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VI

Nachts

In der Schöpfung ist die Antithese nicht beschlossen. Denn in ihr ist alles widerspruchslos und unvergleichbar. Erst die Entfernung der Welt vom Schöpfer schafft Raum für die Sucht, die jedem Gegenteil das verlorene Ebenbild findet.

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Witz und Glaube wurzeln beide im größten Kontrast. Denn einen größeren als den zwischen Gott und Gottes Ebenbild gibt es nicht.

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Ich muß wieder unter Menschen gehen. Denn zwischen Bienen und Löwenzahn, in diesem Sommer, ist mein Menschenhaß arg ausgeartet.

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Flucht in die Landschaft ist verdächtig. Die Gletscher sind zu groß, um unter ihnen zu denken, wie klein die Menschen sind. Aber die Menschen sind klein genug, um unter ihnen zu denken, wie groß die Gletscher sind. Man muß die Menschen zu diesem und nicht die Gletscher zu jenem benützen Der Einsame aber, der Gletscher braucht, um an Gletscher zu denken, hat vor den Gemeinsamen, die unter Menschen an Menschen denken, nur eine Größe voraus, die nicht von ihm ist. Gletscher sind schon da. Man muß sie dort erschaffen, wo sie nicht sind, weil Menschen sind.

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Quallen, Würmer und Medusen lagen oft auf dem Strand. Wenn ich sie beschien, spielten sie alle Farben. Wenn ich ging, waren sie schmutzig. Sie wollten ihre Persönlichkeit behaupten. Sie beneideten dann Weichtiere, die eine Schale hatten und keiner Farbe fähig waren, aber eines Zwecks. Es waren dennoch Weichtiere und Schaltiere. Genießbar war keine all der Arten. Keine Auster habe ich gefunden.

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Ich geriet einst auf einer Partie in Norwegen, die als lohnend empfohlen wurde, in sumpfige Gegend, rettete mich auf einen Baumstrunk und verharrte so, bis ich wieder Kraft hatte, den sicheren Weg zu suchen ... Ich weiß nicht, ob ich ihn gefunden habe ... Dennoch, lange tauchte die grausige Erinnerung nicht auf. Bis man mir eines Tages zuredete, in eine Gesellschaft zu gehen, in der ich gut aufgehoben und von lauter »Verehrern« umgeben wäre ... Ringsum nichts als Verehrer. Die Gegend gibt nach, wenn ich auftrete. Justament gibt sie nach. Ich stehe auf einem Baumstrunk. Da sagt man mir, diese Exklusivität sei schlecht angebracht, denn ich brauchte doch nur einen Schritt zu machen und wäre mitten drin unter den Verehrern ... Seither spaziere ich im Karst, wo einem das nicht passieren kann.

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Als Kind träumte mir oft von Menschen, die nur aus Haut waren, und die war löcherig. Ich habe später nichts mehr hineingetan.

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Bei den meisten Menschen dringe ich bis zur Seele nicht vor, sondern zweifle schon an den Eingeweiden. Denn ich kann nicht glauben, daß dieser wundervolle Mechanismus erschaffen wurde, um einen Kommerzialrat zusammenzustellen, und erst durch Obduktion lasse ich mich davon überzeugen, daß ein Wucherer eine Milz hat.

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In der Berliner Passage wächst kein Gras. Es sieht so aus, wie nach dem Weltuntergang, wiewohl noch Leute Bewegungen machen. Das organische Leben ist verdorrt und in diesem Zustand ausgestellt. Kastans Panoptikum. Oh, ein Sommersonntag dort, um sechs Uhr. Ein Orchestrion spielt zur Steinoperation Napoleons III. Der Erwachsene kann den Schanker eines Negers sehen. Die unwiderruflich letzten Azteken. Öldrucke. Strichjungen mit dicken Händen. Draußen ist das Leben: ein Bierkabaret. Das Orchestrion spielt: Emil du bist eine Pflanze. Hier wird der Gott mit der Maschine gemacht.

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In Wien, grünenden Lebens voll, welken die Automaten.

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(Georg Trakl zum Dank für den Psalm.) Siebenmonatskinder sind die einzigen, deren Blick die Eltern verantwortlich macht, so daß diese wie ertappte Diebe dasitzen neben den Bestohlenen. Sie haben den Blick, der zurückfordert, was ihnen genommen wurde, und wenn ihr Denken aussetzt, so ist es, als suchte es den Rest, und sie starren zurück in die Versäumnis. Andere gibt es, die denkend solchen Blick annehmen, aber den Blick, der dem Chaos erstatten möchte, was sie zu viel bekommen haben. Es sind die Vollkommenen, die fertig wurden, als es zu spät war. Sie sind mit dem Schrei der Scham auf eine Welt gekommen, die ihnen nur das eine, erste, letzte Gefühl beläßt: Zurück in deinen Leib, o Mutter, wo es gut war!

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Alles was recht ist, sagen sie, aber es fehlt mir an Liebe, sagen sie, an Liebe zur Menschheit. Das müssen wohl arge Pessimisten sein, die die vorhandene Kollektion schon für die denkbar beste halten! Oder arge Idioten, die Jenen einen Schmetterlingsfeind nennen, dem beim Gedanken an einen toten Admiral die Kohlweißlinge zu viel werden.

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Das Martyrium war ehedem der Lohn der Erkenntnis. Jetzt muß es verkehrt sein: der Gedanke belohnt die Qual und straft die Quäler. Unter den Lanzenstichen, die sie austeilen, entsteht, was sie peinigt!

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Oft ritze ich mit der Feder meine Hand und weiß erst dann, daß ich erlebt habe, was geschrieben steht.

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Wenn ich einschlafen will, muß ich immer erst eine ganze Menagerie von Stimmen zum Kuschen bringen. Man glaubt gar nicht, was für einen Lärm die in meinem Zimmer machen.

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Selbstrettung der Selbstmörder: Die Schlechtigkeit verwechselt meine Beweggründe, sie zu hassen, mit ihren Beweggründen, schlecht zu sein. Indem sie an mich nicht glaubt, erspart sie, an sich zu verzweifeln.

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Man hat mich oft gebeten, gerecht zu sein und eine Sache von allen Seiten zu betrachten. Ich habe es getan, in der Hoffnung, daß eine Sache vielleicht dadurch besser werden könnte, daß ich sie von allen Seiten betrachte. Aber ich kam zu dem gleichen Resultat. So blieb ich dabei, eine Sache nur von einer Seite zu betrachten, wodurch ich mir viel Arbeit und Enttäuschung erspare. Denn es ist tröstlich, eine Sache für schlecht zu halten und sich dabei auf ein Vorurteil ausreden zu können.

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Wenn sich die Schlange vor mir auch windet — ich zweifle doch an ihrer Zuverlässigkeit.

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Wenn man so zwischen Ab- und Zuneigung hindurchleben muß, nur darum, weil man sich das Leben nicht leicht gemacht hat, so möchte man wohl zu der Bitte ein Recht haben, daß sich das Publikum zerstreuen und jede Unruhestörung vermeiden möge.

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Wort und Wesen — das ist die einzige Verbindung, die ich je im Leben angestrebt habe.

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Auf dem Weg, auf dem man zu sich kommt, steht auch noch ein lästiges Spalier von Neugierigen, die wissen möchten, wie es dort aussieht.

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Wir alle haben keine Zeit. Ich hatte so viel zu tun, was den Leuten oberflächlich gefiel, daß ich am Ende vielen eine gründliche Enttäuschung schuldig geblieben sein werde. Wenn nicht auch sie so viel zu tun hätten, was mir gründlich mißfällt, wären wir längst miteinander im Reinen.

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Was sich alles entpuppen kann: ein Schurke und ein Schmetterling!

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Ich höre Geräusche, die andere nicht hören und die mir die Musik der Sphären stören, die andere auch nicht hören.

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Woodie, ein kleiner Hund mit langen Haaren, den ich persönlich gekannt habe, er lachte, wenn die Menschen zu ihm sprachen, und weinte, weil er mit ihnen nicht sprechen konnte, und sein Blick war für sich und sie der Dank der Kreatur — ist von einem Automobil getötet worden. Wer hatte es so eilig. Soll das bißchen Raum zwischen Menschenleibern, das solch ein Passant in Anspruch nahm — er konnte sich eng machen wie eine Schlange — nun besser verwendet werden? Die Würdigen büßen dafür, daß die andern unwürdig fortleben. Warum doch, da auch dieses Beispiel die Schlechten nicht bessert? Jener ging seines Weges und starb daran. Als die Frau sich umwandte, lag er in der Sonne. Wo Leben keine Worte hatte, bleibt viel Stille zurück.

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Ich kannte einen Hund, der war so groß wie ein Mann, so arglos wie ein Kind und so weise wie ein Greis. Er schien so viel Zeit zu haben, wie in ein Menschenleben nicht geht. Wenn er sich sonnte und einen dabei ansah, war es, als wollte er sagen: Was eilt ihr so? Und er hätte es gewiß gesagt, wenn man nur gewartet hätte.

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Wenn Tiere gähnen, haben sie ein menschliches Gesicht.

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So würdig wie das Pferd die Schmach, erträgt sein Herr die Würde nicht.

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Die Undankbarkeit steht oft in keinem Verhältnis zur empfangenen Wohltat.

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Pedanterie ist ein Zustand, an dem sich entweder der Mangel entschädigt oder die Fülle beruhigt. Wie Perversität ein Minus oder ein Plus ist. Hinter dem Pedanten steht zuweilen ein Phantast, der Stützpunkte sucht, um es so recht sein zu können. Pedant ist nicht nur, wer im Außen lebt, sondern auch einer, der sich außen schützt, um sich besser zu verlieren.

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Es gibt parasitäre Eindrücke, die im Urteil nisten bleiben und Erinnerungen aufschließen, aber so wenig zur Kunst gehören wie die Laus zur Liebe. Ich war auch einmal jung, rief einer, als von Läusen die Rede war.

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Der Einsame: Nichts ist ein besserer Ersatz für die Liebe als die Vorstellung.
Das Echo: Nichts ist ein besserer Ersatz für die Liebe als die Vorstellung.

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Musik sei mir nur eine leise Anspielung auf Gedanken, die ich schon habe und wieder haben möchte.

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An vieles, was ich erst erlebe, kann ich mich schon erinnern.

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Oft bin ich nah der Sprachwand und empfange nur noch ihr Echo. Oft stoße ich mit dem Kopf an die Sprachwand.

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Die Entschuldigung: »Das ist ihm so in die Feder geflossen« — mein Ehrentitel. Die Anerkennung: »Das fließt ihm nur so aus der Feder« — mein Vorwurf. Aus der Feder fließt Tinte: das ist tüchtig und ein Verdienst. In die Feder fließt ein Gedanke: dafür kann man nicht, es ist eine Schuld von tieferher.

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Eines Dichters Sprache, eines Weibes Liebe — es ist immer das, was zum erstenmal geschieht.

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Ein Sprichwort entsteht nur auf einem Stand der Sprache, wo sie noch schweigen kann.

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Umgangssprache entsteht, wenn sie mit der Sprache nur so umgehn; wenn sie sie wie das Gesetz umgehen; wie den Feind umgehen; wenn sie umgehend antworten, ohne gefragt zu sein. Ich möchte mit ihr nicht Umgang haben; ich möchte von ihr Umgang nehmen; die mir tags wie ein Rad im Kopf umgeht; und nachts als Gespenst umgeht.

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Man glaubt gar nicht, was für eine Holzhackerarbeit diese geistige Tätigkeit ist. Das Wortspalten, eh’ man euch Feuer macht! — Sich selbst? Wie hirnverbrannt! Man hat Feuer, es brennt schon, und dann erst, dadurch erst, immer weiter das Wortspalten!

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Das Unverständliche in der Wortkunst — in den anderen Künsten verstehe ich auch das Verständliche nicht — darf nicht den äußeren Sinn berühren. Der muß klarer sein, als was Hinz und Kunz einander zu sagen haben. Das Geheimnisvolle sei hinter der Klarheit. Kunst ist etwas, was so klar ist, daß es niemand versteht. Daß über allen Gipfeln Ruh’ ist, begreift jeder Deutsche und hat gleichwohl noch keiner erfaßt.

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Sie sind nicht imstande, einem Wort Leben zu geben. Wenn ich »Hugo Heller« sage, ist mehr Mysterium darin als in allen transzendenten Redensarten, die die modernen Dichter zu Gedichten zusammenlesen.

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Worüber ich nicht wegkomme: Daß eine ganze Zeile von einem halben Menschen geschrieben sein könne. Daß auf dem Flugsand eines Charakters ein Werk erbaut wäre.

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Kein Erlebnis könnte spannender sein als die Enthüllung eines Dichters. Wie sich allmählich die Distanz zwischen seinen echtesten Zeilen und dem Menschen auf zutun beginnt.

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An dem Unechten ist das Echte einer Steigerung fähig.

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Ein grauenhaftes Verhängnis hat mich bestimmt, den Schein zu vergrößern, ehe ich ihn unter meinen Blicken vergehen lasse.

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Die Dinge, die jeden angehn, sind gar uninteressant. Es ist am besten, sich auf die Wirkung zu verlassen, die sie auf die andern gemacht haben.

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Alles anklagen ist Einheit. Alles vertragen ist Kleinheit. Zu allem ja sagen, ist Gemeinheit.

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»Das Leben geht weiter«. Als es erlaubt ist.

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Die Moral, die eine Übertragung von Geschlechtskrankheiten zum Verbrechen machen sollte, verbietet zu sagen, daß man eine hat. Darum ist der Menschheit nicht Wissen und Gewissen ins Blut übergegangen, sondern eben das, was gewußt werden sollte.

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Den Mangel, daß das Genie einer Familie entstammt, kann es nur dadurch wettmachen, daß es keine hinterläßt.

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Die Kinder der Leute laufen um wie die Kalauer, die nicht unterdrückt wurden. Es sind die unfruchtbaren Witze der Unfruchtbaren, lästig den Erzeugern.

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Kindspech ist eben das, womit man auf die Welt kommt.

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Ein dick aufgetragener Vaterstolz hat mir immer den Wunsch eingegeben, daß der Kerl wenigstens Schmerzen der Zeugung verspürt hätte.

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Eros hat Glück in der Liebe. Verschwendung schafft ihm Zuwachs; Kränkung Ehre. Füge ihm einen Tort zu, es wird ihm eine Lust sein; lästere ihn, es geht zu seinem Frommen aus. Alles darfst du ihm antun, nur nicht ihm deine Meinung ins Gesicht sagen. Er ist nicht wehleidig, aber auch nicht wißbegierig. Er ist nur neugierig, und will es selbst herauskriegen. Wenngleich du alles besser weißt als er, dieses wisse: daß er an allem in der Welt beteiligt ist, nur nicht an der Langweile. Das Geheimnis, das du vor ihm hast, wird er mit dir teilen; aber deine Wissenschaft verschmäht er.

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Jeder meiner Gedanken, die es auf die erotische Freiheit abgesehen haben, hat sich noch stets vor der Welt geschämt: vor jenen und jener geschämt, die ihm Geschmack abgewinnen wollten. Die einem darin unrecht geben, haben recht. Die einem darin recht geben, haben nicht Zeitgenossen zu sein. Solche mögen dem Gedanken nachdenken, aber es ist vom Übel, wenn sie ihm nachleben, und ein Greuel, wenn sie ihn nachsagen. Das geistige Erlebnis bleibt, auch Wort geworden, eine Privatsache. Wie erst, wenn es der Liebe entstammt!

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Wider besseres Wissen die Wahrheit zu sagen, sollte für ehrlos gelten.

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Mein Unbewußtes kennt sich im Bewußtsein eines Psychologen weit besser aus als dessen Bewußtsein in meinem Unbewußten.

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Es mag Kriege gegeben haben, in denen Körperliches für Geistiges eingesetzt wurde. Aber nie zuvor hat es einen gegeben, in dem nur die Abwesenheit des Geistigen verhindert hat, dieses für Körperliches einzusetzen.

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Unter den vielen deutschen Dingen, die jetzt auf —ol ausgehen, dürfte Odol noch immer wünschenswerter als Idol sein.

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Um in einem kriegführenden Land eine Grenzübertrittsbewilligung zu erhalten, braucht man einen »triftigen Grund«. Ich wäre in Verlegenheit, keinen zu finden.

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»Wie können Sie so mit den Engländern sympathisieren? Sie können ja nicht einmal englisch.« »Nein, aber deutsch!«

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Da wird aus Amsterdam gemeldet, die rücksichtslosen Engländer hätten ein neutrales Schiff durchsucht und den Koffer einer Holländerin verdächtig gefunden, in welchem sich auch tatsächlich ihr Gatte, ein armer Deutscher, der erblindet war, befunden habe; ohne Gnade sei er verhaftet worden. Ob das Gerücht nun auf dem ehrlichen Weg eines Mißverständnisses entstanden ist oder ob der Bericht ein blinder Passagier war, den man in die Schiffsladung des solchen Zufällen ausgesetzten Zentralorgans deutsch-österreichischer Intelligenz geschmuggelt hatte — der Fall beweist so augenfällig, daß es ein blinder Passagier sehen muß: wie bewegt die Handlung wird, sobald man den Weg aus der Phrase wieder zurück ins. Leben nimmt. In der Geschichte der Kriegslüge eines der anschaulichsten Beispiele. Ein Deutscher hat eine Seereise als blinder Passagier in einem Koffer mitmachen wollen; aber wenn man eine Redensart auspackt, kann es leicht geschehen, daß so einer zum Vorschein kommt.

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Die Redensart wird durch tausend Röhren ins Volksbewußtsein geleitet. Ein verwundeter Soldat, der sicherlich nie ein Buch, wohl auch keine Zeitung gelesen hatte, war doch des Tonfalls habhaft, mit dem ein gutes Gewissen Abschied nimmt. »Jetzt kann ich ruhig sterben,« sagte er, »vierzehn hab i heut umbracht!«

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Dreifachem Reim entziehe sich die Welt: dem Reim auf Feld und Geld und Held.

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Nein, der Seele bleibt keine Narbe zurück. Der Menschheit wird die Kugel bei einem Ohr hinein und beim andern herausgegangen sein.

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Über den erhofften seelischen Gewinn des heimkehrenden Kriegers hat ein deutscher Professor der Psychologie den tiefsten Aufschluß gegeben: »Die psychische Umschaltung tritt schon in der Etappe ein.« Das wird einmal klappen, wie eben ein Wunder der Technik.

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Wie erklärt sich die Gewalttätigkeit der Schwäche? Der Blutdurst der Nüchternheit? Seltsam verknüpft es sich: Hysterie und Tauglichkeit zur neuen Waffe. Was beide tun, wenn sie den Feind vernichten wollen, ist leichter Dienst bei der schweren Artillerie.

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Die Seele ist von der Technik enteignet. Das hat uns schwach und kriegerisch gemacht. Wie führen wir Krieg? Indem wir die alten Gefühle an die Technik wenden. Wie treiben wir Psychologie? Indem wir die neuen Maße an die Seele legen.

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Der neue Krieg mit der so entwickelten Waffe wird nicht durch Siege entschieden, sondern anders. Und führten ihn auch Völkerschaften, die Menschenfleisch essen. Denn auch unter solchen wäre jener Teil der Sieger, der dem andern um ein Mittagmahl voraus ist. Aber diese Frage muß offen bleiben, weil Menschenfresser einen Krieg nicht mit der so entwickelten Waffe führen würden.

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Heldentum ist heute der Zwang, den Tod zu erwarten. Ist Delinquententum nicht der leichtere, da seine Galgenfrist für Tapferkeit die kürzere ist? Ist Mut auch der Wille, der den Zwang verhängt? Dieser läßt nur noch die Freiheit, anonym den Tod über den andern zu verhängen. Ist auch dieses Mut? Werden die Völker nicht künftig, wenn sie einander gegenübertreten wollen, weil Menschennatur und Exportinteressen solches erfordern, vorziehen, es Aug in Aug zu tun und der Maschine nur bis zu dem Punkt ihrer Entwicklung Gefolgschaft zu leisten, wo sie, wenn in Teufels Namen schon gegen eine Quantität, doch noch gegen eine sichtbare Quantität losgeht?

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Wenn Mut überhaupt im Bereich physischer Auseinandersetzungen denkbar ist, so könnte er wohl eher dem Unbewaffneten zuzuschreiben sein, der dem Bewaffneten gegenübersteht, als umgekehrt. Die so entwickelte Waffe bedingt es nun, daß der Mensch im neuen Kriege zugleich bewaffnet und unbewaffnet ist, indem er doch eine Waffe gebraucht, gegen die er persönlich wehrlos ist, zugleich ein Feigling und ein Held. Es sollte in diesem Stadium der Entwicklung, wenn nichts anderes, das ornamentale Wesen des Säbels auffallen, einer Waffe, die etwa noch im Frieden Verwendung finden könnte. So mag dereinst ein Flammenwerfer zur Montur gehören, wenn anders der Fortschritt der Menschheit weiter auf das Ingenium des Ingenieurs angewiesen bleibt. Aber es ist wohl zu hoffen, daß die Menschheit, wenn sie den Ehrgeiz hat, sich die Rauflust zu erhalten, sich eines Tages entwaffnen und versuchen wird, wieder ohne die Ingenieure Krieg zu führen.

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Schwer wird es dem Gedanken, Gasmaske und Panier zu verbinden. Die neue Waffe setzt den höchsten Mut bei dem voraus, den sie bedroht, und die höchste Feigheit bei dem, der sie anwendet. Diese wird nicht durch den Umstand entschuldigt, daß sie auf die gleiche Art bedroht ist, und jener wirbt nicht um Bewunderung, sondern um Mitleid. Die Menschheit wird sich nach diesem Kriege fragen, wie es möglich war, daß er nicht von Sklaven, sondern von Soldaten geführt wurde, und staunen, daß damals nicht jeder, der bei der Waffe blieb, wegen Feigheit vor dem Feind ausgestoßen worden ist. Aber vielleicht wird man wenigstens dann die Ausstoßung der Armee aus dem Armeeverband in Erwägung ziehen.

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Da Ornament und Redeblume am liebsten von einer Zeit getragen werden, deren Wesen dem verlorenen Sinn dieser Formen widerstrebt, und umso lieber, je weiter sie jenem Sinn entwachsen ist, ihr eigener Inhalt aber nie imstande sein wird, neue Ornamente und Redeblumen zu schaffen, so wird ein Staat noch »zum Schwerte greifen«, wenn es ihm schon längst geläufig sein wird, zum Gas zu greifen. Kann man sich denken, daß solcher Entschluß je zur Redensart werden könnte? Es sollte Aufschluß über die Technik geben, daß sie zwar keine neue Phrase bilden kann, aber den Geist der Menschheit in dem Zustand beläßt, die alte nicht entbehren zu können. In diesem Zweierlei eines veränderten Lebens und einer mitgeschleppten Lebensform lebt und wächst das Weltübel Die Zeit ist nicht phrasenbildend, aber phrasenvoll; und eben darum, aus heillosem Konflikt mit sich selbst, muß sie immer wieder zum Schwerte greifen. Die neue Begebenheit wird keine Redensart hervorbringen, wohl aber die alte Redensart die Begebenheit!

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Seitdem der Raufhandel eine Handelsrauferei geworden ist, sollte Hektor wieder bei der Andromache zu finden sein, seinen Kleinen lehren Speere werfen und vor allem die Götter ehren.

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»Den Weltmarkt erobern«: weil Händler so sprachen, mußten Krieger so handeln. Seitdem wird erobert, wenngleich nicht der Weltmarkt.

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Ihr höret lange schon den neuen Klang im Namen »Siegfried«. Denkt solchen euch nun als den Sieger der Welt und bereuet die Glorie!

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Der deutsche Geist wird, solange er nicht der Verbindung von Ware und Wunder zu Gunsten eines der beiden Faktoren entsagt, die Welt vor den Kopf stoßen, wobei die Absicht die geringere Schuld wäre.

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Das Verlangen der Feinde nach Auslieferung der deutschen Artillerie ist ein Wahnsinn. Logisch wäre nur das Verlangen nach Auslieferung der deutschen Weltanschauung, und dieses ist unerfüllbar.

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Was ist das nur? Wie schal schmeckt das Leben, seitdem es ein Ding wie »Mannesmannröhren« gibt. Wenn’s irgendwo so organisatorisch klappt, so halten sie wohl Mannesmannszucht.

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Das ist es, was die Welt rebellisch macht: Überall ist Firma, aber dahinter vielleicht doch, unseren Blicken unsichtbar, ein Firmament. Überall ist Ware, aber dahinter vielleicht doch noch, unbehelligt, das Wunder. Weil wir’s nicht sehen, sagen wir, es seien Materialisten. Wir aber haben vom idealen Lebenszweck den Namen genommen, um ihn dem Lebensmittel zu geben, dem Schweinespeck. Unser totsicheres Ingenium hat den Idealen den Skalp abgezogen und dem Leben den Balg und verwendet sie als Hülle, Marke und Aufmachung. Wir sind die Idealisten. Und gegen diesen Zustand, das im Munde und im Schilde zu führen, wovon wir bestreiten, daß es der andere im Herzen habe, weil er es nicht im Munde und im Schilde führt, während doch schon dies ein Zeichen für jenes ist und die Lebensgüter eben in der Trennung von Leben und Gütern gedeihen und in der Verbindung verdorren — gegen diesen Zustand lehnt sich ein Instinkt auf, der im politisch offenbarten Bewußtsein der Völker als Neid, Raubgier, Revanchelust, unter allen Umständen aber als Haß in Erscheinung tritt. Es ist der Haß gegen den Fortschritt und gegen die eigene Möglichkeit, ihm zu erliegen. Es ist nicht allein der Stolz, nicht so zu sein wie diese, sondern auch die Furcht, so zu werden wie diese. Es ist das europäische Problem; das aber vermutlich erst von einer nichtbeteiligten Seite gelöst werden wird.

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Nicht genug daran, daß es eine Zeit gibt, gibt es auch eine große Zeit, die neuestens auch eine neue Zeit ist. Eine solche sollte doch eigentlich eine freie Zeit sein. Es dürfte sich aber herausstellen, daß sie wie die kleine Zeit und wie die alte Zeit nur eine neue freie Zeit ist.

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Sollte »Schlachtbank« nicht vielmehr von der Verbindung der Schlacht mit der Bank herkommen?

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Was jetzt die größte Rolle spielt, das spielt jetzt keine Rolle: Blut und Geld.

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Nein, den Generaldirektoren braucht ihr Braven nicht die vorschriftsmäßige Ehrenbezeigung zu leisten. Wenngleich sie euch in den Krieg geführt haben.

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Schulter an Schulter: »Nanu?« »Nu na!«

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»Vater, Brot!« »Kinder, Rußland verhungert!«

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Der Zensor verbot eine Stelle, die den Titel führte: So leben wir alle Tage. Ich fragte, ob ich (ohne der Wahrheit etwas zu vergeben) der Erlaubnis vielleicht näherkäme mit dem Titel: So lesen wir alle Tage. Er fand aber mit Recht, daß es dasselbe sei.

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Zensur und Zeitung — wie sollte ich nicht zugunsten jener entscheiden? Die Zensur kann die Wahrheit auf eine Zeit unterdrücken, indem sie ihr das Wort nimmt. Die Zeitung unterdrückt die Wahrheit auf die Dauer, indem sie ihr Worte gibt Die Zensur schadet weder der Wahrheit noch dem Wort; die Zeitung beiden.

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Klerus und Krieg: man kann auch den Mantel der Nächstenliebe nach dem Winde hängen.

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Man sollte sich eigentlich entschließen, zuzugeben, daß Patriotismus eine Eigenschaft ist, die in allen kriegführenden Staaten vorkommt. Wenn man einmal bis zu dieser Erkenntnis vorgedrungen ist, könnte der Moment eintreten, wo man dem Feinde manches zugutehält, und es wäre vielleicht eine Verständigung auf der Basis möglich, daß, wenn einer um eines Betragens willen, das ihn zum Schuft macht, zugleich ein Ehrenmann ist, alle nicht nur von sich, sondern auch von einander sagen könnten, daß sie Ehrenmänner seien, wenn sie auch noch nicht so weit vorgeschritten sein mögen, zu wissen, daß sie eigentlich doch Schufte sind.

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Wer den Patrioten des andern Landes für einen Lumpen hält, dürfte ein Dummkopf des eigenen sein.

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Es mag wohl in allen Staaten Kriegsgewinner geben, die wirklich nur daran denken, daß der Krieg gewonnen werde, und die, fern jeglichem Wunsch nach einer Bereicherung, größere Menschenopfer nur schweren Herzens und in der Hoffnung hinnehmen, späterhin dadurch doch größeren Geldopfern zu entgehen. Diese aufopfernde Gesinnung, aus der sie sich nicht selbst, sondern einander den größten Vorwurf machen, nennt man in allen Staaten Patriotismus.

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Eine Heimat zu haben, habe ich stets für rühmlich gehalten. Wenn man dazu noch ein Vaterland hat, so muß man das nicht gerade bereuen, aber zum Hochmut ist kein Grund vorhanden, und sich gar so zu benehmen, als ob man allein eines hätte und die andern keins, erscheint mir verfehlt.

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Daß die Lüge mit ihren kurzen Beinen jetzt gezwungen ist rund um die Welt zu laufen, und daß sie’s aushält, ist das Überraschende an dem Zustand.

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Daß jetzt alle gegen alle kämpfen, wäre noch auf einen elementaren Punkt zurückzuführen. Aber daß jetzt alle einander grüßen, scheint mir kein von der Natur angeschaffter sozialer Umsturz zu sein.

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Jeder ist jetzt vom andern durch eine Uniform unterschieden. Wie farblos wird die Welt, wenn sie’s so bunt treibt!

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Seitdem man dem Bürger einen Spieß in die Hand gegeben hat, wissen wir endlich, was ein Held ist.

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Manche Redensart erwacht: Bis aufs Blut sekkieren.

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Am Tor eines deutschen Militärbüros sah ich ein Plakat, aus dem die Worte hervorsprangen: »Macht Soldaten frei!« Es war aber gemeint, daß Zivilisten als Schreiber für die Kanzlei gesucht werden, um den dort beschäftigten Soldaten den Abgang an die Front zu ermöglichen.

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Ich hörte Offiziere über die schlechte Bedienung schimpfen. Man sagte ihnen, die Zivilbevölkerung sei an der Front. Sie waren aber nicht zu beruhigen und nannten es einen Skandal.

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Grüßen sie einander oder greifen sie an ihre Stirn? Andere wieder schütteln die Köpfe.

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Theaterwirkung ist zweierlei: der Zusammenschluß der Spieler und der Zusammenschluß der Zuschauer. Beides vermag die Regie. Krieg ist jene Regie, bei der beiderlei Wirkung durcheinandergeht. Jene dort brüllen, als wären sie begeistert, diese hier sind begeistert, weil sie brüllen dürfen, Publikum ist Komparserie, und in dem Durcheinander kann man nicht unterscheiden, wer mitspielt, weil er mittut, und wer mittut, weil er dabei ist. Es ist, als ob der neuberliner Großregisseur seine Hand im Spiel hätte: die oben sind von unten hinaufgekommen und die unten sind von oben heruntergekommen. Die Tragödie, die sie spielen, besteht darin, daß sie spielen.

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Krieg ist zuerst die Hoffnung, daß es einem besser gehen wird, hierauf die Erwartung, daß es dem andern schlechter gehen wird, dann die Genugtuung, daß es dem andern auch nicht besser geht, und hernach die Überraschung, daß es beiden schlechter geht.

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Viele, die am 1. August 1914 begeistert waren und Butter hatten, haben gehofft, daß am 1. August 1917 noch mehr Butter sein werde. An die Begeisterung können sie sich noch erinnern.

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Organisation und Eigenschaft. Der Moment, wo der Deutsche grausam wird, tritt später ein. Der Moment, wo der Romane menschlich wird, tritt früher ein.

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Das muß man zugeben: wo die Deutschen hinkommen, machen sie ihre Sache ordentlich. Wenn’s auch nicht immer ihre, sondern manchmal eine fremde Sache ist.

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Die Kriegsursache? Daß sie in Berlin auf Marmor gepißt haben.

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Ich kann mir nicht helfen, aber mir scheint halt doch zwischen der artilleristischen Überlegenheit und den hohen Obstpreisen sowie auch dem Zustand im Beiwagen einer Elektrischen mit seinem ganzen durchhaltenden und durchschwankenden Elend ein kausaler Zusammenhang zu bestehen.

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Die artilleristische Überlegenheit ist ein Vorteil, wenn durch sie noch wichtigere Kulturgüter als sie geschützt werden sollen. Da aber die artilleristische Überlegenheit das Vorhandensein wichtigerer Kulturgüter ausschließt, so bleibt, um den Vorteil der artilleristischen Überlegenheit zu erklären, nichts übrig als die Erwägung, daß durch die artilleristische Überlegenheit die artilleristische Überlegenheit geschützt werden soll.

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Um einen Bahnhof sicher zu treffen, sollte man auf einen Tiepolo zielen.

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Was helfen uns die Flammenwerfer, wenn die Zündhölzchen ausgehen!

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Die Völker Europas dürften nachher gezwungen sein, ihre heiligsten Güter aus Asien zu beziehen.

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Geschäft ist Geschäft: weil jene es sagten, sagten diese, es seien Händler. Jene aber meinten, daß Geschäft Geschäft sei und nicht auch Leben und Religion.

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Kriege und Geschäftsbücher werden mit Gott geführt.

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Alle Vorräte, an Getreide, Mehl, Zucker, Kaffee und so weiter, sind nach einander gestreckt worden. Mit den Waffen wär’s noch zu probieren.

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Soldaten, die nicht wissen, wofür sie kämpfen, wissen doch einmal, wofür sie nicht kämpfen.

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Persönlich geht mir nur die Entwürdigung der Menschheit nahe und ihre Bereitschaft sie zu ertragen. Persönlich würde ich mich nur gegen eine geistige Musterung sträuben. Und daß ich tauglich erklärt würde.

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Die Welt wird sich einmal wundern, daß sie kein Geld mehr hat. So geht’s jedem, der es verpulvert.

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Es geht weiter. Das ist das einzige, was weiter geht.

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Die Menschheit hatte die freiheitlichen Errungenschaften erfunden, und in derselben Zeit die Maschinen. Das war zuviel auf einmal und durch beiden Fortschritt ist ihr die Phantasie abhanden gekommen, so daß sie sich nicht mehr vorstellen konnte, wie die Maschinen schneller ans Ziel kämen als sie selbst. Daß diese mit den Errungenschaften fertig würden und mit ihr selbst.

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Die Technik: Automobil im wahren Sinn des Wortes. Ein Ding, das sich nicht bloß ohne Pferd, sondern auch ohne den Menschen fortbewegt. Nachdem der Chauffeur den Wagen angekurbelt hatte, wurde er von ihm überfahren. Nun geht es so weiter.

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Die Quantität läßt nur noch einen Gedanken zu: abzubröckeln.

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Die Quantität verhindert auch jede Auflehnung gegen sie. Nicht die Drohung, sondern das Dasein des Maschinengewehrs unterdrückt die Besinnung der Menschenwürde. Revolvertaten, als die Antwort aus der so entwickelten Maschine selbst, haben keine Fortsetzung. Die Tat als Beispiel ist in der technischen Entwicklung nur bis zu Teils Geschoß vorgesehen. Bis dahin geht die Seele noch mit.

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Zum Schutz gegen die Maschine hat das Ingenium der Menschheit die Hysterie erfunden. Ohne diese würde sie jene nicht aushalten und da sie auch diese nicht aushält, so kommt sie weiter.

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Am 1. August 1914 hörte ich einen Ruf: »Immer feste rin in die Glorie!« Ich schämte mich, ein Nörgler zu sein, denn ich wußte damals schon ganz genau, daß die Zeit kommen werde für: »Außi möcht’ i!« Nur war ich zugleich ein solcher Optimist, daß ich das Datum für die Äußerung dieses Wunsches, der sich schon am 1. August 1915 fühlbar machen mußte, auf den 1. August 1916 und nicht auf den 1. August 1917 festsetzte. In solchen Fällen läßt es sich aber nicht mit mathematischer, sondern nur mit apokalyptischer Genauigkeit arbeiten. Wo ich inzwischen die große Zeit angepackt habe, war sie interessant, und ihre schauerliche Kontrasthaftigkeit verbrannte den Märtyrern an den Fronten mehr das Herz als alle Flammenwerfer. Aber daß sie es in einem vermocht hat, einen Menschen wie Friedrich Adler, dessen Edelmut ausgereicht hätte, ein schuldiges Zeitalter zu begnadigen, zum Mörder und einen Menschen wie Moriz Benedikt zum Pair zu machen — das hätte selbst ich ihr nicht zugetraut! Nein, Waffentaten von heute, ob aus Pflicht oder aus Idee vollbracht, eben noch geeignet, in dem von jenem Unglücklichen verleugneten Sinne Schrecken zu erregen, sind nicht mehr imstande, in dem von ihm bejahten Sinn die »psychologische Voraussetzung einer künftigen Massenaktion« zu bilden. Denn der Mangel an Phantasie war die psychologische Voraussetzung der gegenwärtigen Massenaktion, deren fortwirkendem Kommando kein Gegenruf der Menschenwürde mehr antwortet, um die in Einzelschicksale aufgelöste Masse wieder zu sammeln. Es gibt keine Armbrust und keinen Tyrannen; es gibt Technik und Bürokraten. Es gibt nur den Knopf, auf den das Plutokratische drückt. Aber da ist kein verantwortliches Gesicht. Die Problemstellung: Demokratie-Autokratie trifft ins Leere, in das Vacuum der Zeit, das hier nur fühlbarer wird als im andern Europa. Autokratie als ein technischer Begriff: das könnte es sein. Ein Ding, das nicht selbst, sondern von selbst gebietet. Und alle treibt das hohle Wort des Herrschers Zufall, der die Quantität regiert.

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Der neue Krieg ist nicht allein der zwischen den Staaten, sondern hauptsächlich der blutige Zusammenstoß der alten und der neuen Macht. Er ist entstanden, weil es jene noch gab, als diese heraufkam und weil sich die beiden in eine Verbindung eingelassen haben, indem sich die alte mit ihrem Wesen zum Werkzeug der neuen machte und mit ihrem Schein sie unterjocht hat. Diese Verbindung, die Zwist bedeutet, drückt sich in der allgemeinen Gleichberechtigung zur Sklaverei aus. Um die alte Welt aus der daraus entstandenen Not zu befreien, ist es nötig, die Partei der neuen zu nehmen. Denn diese, die jene entgeistigt hat, um sich von ihr überwältigen zu lassen, verfügt am Ende allein über die Mittel, um sie wenigstens zur Vernunft zu bringen, wenngleich sie beide nicht Phantasie genug hatten, das Unheil abzuwenden. In diesem Sinne muß der konservative Standpunkt, der doch die äußere Ordnung und die Sicherung des Lebens wie seiner Notwendigkeiten voraussetzt, auf Kriegsdauer eine Verschiebung erfahren. In Staaten, die dümmer sind als ihre Demokratie, muß man für diese sein und ihr gegen den Staat helfen, dessen Dummheit sie mobilisiert hat. Sie haben einander untergekriegt. Die demokratische Tendenz muß im Kampf gegen ihren Folgezustand unterstützt und die aristokratische zu ihren Gunsten verlassen werden.

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Neulich ertappte ich mich dabei, wie ich plötzlich halblaut das Wort »Mörder« sagte. Zum Glück hatte mich niemand gehört. Hätte ich »Wucherer« gesagt, so hätten sich alle umgedreht und keine Erklärung hätte mir geholfen. So aber konnte ich erforderlichenfalls vorbringen: daß ich eben darüber nachgedacht hätte, wie nötig es wäre, die Todesstrafe teils abzuschaffen teils einzuführen. Und daß ich mich gerade zur Staatsprüfung vorbereite.

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Ein Gesicht, dessen Furchen Schützengräben sind.

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Und wenn sie untergeht, und nichts mehr zu haben und niemand mehr da sein wird: Arbeitskräfte werden da sein und Papier zu haben, damit behauptet werden könne, daß sie nicht untergeht, oder, wenn sich’s schon rein nicht mehr in Abrede stellen ließe, zu schildern, wie jene, die die Schuld tragen, dabei martialisch dreingeblickt haben.

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Als zum erstenmal das Wort »Friede« ausgesprochen wurde, entstand auf der Börse eine Panik. Sie schrieen auf im Schmerz: Wir haben verdient! Laßt uns den Krieg! Wir haben den Krieg verdient!

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Wo viel Reisende waren, wird es viel Hinkende geben.

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Wo kommen all die Sünden nur hin, die die Menschheit täglich begeht? Sollten überirdische Wesen nicht finden, daß der Äther schon zum Schneiden dick sei?

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Mein Tag ist ein Spießrutenlaufen inter homines et omina.

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Die deutsche Sprache schützt nicht mehr gegen jene, die sie sprechen. Ich muß mir, will ich mich retten, schnell etwas auf lateinisch einfallen lassen. Das glückt; denn wie schön läßt sich’s in einer Sprache, die man vergessen hat, denken. Es entspringt dort, wo Deutsch mir noch nicht jenes Umgangs Sprache war. Die Ungebildeten werden es nicht verstehen, die Gebildeten werden es für ein Sprichwort halten und mir weiter nicht übelnehmen. Und so empfiehlt man sich auf lateinisch.

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Daß die Welt nicht vor ihrer Sünde erschrickt, sieht ihr ähnlich. Aber vor eben diesem Spiegelbild sollte sie erschrecken!

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Wozu das Aufsehen? Der Planet ist so geringfügig, daß ihn ein Haß umarmen kann!

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Der Zustand, in dem wir leben, ist der wahre Weltuntergang: der stabile.

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»Noch kein Ende abzusehen.« »Doch!«

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Um zu glauben, daß Einer das alles gemacht hat, braucht man doch sicher mehr Gedanken, als um zu wissen, daß er es nicht gemacht hat — ihr Idioten des freien Geistes!

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Geduld, ihr Forscher! Die Aufklärung des Geheimnisses wird durch dieses selbst erfolgen.