine Folge der in England so allgemeinen Zeitungslektüre, und ein Beweis für die Milde des echtenglischen Charakters, der am Ende der Vernunft doch immer Gehör gibt, so laut auch seine Vorurteile, seine üblen Gewohnheiten, und seine Leidenschaften zuweilen dagegen reden.

Die Toleranz gegen die Ausländer, und zumal die Franzosen, scheint auch mit einem größeren Umfange in Befolgung und Nichtbefolgung der Moden, als ehedem, in Verbindung zu stehen. So stark auch die Nachahmung wirkt, so sieht man doch unzählige Menschen in den Straßen, die sich in ihrer Kleidung nicht irre machen lassen, sondern ihren Rock noch so tragen, wie sie ihn vor zwanzig Jahren zu tragen gewohnt waren. Vielleicht ist auch die schnelle Succession der Moden schuld, dass sie nicht allgemein werden können, sondern sich bloß auf die höheren Kreise der verfeinerten Gesellschaft einschränken. Eine bekannte allgemeine Revolution in der Kleidung der Mannspersonen, ist die Abschaffung des Degens, den man sonst überall zu sehen gewohnt war, und jetzt nur noch bei Hofe sieht; die allgemeine Einführung der kurzen Westen, und jetzt die fast gänzliche Vertauschung der dreieckigen gegen runde Hüte. Das Militair und die Offiziere von der Flotte tragen fast ganz allein ihre dreieckigen Uniformhüte. Kinder kleidet man noch, wie ehedem. Ihr rund geschnittenes, ins Gesicht gekämmtes Haar, wird in der Welt Mode bleiben, wo nur immer der Menschenverstand genug aufdämmert, um die Absurdität einer koëffierten Diminutivfigur zu empfinden. Ganz junge Kinder, bis ins vierte Jahr, erhalten aber hier noch immer keine Strümpfe, obgleich das Klima augenscheinlich diesen plötzlichen Übergang von Wärme zur Kälte verbietet. Es ist aller Erfahrung zuwider, dass der menschliche Körper diese Extreme zu gleicher Zeit ausstehen kann, ohne eine größere oder geringere Zerrüttung seiner Organisation zu erleiden. Von der Blutwärme, die das Kind vor der Geburt überall umschloß, ist der Übergang zur Temperatur der atmosphärischen Luft in England, zumal im Winter, so groß, dass ich mich nicht wundern würde, wofern künftige Physiologen in der plötzlichen Kälte, der man die zarte Organisation des Kindes aussetzt, die erste Veranlassung zu der in England so häufigen Gicht entdecken sollten. Allein in diesen Teil der Erziehung mischen sich die Ärzte; mithin die Theorie, die Systemsucht, und die gelehrte Rechthaberei. Gesunder Menschensinn läßt sich in dieser Gesellschaft nicht antreffen.

Die gewöhnlichste Haube der Frauenzimmer hat einen ungeheuer breiten Strich, und ist überhaupt so weitläuftig, dass ich eher alles von ihr sagen und glauben möchte, als dass sie schön sei, und ziere. Die vornehmste Frau und das gemeinste Mädchen tragen diese Haube; mit dem Unterschiede, dass diese nie ohne dieselbe gesehen wird, da sie hingegen bei jener nur das tiefste Negligé andeutet. Hohe Hüte von Filz, von allen Farben: weiß, rosenrot, braun, grün, himmelblau, und col de canard, – am meisten aber schwarz, mit einem runden schmalen Rand, und hohem spitzer zulaufenden Kopf, einer Bandkokarde oder einem Federbusch zuoberst, und einem goldenen, oder seidenen, farbigen und mit Gold gewirkten Bande unten, sind jetzt die allgemeine Tracht des Frauenzimmers, fast von allen Ständen. Zum vollen Anzuge gehört es aber noch jetzt, wie immer, dass man ohne Hut erscheint; und in diesem Falle ist eine sehr vollständige Frisur mit vielen Locken im Toupet, und einem Bande oder einer Agraffe von Juwelen im Haar, oder eine hohe, sich vorn über türmende, turbanähnliche Haube, der Putz, womit Junge und Alte prangen. Die Hüte sind an Gestalt völlig denen ähnlich, die man auf Rubens und Vandyks Porträtsn bemerkt. Die Hauben sind äußerst verunstaltend; und es fehlt nicht viel, so werden sie den Fontangen ähnlich sein, die man in Ludwigs XIV. Zeiten trug. – Viele, zumal junge Frauenzimmer, gehen ungepudert; es ist indes keine allgemeine Mode, und am wenigsten zur vollen Kleidung anwendbar. – Eine Art Negligé ist es auch, wenn man vollständig frisiert ist, statt der Haube aber nur ein kleines Küssen oben auf dem Kopfe trägt, welches der Haube eigentlich zum point d'appui dient, und wie Vesta's oder Cybelens Turm aussieht. Dabei trägt man noch immer die ekelhaft großen Halstücher, so zusammengeschlagen, dass die obersten Falten mit dem Munde in gleicher Höhe stehen, und es beinahe so viel Kunst erfordert, einen Bissen, ohne das Halsbollwerk zu beschmutzen, in den Mund zu steuern, als mit Chinesischen Stäbchen zu essen. Ein anderer Gräuel des hiesigen Anzuges sind die Schnürbrüste, die so allgemein wie jemals getragen werden, und jetzt nur wegen der fürchterlich hohen Florbusen eine Exkrescenz vor der Brust bilden, welche wenigstens diesen zarten Teil vor Beschädigung sichert, aber zur Schönheit der weiblichen Figur nichts beiträgt. Poschen gehören nur zum vollen Anzuge. Sonst hängt das Kleid so lang und schlank an den Schenkeln hinunter, wie nur etwas hängen kann. Große baumwollene Tücher tragen die mittleren Stände, und Shawls, in Nottingham, nach den Indischen verfertigt, die vornehmeren, gegen die kalte Luft. Diese Shawls werden jetzt weit länger gemacht als ehemals, weil man sie, nachdem sie über die Brust zusammengeschlagen worden sind, hinten in einen Knoten schlägt und die Zipfel wie eine Schärpe herabhängen läßt. Große Flortücher mit Blonden oder gehackten Spitzen gehören zum vollen Anzuge, der sehr oft aus Crepflor, oder überhaupt ganz weißen Zeugen besteht. Um die Taille schließt ein elastischer Gürtel, den die Erfindsamkeit der Englischen Putzhändler einen Cestus nennt, mit einem Schlosse, oder nach der neusten Mode, drei Schleifen und brillantierten Knöpfen von Stahl. Anstatt dieses Putzes tragen viele Frauenzimmer eine zur Taille passende ausgeschweifte Binde von seidenem Stoff, und ein breit seidnes Band als Schärpe. Unmöglich kann ich alle die eleganten oder doch prätensionsvollen Negligés und Karakos beschreiben, in denen die Petite-Maitressen auf der Schaubühne, in den Logen, und in Ranelagh und Vauxhall erscheinen. Genug, die unermüdete Anstrengung der Fabrikanten in Nottingham und Manchester erfindet immer neue Stoffe, und die Modehändlerinnen geben sich die Tortur, um nicht minder erfinderisch zu sein, als ihre Französischen Nachbarinnen.

Die Schuhe der Engländerinnen haben das Besondere, dass die Absätze weiter nach hinten stehen, als an unsern Französisch – Deutschen Damenschuhen. Man trägt jetzt zierliche Rosetten von Stahl darauf, die sehr gut kleiden. Die Herren haben ihre Schnallen meistens mit Springfedern, so dass das Herz von dem Teile der Schnalle, der bloß für das Auge dient, gänzlich getrennt ist, und nur an Einem Charnier, und dann durch eine Feder, damit zusammen hängt.

Durchgehends bemerke ich, dass die Engländer jetzt die Nägel ungeheuer lang wachsen lassen; am längsten und spitzigsten die, welche in Ostindien gewesen sind, woher auch die Mode augenscheinlich nach Europa herüber gekommen ist. Man hat wenigstens eben so vornehm scheinen wollen, als ein vornehmer Indier, dessen Nägel die Stelle seines Stammbaums vertreten. Es ist aber eine häßliche Mode, und ein wahres Emblem der Faulheit, da man mit solchen Krallen unmöglich irgend ein Geschäft verrichten kann, das nur einige Anstrengung erfordert. Aber auf dem Sofa zu sitzen und dem lieben Himmel den Tag zu stehlen: dazu sind sie ersonnen.

Erst um 10 Uhr fängt jetzt die Gesellschaft an, sich in Ranelagh einzufinden. Das Coup d'oeil ist immer zauberisch. Die Verteilung der Lichter gießt so etwas Festliches, Heiteres umher, dass die trübste Seele dadurch erhellet werden muß. Im Garten war mir so wohl zu Mut; es war so dunkelblau der Himmel, so niedlich das Blinkern der Lampen, so balsamisch erquickend der Duft von unzähligen Eglantin- Rosenhecken, herbeigewehet von einem mildsäuselnden West; die Töne des Orchesters in der Rotonde verhallten dort so gedämpft; – es war der erste ungetrübte Genuß, seitdem ich in England bin.

Mendoza, der nur durch Verabredung den Kampf mit Humphries als Sieger bestehen konnte, da ihn sonst Humphries in fünf Minuten zu Grunde richten würde, – begegnete neulich einem Bauerkerl, und schlug ihn. Der Bauer nahm es übel, und widerstand. Er schlug ihn nochmals nieder, weil er agiler, als der Bauer war. Hierauf entschloß sich der Bauer zu einem ordentlichen Kampf, zog seine Kleider aus, und drang auf seinen Gegner dergestalt ein, dass diesem seine Geschwindigkeit nichts half, sondern er eine gewaltige Tracht Schläge bekam.

Dr. Mayersbach, dieser Quacksalber ist wieder hier, wohnt in Red lion square, und hat noch immer Zulauf wie ehedem. Er war Postschreiber in –, und wußte nichts von der Medicin; allein er associierte sich mit einem gewissen Apothekergesellen, Namens Koch, der die Hallischen Medicamente zu bereiten gelernt hatte, und ward in England durch Lord Baltimore's Empfehlung als Arzt bekannt. Durch die elendesten Künste erwarb er sich die Reputation, aus dem Urin alle Krankheiten wissen zu können. Ein Londoner Arzt, Dr. Lettsom, schickte ihm etwas Urin von einer Kuh zu, worauf er sogleich die Patientin für eine schwangere Frau erklärte – wie er es von dem Bedienten des Doktors erfahren hatte. – Sein Zulauf war unglaublich. Nachdem er sich ein schönes Vermögen erworben hatte, ging er nach Deutschland zurück. Jetzt ist er wieder da, und das liebe London läßt sich aufs neue von ihm betrügen.




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 © textlog.de 2004 • 19.04.2024 05:16:44 •
Seite zuletzt aktualisiert: 16.11.2007 
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