Dreilinden

1. Kapitel

Erster Besuch in Dreilinden


Jagdschloß Dreilinden war Lieblingsaufenthalt des Prinzen Friedrich Karl. Jeder, während der siebziger Jahre, kannte das Schloß, wenn nicht von Ansehen, so doch aus den Hofnachrichten, in denen es in bestimmten Abständen hieß: »Seine Königliche Hoheit kam heute von Dreilinden herein in die Stadt und kehrte gegen Abend dahin zurück.« Dreilinden war ein populärer Name geworden, fast so populär wie der des Prinzen selbst.

Ich persönlich lernte das Jagdschloß erst im Spätherbst 1881 kennen, und wie sich's mir damals darstellte, darüber will ich in nachstehendem berichten.

 

*

 

Ein halb durchsichtiger Novembernebel, aus dem es in kleinen Tropfen niederfiel, lag weithin über der Landschaft, und an allerlei wie Schatten aus der Unterwelt dastehenden Vergnügungslokalen vorüber, die traurigen Blicks uns nachsahen, als ob sie bäten, »sie doch mitzunehmen in Licht und Leben«, jagten wir erst durch den Steglitzer Bahnhof und gleich danach durch den von Lichterfelde hin. Alles war öd und leer, und selbst der Kadettendom stand wie in Trauer.

Und nun hielten wir. »Wannsee, Wannsee«.

Den ganzen Zug entlang öffneten sich nicht mehr als zwei Kupees, deren Insassen, in einer längeren und einer kürzeren Schräglinie sofort demselben Ziele zusteuerten und zwar auf zwei hart an einer Windecke haltende prinzliche Wagen, die, luftig und offen, in ihrer ganzen Erscheinung unzweifelhaft eine Wonne für tapferes und abgehärtetes Kriegsvolk, aber von desto zweifelhafterem Werte für alle noch zu den Traditionen der »zuigen Droschke« haltende Zivilpersonen waren. Ich, der den kürzeren Weg hatte, nahm das Marschtempo so, daß ich mit der Hauptkolonne dicht an der Windecke zusammenstoßen mußte, stellte mich hier vor, und tauschte dafür, als Gegengabe, vier oder fünf Namen ein, die die gesamten Personalverhältnisse genau so dunkel beließen, wie sie bis dahin gewesen waren.

Übrigens entsprang aus dieser Dunkelheit weder Verwirrung noch Gene, vielmehr ließ sich umgekehrt leicht erkennen, daß ein unter gleichen Verhältnissen an dieser Ecke stattfindendes Zusammentreffen ein ganz alltägliches Ereignis war. Jedenfalls aber klärte sich die Situation sofort, als die Plätze hüben und drüben eingenommen und unter Zitierung einiger wie Whistwitze stationär auftretenden Schäkereien, unsere vier Beinpaare nach Art ebenso vieler Rautenwappen ineinander geschoben waren. Und nun saßen wir. Fertig! Ein Peitschenknips noch, und in raschem Trabe ging es, unter einem Brückenüberbau weg, in eine breite chausseeartige Fahrstraße hinein, die, nach links hin, eine mit hohen Kiefern besetzte Waldlisiere streifte. Hart zur Rechten aber lief der Bahndamm, auf dem eben die roten und grünen Signallichter angezündet wurden.

Am Waldsaum hin wob noch Dämmerung, in demselben Augenblicke jedoch, wo wir, von der breiten Fahrstraße her, in einen schmalen und recht eigentlichen Waldweg einbogen, umgab es uns wie Nacht. Kein Lichtblitz, kein Tagesschimmer mehr, so dicht wölbte sich über uns das von rechts und links her ineinander geschobene Gezweig.

Und nun schwieg auch die Heiterkeit. Alles rückte sich zurecht und ließ deutlich erkennen, daß wir uns in unmittelbarer Nähe unseres Zieles befinden mußten. Und wirklich, eine scharfe Biegung noch und der Wagen hielt.

Unvergeßlich Bild! Aus einer mit beiden Flügeln offenstehenden Tür ergoß sich ein Lichtstrom auf einen rondellartigen und von Tannen umstellten Vorplatz, während sich in der Tür selbst, und weiter zurück, ein buntes Gewirr von Uniformen und Livreen zeigte. Die Mäntel glitten uns von der Schulter, und im nächsten Augenblicke schon traten wir aus dem Vorflur in eine dahinter gelegene größere Flurhalle, von der aus eine Steintreppe, gradlinig und mit leichtem Eisengeländer, in die Zimmer des ersten Stockes hinaufführte. Hier am Eingang empfing uns der Prinz, ein gnädiges Wort an alle, die gnädigsten an die Neulinge richtend; aber ehe noch das Wort ein Gespräch werden konnte, tat sich auch schon der uns unmittelbar zur Seite gelegene Speisesaal auf, auf dessen von Lichtern überstrahlter Tafel es von goldenem Gerät und eigenartigen, aus der Jagdwelt stammenden Aufsatzstücken blinkte. Die Fülle der Eindrücke nahm der Zeit ihr Maß, die Stunden wurden zu Minuten und ehe noch die Möglichkeit gewonnen war, sich in dem Bilde von Licht und Glanz zurechtzufinden, war auch die Zeit schon wieder um, und das Vorfahren der Wagen wurde gemeldet. Ein Abschiedswort noch, gnädig wie das des Empfanges, und siehe da, durch Nacht und Dunkel hin und gleich danach an der von einzelnen Lichtern erhellten Lisiere vorüber, ging unsere Fahrt, immer rascher und rascher, denn der eben laut werdende Pfiff der Lokomotive mahnte bereits zur Eile. Abgepaßt! Im selben Momente, wo der Zug hielt, hielten auch wir, und abermals eine kleine Weile, so war die letzte Station und die letzte Gitterbrücke passiert und in das Bahnhofsportal eingleitend, wölbte sich wieder der mächtige Bogen über uns. Aussteigen! Ein Strom, ein Gewirr; Pelze, Koffer und Geschrei: der ganze Lärm einer großen Stadt.

Und Dreilinden lag hinter mir wie ein Traum.




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Seite zuletzt aktualisiert: 12.11.2007 
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