Schafzucht


Thaer hatte in Celle zunächst eine Experimentalwirtschaft, dann – nachdem seine Versuche fast durchgängig von Erfolg gekrönt worden waren – eine Modellwirtschaft geführt; in Möglin wurde die Modellwirtschaft zu einer Musterwirtschaft. Hierin liegt der alleinige Unterschied zwischen der Celler und der Mögliner Wirtschaftsführung ausgesprochen. Die Modellwirtschaft in Celle legte denen, die sie kennengelernt hatten, die Mühewaltung, oft auch geradezu die Schwierigkeit des Transponierens aus kleinen in große Verhältnisse auf, die Mögliner Wirtschaft hingegen war für die Mehrzahl der Fälle ohne weiteres ein Muster. Natürlich innerhalb der Grenzen, wie sie sich auf einem Gebiet, das einem lebendigen Organismus gleicht, von selbst verstehn.

Möglin war Muster, Celle war Modell, aber den räumlichen Unterschied beiseite gelassen, liefen im übrigen, um es zu wiederholen, beide Wirtschaften in ihren Prinzipien und Qualitäten auf dasselbe hinaus. Deshalb werden wir hier, in Erwägung, daß wir die Celler Wirtschaft ausführlich besprochen haben, bei der Mögliner nur kurz verweilen und nur dasjenige betonen, wodurch sich dieselbe sachlich und qualitativ von der Celler Wirtschaft unterschied.

Es war dies vorzüglich die Einführung einer veredelten Schafzucht, die Herstellung einer ausgezeichneten Wolle, der besten, die bis dahin in Deutschland produziert worden war. Die Kunst, die Thaer zwanzig oder dreißig Jahre früher, halb spielend geübt hatte, als es sich in seinem Celler Garten um Gewinnung immer neuer und immer schönerer Nelken- und Aurikelarten gehandelt hatte, – diese Kunst der Kreuzung kam ihm jetzt trefflich zustatten. Was ihm innerhalb der vegetabilischen Welt überraschend geglückt war, glückte ihm innerhalb der animalischen doppelt und dreifach. Er erschien wie auserwählt für diesen wichtigen Zweig landwirtschaftlicher Tätigkeit: physiologisches Wissen, angeborene feine Instinkte und eine glückliche Hand, – alles vereinigte sich bei ihm, um zu den überraschendsten Resultaten zu führen.

Nicht gleich in den ersten Jahren seines Mögliner Aufenthalts, vielmehr erst 1811–1813, nachdem Koppe als Gehilfe und Wirtschaftsführer bei ihm eingetreten war, hatte Thaer eine Schäferei – wozu er Merinoschafe aus Sachsen erhielt – einzurichten begonnen. Es ging auch nicht von Anfang an alles vortrefflich, aber schon 1815 und 1816 wurde seine Wolle auf dem Berliner Wollmarkt für die beste erklärt. 1817 schrieb er an seine Frau: »Für mich ist der diesmalige Wollmarkt zwar nicht der pekuniär beste, aber der gloriöseste, den ich erlebt habe. Meine Wolle ist 20 Prozent geringer verkauft, als im vorigen Jahre, aber um 20 Prozent höher, als irgendeine Wolle hier und in ganz Deutschland verkauft ist und werden wird. Unter allen Wollhändlern und allen Wollproduzenten ist es ganz entschieden angenommen, daß meiner Wolle keine in ganz Europa nahe komme, viel weniger ihr an die Seite zu setzen sei. Dies ist so das Tagesgespräch geworden und so über das Gemeine hinweggehoben, daß ich auch keine Spur des Neides bemerke. Jeder erkennt es an, daß ich das Außerordentliche errungen, worauf kein anderer Anspruch machen kann. ›Solche Wolle, sagt man, kann man erzeugen, denn Möglin hat sie erzeugt.‹ Wenn ich auf den Markt komme, so steht alles mit dem Hut in der Hand. Ich heiße bereits der Wollmarktskönig!«

Thaer erzielte dies alles durch sein Kreuzungsprinzip und die geschickte, scharfsinnige Handhabung desselben. Jedem wäre es freilich nicht geglückt. Einem sehr erfahrenen Wollhändler sagte er: »Zeigen Sie mir nur irgendein Vließ, wie Sie es zu haben wünschen, und ich werde Ihnen in der dritten oder vierten Generation einen Stamm herstellen, der nur solche Vließe liefert.« Man hielt dies für Übertreibung, überzeugte sich aber bald, daß er nicht zuviel gesagt hatte. Es glückte ihm mit der Wollproduktion wie dem berühmten englischen Viehzüchter Backwell mit der Fleischproduktion, der Schafe herstellte, die vor Beleibtheit auf ihren kurzen Beinen kaum gehen konnten, so daß er sich veranlaßt sah, allmählich wieder Schafe mit längeren Beinen zu machen. Man sagte von ihm: »es sei, als ob er sich ein Schaf nach seinem Ideale schnitzen und demselben dann das Leben geben könne.« Dies paßte auf Thaer so gut wie auf Backwell.

Es konnte nicht ausbleiben, daß das Thaersche Züchtungsverfahren, das geniale Operieren mit der Natur, auch Gegner fand. Diese warfen ihm vor, daß er, bei seiner Art und Weise der Züchtung, die Natur schließlich dahin zwinge, wohin sie nicht wolle, und daß er sie dadurch schwächen und ermüden werde. Denn die Kunst, wie groß auch, werde nie die natürlichen Anlagen ersetzen können. Er rechtfertigte sich mit Shakespeares tiefgeschöpfter Lehre (Wintermärchen IV, 4.):

 

»Doch wird Natur durch keine Art gebessert,

Schafft nicht Natur die Art. So, ob der Kunst,

Die wie du sagst, Natur bestreitet, gibt es

Noch eine Kunst, von der Natur erschaffen.

Du siehst, mein holdes Kind, wie wir vermählen

Den edlern Sproß dem allerwildsten Stamm;

Befruchten so die Rinde schlechtrer Art

Durch Knospen edler Frucht. Dies ist 'ne Kunst,

Die die Natur verbessert – mindstens ändert:

Doch diese Kunst ist selbst Natur.«

 

Thaer erfuhr Angriffe, aber sie waren vereinzelt, und speziell auf dem Gebiete der Schafzucht ward er mehr und mehr eine europäische Autorität. Bei Errichtung (1816) der beiden auf Rechnung des Staates gegründeten Stammschäfereien zu Frankenfelde in der Mark und zu Panten in Schlesien wurde Thaer zum Generalintendanten derselben ernannt und 1823, als auf seine Veranlassung in Leipzig der erste »Wollzüchterkonvent« zusammentrat, huldigte man ihm nicht nur als dem Präsidenten, sondern speziell auch als dem Meister der Versammlung.

Aber der Weg zu diesen Erfolgen war ein weiter und mühevoller. Unter den denkbar ungünstigsten Verhältnissen waren ihm die ersten Jahre seiner Mögliner Wirtschaftsführung vergangen. Zu den Sorgen und Fehlschlägen, die, namentlich nach dem unglücklichen Kriege von 1806, alle damaligen Grundbesitzer trafen, gesellten sich für ihn noch ganz besondere Schwierigkeiten: sein relatives Fremdsein in der neuen Heimat und – das »Institut«.

Die Herstellung einer landwirtschaftlichen Lehranstalt war, wie bereits erwähnt, bei Thaers Übersiedelung nach Möglin allerdings in Erwägung gezogen, aber von seiten der preußischen Regierung mehr als ein Anspruch, den Thaer erheben könne, wie als eine Pflicht, die er zu erfüllen habe, angesehen worden. Thaer ging indes sofort an die Errichtung eines »Instituts«, ähnlich dem, das er in Celle geleitet hatte. Und in der Tat, alles ließ sich vielversprechend an. Schon im Jahre 1805 traf er Vorbereitungen zum Bau eines Instituthauses; da es jedoch an den erforderlichen Mitteln gebrach, so machte er den Plan, den Bau auf Aktien zu unternehmen. Von allen Seiten kamen Zuschriften; schon im Juli 1806 konnte er bekanntmachen, daß die Unterzeichnung nunmehr geschlossen sei. Ziemlich um dieselbe Zeit berichtete Thaer dem König, »daß die Eröffnung des Mögliner Instituts in der Mitte des Oktober erfolgen werde.« Und wirklich, das Wohnhaus mit vierundzwanzig Zimmern, außer dem Souterrain, stand fertig da; einundzwanzig junge Leute hatten sich zum Eintritt gemeldet; alles versprach einen glänzenden Anfang.

Aber die Mitte des Oktober 1806 brachte andere Ereignisse; der siegreiche Feind überschwemmte die Marken und statt der angemeldeten einundzwanzig jungen Leute kamen drei. Im Frühjahr 1807 waren es acht. Die Zahl wuchs später, da aber, bei der völligen Zerrüttetheit aller Geldverhältnisse, viele Söhne sonst wohlhabender Eltern mit ihren Pensionen im Rückstande blieben, andere, die Aktien genommen hatten, ihre Aktienbeiträge nicht zahlen konnten, so entstanden, ohne daß von irgendwelcher Seite her eine Verschuldung vorgelegen hätte, die schwersten Verlegenheiten für Thaer, der, dem guten Sterne Preußens vertrauend, in freilich schon bedrohter Zeit dies Institut ins Leben gerufen hatte. Sechs Jahre später, während des Befreiungskrieges, wiederholten sich diese Verlegenheiten. Alles war in den Krieg (auch Thaers drei Söhne), und so kam es, daß die Lehranstalt, die doch einmal da war, ohne Verlust weder aufgegeben noch fortgeführt werden konnte. In Not und Sorge schrieb er seiner damals abwesenden Frau: »Wollte Gott, daß ich das Institut nicht angelegt hätte, denn es ist die Quelle aller Verlegenheiten und Sorgen geworden. Aber es ist für unser Land zu wichtig, und nun es einmal da ist, muß es bleiben.« Ein Glück, daß es blieb. Mit dem Frieden kamen gesegnetere Zeiten, und wie Thaer, während des letzten Jahrzehnts, das ihm noch zu leben und zu wirken vergönnt war, seinen Ruhm wachsen und die verschiedenen Zweige seiner Wirtschaft prosperieren sah, so wuchs auch das »Institut« (seit 1819 »Königliche akademische Lehranstalt des Landbaus«) von Jahr zu Jahr an Ausdehnung und Ansehn. Anfangs hatte Thaer es für das Zweckmäßigste gehalten, das Instituthaus auf den Fuß eines Gast- und Logierhauses zu setzen, damit jeder Akademiker nach Vermögen, Geschmack und Gewohnheit darin leben und zehren könne. Allein dies erwies sich bald als nachteilig für alle Teile. Nur ungern entschloß er sich endlich dazu, einen gemeinschaftlichen Mittags- und Abendtisch zu halten. Die Mitglieder des Instituts waren, nach Thaers ausdrücklicher Bestimmung, nicht Studenten im gewöhnlichen Universitätssinne. Am wenigsten waren sie Schüler. Thaer äußerte sich dahin: »Schulmeister können wir nicht sein, sondern müssen unsere Zuhörer wie freie vernünftige Männer betrachten, die nur allein ein lebhafter Trieb zu den hier zu lehrenden Wissenschaften zu uns geführt. Kein Zwang. Aber freilich würde es andererseits schmerzlich für uns sein, wenn wir uns zu der sonst bewährten Maxime gezwungen sähen: ›sumimus pecuniam et mittimus asinum in patriam‹.« – Das Institut wurde von einer ähnlichen Bedeutung für unser Land, wie die »Forstakademie« in dem benachbarten Eberswalde. Die große Wirksamkeit jenes hat darin bestanden, daß mit Hilfe der darin gebildeten und später zur Selbständigkeit gelangten Männer eine höhere, umfassendere Ansicht des landwirtschaftlichen Betriebes weiter und allgemeiner verbreitet worden ist, als jemals durch Schriften hätte geschehen können. Namentlich hat es das siegreiche Vordringen der Thaerschen Prinzipien beschleunigt und, um eines speziell hervorzuheben, ein Zurückversinken der landwirtschaftlichen Sprache und Ausdrucksweise in das alte wirre Chaos unmöglich gemacht.18)

 

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18) Das »Institut«, nachdem es noch im Jahre 1856 das fünfzigjährige Fest seines Bestehens gefeiert harre, ist bald darauf eingegangen. Es war das, bei total veränderten Zeitverhältnissen, das Verständigste, was geschehen konnte. Der damalige Besitzer von Möglin, Landesökonomierat A. Thaer, hatte die Akademie wie eine Ehrenerbschaft angetreten und hielt es, durch dreißig Jahre hin, für seine Pflicht, die Schöpfung seines Vaters, selbst mit Opfern, aufrechtzuerhalten. Es kam aber endlich die Zeit, wo das Gefühl, durch ähnliche Institute, die der Staat mit reichen Mitteln ins Leben gerufen hatte, überflügelt zu sein, sich nicht länger zurückweisen ließ und wo die Wahrnehmung eines wachsenden Mißverhältnisses zwischen Aufgabe und Opfer endlich den Rat eingab, diese Opfer einzustellen. Und so wird denn der Mögliner Akademie nicht nur das Verdienst bleiben, als erstes Institut derart und als Muster aller folgenden in Deutschland dagestanden zu haben, es wird sich zu diesem Verdienst auch noch die Ehre gesellen: zu rechter Zeit vom Schauplatz abgetreten zu sein. 773 Landwirte haben im Laufe eines halben Jahrhunderts ihre wissenschaftliche Ausbildung in Möglin empfangen, und was die Landwirtschaft in unseren alten Provinzen jetzt ist, das ist sie zum großen Teil durch Thaer und seine Schule. Natürlich sind »die Jungen immer klüger als die Alten« und der »überwundene Standpunkt« spielt auch hier seine Rolle. Aber selbst unter den Fortgeschrittensten wird niemand sein, der undankbar genug wäre, die schöpferische Bedeutung Thaers und mittelbar auch seiner Akademie in Zweifel zu ziehen.




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 © textlog.de 2004 • 18.04.2024 14:13:21 •
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