Heidnisches


Jene Schilderung des altertümlichen, auf diese Welt und ihre Güter angewiesenen Sinnes führt uns unmittelbar zur Betrachtung, daß dergleichen Vorzüge nur mit einem heidnischen Sinne vereinbar seien. Jenes Vertrauen auf sich selbst, jenes Wirken in der Gegenwart, die reine Verehrung der Götter als Ahnherren, die Bewunderung derselben gleichsam nur als Kunstwerke, die Ergebenheit in ein übermächtiges Schicksal, die in dem hohen Werte des Nachruhms selbst wieder auf diese Welt angewiesene Zukunft gehören so notwendig zusammen, machen solch ein unzertrennliches Ganze, bilden sich zu einem von der Natur selbst beabsichtigten Zustand des menschlichen Wesens, daß wir in dem höchsten Augenblicke des Genusses, wie in dem tiefsten der Aufopferung, ja des Untergangs, eine unverwüstliche Gesundheit gewahr werden.

Dieser heidnische Sinn leuchtet aus Winckelmanns Handlungen und Schriften hervor und spricht sich besonders in seinen frühern Briefen aus, wo er sich noch im Konflikt mit neuern Religionsgesinnungen abarbeitet. Diese seine Denkweise, diese Entfernung von aller christlichen Sinnesart, ja seinen Widerwillen dagegen muß man im Auge haben, wenn man seine sogenannte Religionsveränderung beurteilen will. Diejenigen Parteien, in welche sich die christliche Religion teilt, waren ihm völlig gleichgültig, indem er, seiner Natur nach, niemals zu einer der Kirchen gehörte, welche sich ihr subordinieren.

 


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