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Ich war gewiß nicht einer Gesinnung verdächtig

Ich war gewiß nicht einer Gesinnung verdächtig, die in einer Friedenswelt den Wert autoritativer Turnübungen für die zuchtlose Mittelmäßigkeit grundsätzlich unterschätzt hätte, wiewohl ich den Staat nur dann als Zuchtmeister anerkannt habe, wenn die tiefe Kniebeuge nicht ihm gilt, sondern den Weg für die erwartete Persönlichkeit frei macht. Ich bekenne mich jedoch fanatisch jedes scheinbaren Widerspruchs schuldig, der aus dem sichtbaren Widerspruch gegen die Natur folgt, in den sich die Autorität am 1. August 1914 begeben hat. An diesem Tage habe ich, wenn man’s so verstehen will, weil man die tiefere Konsequenz nicht begreift, umgelernt — doch wahrlich nicht für diesen Tag und niemals seit diesem Tage! In einer Welt, die ich von dunklen Gewalten an den Abgrund geführt sah, konnte, ehe sie hineinstürzte, der Wunsch, daß »der Säbel recht habe vor der Feder, die sich sträubt«, Geltung bewahren. Als aber der Säbel der Feder gehorchte, war er verruchter als sie selbst! Der Kopfsturz des konservativen Gedankens in ein Chaos, in dem er nur als der grausige Büttel einer ihm todfeindlichen Weltansicht walten konnte, ist mein beispielloses Erlebnis an dieser Zeit. Zur Rettung des innern Gutes, das sein Wächter nie gehütet und nun so schmählich verraten hat, bleibt nichts übrig, als die völlige Vernichtung aller autoritären Hülle, die längst nichts anderes war und in der Betriebszeit nichts anderes sein kann als der Unterschlupf aller Sünde wider den heiligen Geist. Die Gleichzeitigkeit von Thronen und Telephonen hat zu Gelbkreuzgranaten geführt, um die Throne zu erhalten. Sie müssen weg, um das technische Leben wieder dem Leben dienstbar zu machen. Die Alternative: Republik oder Monarchie wird nicht mehr vom politischen Geschmack, sondern vom unbeirrbaren Zeitwillen zugunsten jener entschieden und hat längst aufgehört, ein Problem zu sein. In Epochen, deren ungeistiger Drang auf die Unterstellung des Lebenszwecks unter das Lebensmittel gerichtet ist, zehrt die Monarchie innen und außen vom Leben, sie streckt alle Symbole einer übermateriellen Welt dem Geschäft vor und wir verarmen eben darum am Notwendigen, noch ehe Kriege als die ultima ratio des zeitverirrten Scheins es zu Rande bringen. Da durch die Monarchie, die den Geist irgendwo bejahen muß und also am falschen Punkte setzt, das Selbstverständliche zum Problem wird, so kann ihre Möglichkeit kein Problem mehr und muß ihre Unmöglichkeit selbstverständlich sein. Ihr Geist war zu Ornamenten abgezogen, die das Geschäft beleben sollten und Blut gekostet haben, mehr Blut, als er selbst in Zeiten wert war, da er einen Inhalt bedeutet hat. Was fange ich mit einem Monarchen an? Er ist mir nur, ich spür’s in meinem Schreibzimmer, der höchste Vorgesetzte meines Kohlenmanns, aber er setzt mir ihn nicht in Gang. Präsident der Republik kann meinetwegen dieser selbst sein — wer immer: ’s wird eher Kohle geben. In der Republik, die den Staat als den Konsumverein bejaht, wo sich das Essen von selbst versteht und nicht jene Gnade bedeutet, für die man mit Ehrfurcht dankt, also mit einem Gegenwert, den man nur Gott und dem Geist schuldet, in der Republik sind die Menschen so schlecht und so dumm, wie sie sind, aber von keiner Schranke gehindert, den Zustand zu heben. Die monarchische Macht muß, um zu bestehen, die Menschen dümmer und schlechter machen, als sie sind. Sie zehrt den inneren Vorrat auf, um uns den äußern zu geben, nimmt den äußern, und anstatt daß wir durch die Bestellung des Lebens leichter zu uns selbst gelangten, finden wir zuletzt in uns nichts vor und nichts mehr außerhalb. Und daß, wo nichts ist, auch der Kaiser das Recht verloren hat, diese Erkenntnis ist schließlich der wahre Gewinn aus dem Zustand, und der heißt dann Republik. Vor allem Denken stand das hindernde Bewußtsein, daß es Kaiser gibt, aber die leere Seele und der leere Herd zeugten für das angestammte Übel. Mangel ist der Ehrfurcht hinderlich, die den Überfluß nicht zuließ. Wir müssen wieder Gott, wir dürfen nicht mehr dem Staat für die Dinge danken, zu deren Beschaffung er da ist und von uns bezahlt wird. Die Gotteslästerung der Idee, daß der Mensch für den Staat da sei, hat ein Ende mit Schrecken gefunden. Wehe dem Bäcker, der für unser tägliches Brot, das wohl Gottes Gnade, aber seine Pflicht ist, als Majestät verehrt sein will! An der Überschätzung dieser Dinge sind sie uns ausgegangen. Ein zu großer Teil der Menschheit hat sich als den Vorgesetzten des Rests aufgespielt und davon gelebt, sich zwischen uns und unsere Notdurft zu stellen, anstatt sie uns zu verrichten. Wenn wir in diesem Punkt klar zu sehen beginnen, werden wir uns nach den fleischlosen Töpfen der Monarchie nicht zurücksehnen und uns dadurch allein eine bessere Zukunft sichern, daß wir uns die meisten Beamten und alle Offiziere ersparen. Das unheimliche Symbol des Zauberlehrlings, der den Besen zum Herrn über sich selbst gesetzt hat und einer Sintflut nicht mehr wehren kann, ist als Warnung vor einem Leben gestanden, welchem die Behelfe den Zweck verdorben haben; im Erlebnis büßt es die Sünde einer Zeit, aus der der alte Meister sich doch einmal wegbegeben hat. Dies gilt von dem Fluch, den der Zauberbesen der Technik über uns gebracht hat, es gilt aber auch für das System, das die animalischen Instrumente, die Mittler und Händler, in die Weihe einer Lebensverfügung eingesetzt hat. Herr, die Not ist groß! Die wir riefen, die Geister, müssen wir radikal und ein für allemal los werden, wenn anders die Katastrophe dieses Kriegs nicht auch die Zukunft uns ersäufen soll. Das Lehrgeld des Zauberlehrlings müssen wir bezahlen. Und das Wesen unseres besondern Chaos ist, daß wir er und der Stock zugleich waren und jeder von uns in beiden Gestalten, als Verwirrer und Verwirrter, das Unheil mehrten. Was die Beamten anlangt, die in diesem glücklich ersoffenen Haus Österreich den Anspruch erhoben, daß die Eigenschaft der Dummheit allein schon gottähnlich mache, und die sich als die unmittelbaren Stellvertreter jener Macht fühlten, durch welche die Welt tatsächlich erst da war, nachdem der Schöpfungsakt erledigt war, was diese perfekten Hüter einer naturwidrigen Ordnung betrifft, so wird es gewiß schwer genug fallen, sie — in die Ecke, Besen! Besen! Seid’s gewesen — zu Dienern unserer Notdurft zurückzubilden. Den Offizieren, die der bunte Vorwand waren, um uns diese abzugewöhnen, bleibt nichts übrig, als zu der Verlustliste der Menschheit mit dem Opfer ihres Berufs beizusteuern, dessen eigentliche Tragödie es ist, überflüssig zu werden, anstatt es längst gewesen zu sein. Der Katzenjammer beim Anblick von Farben, die einen so peinlichen Kontrast zur greulichen Erinnerung und zur düstern Gegenwart bilden, hat keine Tendenz gegen solche, die aus dem redlich mitgetragenen Sklavenelend dieser Jahre heil zurückgekehrt sind. Wenn sie sich jetzt von ihm betroffen fühlen, so mögen sie eine Schwäche büßen, die sie den Konflikt zwischen einem vorzeitlichen Begriff von militärischer Ehre und den Anforderungen eines durch und durch ehrlosen Handwerks neuzeitlicher Kriegführung oder der willenlosen Duldung täglich durchschauter Schmach nicht eher austragen ließ. Niemandem fallt es ein, den Sklaven einer verfluchten Pflicht und Teilhabern einer sinnlosen Gefahr zu grollen, wenn die Zeit, die das nackte Leben retten möchte, gegen die Reize einer Uniform glücklich abgestumpft ist. Die ermüdende Albernheit des Einspruchs, man dürfe »nicht generalisieren«, die zudringlichen Proteste von hohen militärischen Seiten, die es nicht mehr gibt, wiewohl sie wahrhaftig keines Heldentods verblichen sind, die tägliche Mobilmachung einer so gründlich abgerüsteten Berufsehre beruht auf dem Anspruch, dem Hinterland noch heute imponieren und es über die Verteilung von Lorbeer und Lasten dieses Kriegs betrügen zu dürfen. Wenn »generalisieren« — dieses einzige Fremdwort, das den Weltkrieg nicht zu überleben verdient hat und das im Munde aller Minister für Landesverteidigung und Landespreisgebung doch nicht zu Tode malträtiert worden ist — etwa so viel wie stehlen heißt, sich auf Staatskosten Villen einrichten, mehr Wäsche beziehen als im Frieden, den Krieg auch im Hinterland als eine Gelegenheit für Beute auffassen, oder für Umsetzung der Macht in sonstige Werte, das Alphabet der Menschheit nach A-, B- und C-Befunden buchstabieren, zwischen denen Spielraum für Gefälligkeit oder Grausamkeit bleibt je nachdem, frontentfernte Blutsverwandte haben, für ein Kilo Filz dann und wann auch einen Fremden vom Heldentod entheben, Nierenkranke verhöhnen und zur Kur ins Stahlbad schicken, mit Sterbenden Salutierübungen vornehmen lassen, Fasane fressen wenn der gemeine Mann heut Salvator’sches Dörrgemüse mit Würmern hat, Champagner trinken, wenn er Abspülwasser bekommt, Soldaten anbinden und Berichterstattern die Ehrenbezeigung leisten, für den Ganghofer ein Gefecht veranstalten, bei dem sechzehn von den Eigenen durch zurückfliegende Geschützböden getroffen werden, von der Schalek sich über das Ausputzen von Schützengräben informieren lassen, Advokaturskonzipienten mit Todesurteilen beauftragen, angeblich erst Vierzehnjährige durch eine Untersuchung der Zähne galgenreif machen, von allen Menschenrechten nur noch das auf Entlausung anerkennen, die Schöpfung in Menschenmaterial und sonstiges Material einteilen, aus Sibirien heimkehrende Wracks monatelang hinter Stacheldraht beobachten, um sie dann erst einrückend zu machen, beim Bridgespiel Vorstöße anordnen, auf der Flucht einen fehlenden Uniformknopf beanstanden und der Ordnung halber einen Kranken ein Zeltblatt von der Tragbahre wegnehmen, weil’s ins eigene Auto regnet, statt der Mannschaft sein Klavier in Sicherheit bringen, und hinterdrein das alles ableugnen — wenn etwa dies und das und noch etwas generalisieren heißt, so bin ich allerdings auch der Ansicht, daß man nicht generalisieren darf. Aber es sind ja nur Einzelfälle und man darf nicht generalisieren. Überdies haben wir von zuständiger Stelle, nämlich vom gewesenen Armeeoberkommando gehört, daß das Generalisieren auch unfehlbar alle jene trifft, »die ihre Pflichterfüllung mit dem Tode besiegelt haben oder als Krüppel weiter durchs Leben wandern müssen«, ein Los, das bekanntlich den Angehörigen des gewesenen Armeeoberkommandos und seiner Filialen erspart geblieben ist. Es war aber, da ja die Ressorts eben getrennt und Kompetenzstreitigkeiten tunlichst zu vermeiden sind, immer die Lebensaufgabe jener, die in den letzten Jahren in Baden zur Nachkur geweilt haben — die wohltätigen schwefelhaltigen Quellen sind für Rheumatiker so indiziert wie die Teschener Milchkur —, auf das beispielgebende Verhalten jener hinzuweisen, die in der gleichen Zeit gesund genug waren, sich an Sturmangriffen zu beteiligen. Wenn sie dabei zufällig gestorben sind oder schon bei der Generalprobe von der eigenen Handgranate — die eben nur aus Kriegsmaterial hergestellt war — zerrissen wurden, so darf man nicht vergessen, daß Krieg Krieg ist und daß man nicht generalisieren darf. Oder eben nur, um in Bausch und Bogen auf die vorbildliche Ordenswürdigkeit der in der Stabsmenage Hinterbliebenen hinzuweisen. Auch ist zu bedenken, daß zwar die Lebensmittel, die im Krieg ausgehen, jenen, die ihn führen, nur dort erreichbar sind, wo sie nicht so leicht in Feindeshand geraten können, wo es aber oft strapaziöse Telephongespräche kostet, um die Aufopferung der eigenen Regimenter durchzusetzen. Die Toten, die mit ihren Schadenersatzansprüchen von einem Vaterland, das auch nicht mehr lebt, auf die Fibel verwiesen werden, haben es besser. Fraglich bleibt nur, ob beim Generalisieren sich die Krüppel mit größerer Genugtuung an die Generale erinnern werden oder an jene, die deren Tätigkeit wenigstens zu einer Zeit charakterisiert haben, als der Säbel, aus dem Dienst der schlechten Feder entlassen, der guten nichts mehr zu verbieten hatte. Die Voranschickung der Toten und Krüppel in den Kampf um die Ehre, das einzige, was bekanntlich dem Berufsoffizier geblieben ist, entspricht einer alten militärischen Tradition jener Kreise, bei denen selbst diese Gabe nur in verschwindenden Mengen vorkommen dürfte, so daß eine Requisition, etwa für den Zweck der Wiederaufrichtung des Berufs, nur ein schwaches Ergebnis zeitigen würde. Wenn wir vollends hören, daß die Verteidigung »denselben liebenswürdigen, bescheidenen, dienstesfrohen und anspruchslosen Offizieren« gilt, »auf die wir Österreicher immer so stolz gewesen waren«, weil sie »Blut von unserem Blute, Geist von unserem Geiste« sind, so müssen wir geradezu die Bitte aussprechen, nicht zu generalisieren. Besonders, was das Blut, und auch was den Geist anbelangt. Denn in solchen Momenten, wo wir uns vom Geist der Sirk-Ecke umwittert fühlen, stellt sich unfehlbar das tödliche Wort »Mullatschak« ein, welches denn auch der deutschösterreichische General, dieser von einem neuen Geist berufene Boog, pünktlich zur Entschuldigung jener harmlosen Spielart ins Treffen führt, die halt aus Feschaks besteht, die Fülle der österreichischen Dialekte um den liebenswürdigsten Jargon bereichert hat, der jeden Satz mit »Weißt« beginnt, und, man kann’s ihr nicht verübeln, Krieg ist Krieg, manchmal über die Stränge geschlagen hat, die halt in zwölftausend Fällen Galgenstränge waren. Weißt, daß ich in einer Sphäre, in der diese Klasse zwar nicht mehr über unser Blut gebietet, aber noch Miene zu machen scheint, unsern Geist von ihrem sein zu lassen, nicht allzulange aushalten werde. Aber ich muß, da ich ja nicht in der Lage bin, auf meinem Rückzug mich durch Preisgebung meines Menschenmaterials und unter Mitnahme von anderm beweglichen Gut in Sicherheit zu bringen, bis zur Heimkehr in eine lichtere Heimat auf meinem Posten bleiben und versuchen, einer widerstrebenden Gegenwart die Grundbegriffe verlorener Menschenwürde beizubringen und nebstbei die Grundregeln verlorenen logischen Denkens. In dieser Diskussion ist es dann wohl unvermeidlich, zu erraten, daß Generalisieren nicht so sehr Schlechtigkeiten begehen als jene Tätigkeit bedeuten dürfte, die in der Verallgemeinerung der darauf abzielenden Vorwürfe besteht. Und da ist denn zu sagen, daß der Protest der Getroffenen, der in seiner eintönigen Schwindelmanier sowohl der Verallgemeinerung wie der Anführung konkreter Tatsachen entgegnet, selbst jener Methode gegenüber vergebens mit dem Tonfall der Entrüstung spekuliert. Zur Rechtfertigung derer, die da generalisieren, sage ich geradezu, daß sie die Wirkung ihrer Anklage durch die Beschränkung auf konkrete Tatsachen eher abschwächen würden, weil just diese es den unehrlichen Verteidigern möglich macht, darauf hinzuweisen, daß es in jeder großen Organisation sogenannte Elemente gibt. Zum Glück bleibt die Vorführung von Tatsachen, wie sie von der sozialdemokratischen Publizistik geübt wird, nie ohne verallgemeinernde Perspektive, und eben dieser ist mit der Berufung auf die Elemente, die es überall gibt, denn Menschen Menschen san mr alle, in diesem Falle nicht beizukommen. Denn es kommt gar sehr auf die Lebensbedingungen des Berufskreises an und auf die Atmosphäre, in der sich die Elemente ausleben können, und es gibt eben Offizien, die es erheischen, ja zur höchsten Ehre machen, daß wir alle Unmenschen sind. Die Atmosphäre, in der man für Medaillen »eingegeben« wird, ist ja nicht immer die Luft eines Büros, sondern manchmal wirklich der Blutdunstkreis und je mechanischer just hier das Verdienst gedeiht, um so besser wächst es der Seele, die keine Hemmungen kennt. »Verbrechernaturen«, räumt jener Boog ein, können wohl im Felde ihr Unwesen getrieben haben, aber man dürfe nicht generalisieren. Ist dem so, so muß man. Denn es ist wohl für das Feld charakteristischer, als für jeden andern Betätigungskreis, daß es das Feld der Verbrechernaturen ist, und wenn wir lesen, daß ein General vor der Piave-Offensive den Befehl erteilt hat: »Wenn eine Patrone fehlt, kannibalisch strafen!«, »Mit kräftigem Hurra! ungestüm auf Gegner stürzen; ihm noch auf kurze Distanz eines unter die Nase brennen, dann sofort mit dem Bajonett in die Rippen!«, »Ungetreue rücksichtslos niederbrennen!«, »Gewehr bleibt trotz Handgranate und MG. stets bester Freund der Infanterie«, »Offiziere müssen da hart sein und letzte Kräfte herausfordern!« — so ist es wohl klar, daß sich hier den Verbrechernaturen eine bessere Aussicht auf Erfolge eröffnet als etwa den Künstlernaturen, und man würde die Intentionen dieses Generals sehr durchkreuzen, wenn man Bedenken tragen wollte, bezüglich ihrer Wirkung zu generalisieren. Wir haben von fachmännischer Seite den Aufschluß erhalten, daß das österreichische Offizierskorps »erstklassig« gewesen sei, ein Lob, das sonst nur dem ihnen anvertrauten Menschenmaterial oder dem ihnen vertrauten Ensemble des »Gartenbau«-Varietés gespendet wird. Andere Berufskreise wählen andere Ornamente ihrer Leistungsfähigkeit. Aber sie unterscheiden sich von dem Offiziersberuf auch darin, daß man ihnen durch ein Generalisieren der Verfehlungen einzelner Angehöriger tatsächlich unrecht täte. Selbst den Bankbeamten, deren Tätigkeit doch gewiß der Versuchung von Requirierungen fremden Eigentums ausgesetzt ist, würde man nahetreten, wollte man ihren Beruf nach den Verbrechernaturen beurteilen, die unter ihnen nicht nur wie überall vorkommen, sondern die auch die Gelegenheit auf ihre Rechnung kommen läßt. Denn der Dieb findet sich zwar zum Geld, aber es besteht zwischen beiden Kräften nicht der kausale Zusammenhang, der zwischen dem Blut und dem Mörder waltet, und die Anziehung, dort nur von der Gelegenheit, wird hier vom Wesen bewirkt. Auch hat man wohl noch von keinem Generaldirektor gehört, der seinen Angestellten knapp vor der Generalversammlung in einem Merkzettel zum Stehlen Mut gemacht hätte, auch wenn er sich selbst in dem Fach gut auskennen sollte. In dem andern Beruf jedoch, dessen Angehörige vor einer Offensive wehrlos auch noch der Ermunterung zum Morden ausgesetzt sind, soll es vorgekommen sein, daß Triebe, deren ausgiebige Befriedigung ja sogar Ehre, Ruhm und Auszeichnung verheißt, vor der Gelegenheit, die die eigene Umgebung bot, nicht haltgemacht und zu Taten geführt haben, die zwar kein Verdienstkreuz, aber doch auch nicht die Unzufriedenheit des Vorgesetzten geerntet haben mögen. Es müssen nicht einmal Verbrechernaturen, also Elemente gewesen sein, sondern ganz harmlose Feschaks, die an der Sirk-Ecke keiner Prostituierten ein Haar krümmen können: welche den Umstand, daß ein alter serbischer Bauer von der Drina Wasser holte, Krieg ist Krieg, nicht vorübergehen lassen konnten, ohne die Gefechtspause auszufüllen, oder welche einen Zugsführer, der zurückging, um Munition zu holen, in der immer gerechtfertigten Vermutung, es handle sich um einen »p.u.« oder gar einen »p.v.« — fällt kein Meteor vom angewiderten Himmel, um diese Abkürzer der Sprache und des Lebens zu strafen? — alstern kurzerhand »abgeschossen« haben. Zur Ehre der Berufsoffiziere sei aber gesagt, daß einrückend gemachte Spießbürger, deren Harmlosigkeit im Frieden höchstens die Greuel einer Faschingsnacht des Wiener Männergesangvereins zuzutrauen waren, sich plötzlich in keiner andern Gemütsverfassung befunden haben. Also: wenn eine Wirksamkeit jene, die sie von Grund aus verabscheuen, zum Generalisieren berechtigt, so war es die der Individuen, die sich aus ihrer subalternen Lage ohne Übergang zu einer Machtfülle gelangt sahen, vor der ein Dschingiskhan Lampenfieber gehabt hätte oder irgendein verantwortlicher Gewalthaber vorzeitlicher Kriege doch etwas Herzklopfen. Die völlige Unverantwortlichkeit des heutigen Kriegsteilnehmers, der vom Gefühl der mobilisierten Quantität nicht zermalmt, sondern entfesselt ist, erklärt diese anonyme Grausamkeit, welcher die Hemmung der Phantasie längst von der Mechanik aus dem Weg geräumt war, ehe sie zur Waffe griff, und von der sich das Gewissen der Heimgekehrten wieder so schnell zu Schlaf und Tagwerk erholt, wie es sich aus der Banalität ihrer Vergangenheit in den Weltkrieg gefunden hat. Wäre ich Offizier, ich würde mich, wenn ich meinen Seelenfrieden heimgerettet hätte, keineswegs auf die Ehre dieser Abenteuer versteifen, sondern schweigend ihren Opfern an die Seite treten. Nie würde ich durch einen Vergleich mit anderen Berufen, die auch ihre Schädlinge haben, die Problematik des Berufs und die Zweideutigkeit einer Denkweise entblößen, die nach den Exzessen dieser Schandzeit überhaupt noch die Geltung eines Berufs, wenn nicht gar die unveränderte Vorzugsstellung im Staatsleben beansprucht. Da muß denn ein für allemal klargestellt werden, daß zwar jeder, der da mitgetan hat, ob er nun von Berufswegen oder durch »Tauglichkeit« dazu verpflichtet war, zwar das Mitgefühl als Objekt der Gefahr, aber nicht die Bewunderung als Subjekt der Tat, zwar den mildernden Umstand des Zwangs, aber keinesfalls eine Erhöhung der Ehre ansprechen kann. Dagegen kommt wieder bei jenem, der den Krieg nicht als eine Unterbrechung, sondern als eine Probe seines Berufs durchlebt hat (die häufig genug bloß eine Etappe auf seinem Lebensweg war), das professionelle Moment als erschwerend in Betracht. Daß selbst bei gleich verteilten Kriegslasten eher dem Zivilisten als dem Berufsmilitär eine bevorzugte Stellung im friedlichen Leben gebührt, hätte sich schon vor dem Krieg von selbst verstehen sollen. Wenn es überhaupt noch Professionskrieger geben sollte, müßte solches nach dem Krieg noch evidenter sein. Und nicht etwa deshalb, weil nach übereinstimmenden Aussagen die Männer der Tat den Löwenanteil an den militärischen Erfolgen in Bahnhofkommanden, Maschinenhallen, Hühnerzuchtanstalten und Nudelfabriken erringen durften, während die Fabrikanten, Ingenieure, Landwirte und Lehrer sich in aussichtsloseren, wenn auch besser eingesehenen Stellungen bescheiden mußten. Es hat keinen Sinn, über den Verteilungsmodus der Gefahren nachträglich zu richten, weil man sich plötzlich einer unkontrollierbaren Statistik von überlebender militärischer Seite gegenüberbefindet und weil ja der Selbsterhaltungstrieb vor einem Vaterland, dessen Bestand keinen Schuß Pulver wert war, gewiß nicht zu verdammen ist. Es wird mehr Drückeberger ohne diese Erkenntnis, patriotische Feiglinge, gegeben haben, die sich und dem Staat ein langes Leben wünschten; aber gewiß noch mehr solche, die sich für den Glauben an eine schlechte Sache geopfert haben und denen keine geringere Ehre gebührt als den Blutzeugen der Idee. Auch der Märtyrertod eines einzigen Menschen — und im ersten Rausch dieser Orgie haben gewiß auch zahllose Berufsoffiziere daran glauben müssen — ist eine so ehrfurchtgebietende Tatsache, daß jede Kritik dieser Verhältnisse fast zum Standpunkt jenes hohen Militärs führt, der bei einer Inspizierung recht zufrieden war und nur bemängeln mußte, daß »zu wenig Herren gefallen« seien, oder gar zur idealen Forderung des rigoroseren Pflanzer- Baltin: »Ich werde schon meinen Leuten das Sterben lehren«. Also nicht die schlampige Verteilung von Glorie und Gefahr auf militärische und zivile Kämpfer ist es, was zu einer Revision sozialer Vorrechte führen müßte. Vielmehr war schon vor dem Krieg und in Erwartung einer gerechtern Rationierung der Kriegslast die gesellschaftliche Bevorzugung des Offiziers eine plane Dummheit, gleichsam eine stehengebliebene Schildwache der Ehre aus der Zeit, die noch nicht die Wohltat der allgemeinen Wehrpflicht gekannt hat und darum den Mann, der einmal fürs Vaterland in den Tod gehen sollte, bei Lebzeiten zu entschädigen bestrebt war. Nicht weil er jetzt fürs Vaterland in die Kanzlei gegangen ist, sondern weil doch die Vermutung besteht, daß alle in den Tod gehen müssen, hätten eher jene einen Anspruch auf Begünstigung, die mit geringerer handwerklicher Ausbildung und ohne Zweifel auch mit geringerem Interesse an diese Aufgabe herantreten. Die Zeit jedoch, die nur fortschreitet wie eine Paralyse, hat das Überbleibsel aus der Vorzeit der Berufskriege so weit ausgebaut, daß sie auf Kriegsdauer allen um ein Stück Ehre mehr verlieh, angesichts der allgemeinen Uniformierung alle Menschen einander zu grüßen zwang und ein Schauspiel aufführte, das zur Verstärkung des klinischen Bildes wesentlich beitrug. Zur Erholung ist es dringend angezeigt, daß in Hinkunft überhaupt nicht mehr salutiert wird. Wir wollen diese von einer imbezillen Geistesverfassung und einer niedrigen Erotik genährte Autorität mit allen Wurzeln ausgerottet haben; sie mag Köchinnen faszinieren, aber die Staatsmänner seien vor ihr bewahrt; sie soll uns nicht mehr die Plätze im Leben und auf der Eisenbahn annektieren und dafür Tod und Plage überlassen. Sie ist selbst jenen, die sie noch nicht erkannt hatten und in diesen Kriegszeiten nur psychisch erfahren haben, durch ihre überhebliche Unerheblichkeit schwer auf die Nerven gefallen, in den vielen Gelegenheiten, wo sie diese Qualität nicht in der Kampfleitung zu bewähren hatte. Gibt es denn einen Wirkungskreis, der nicht schmutziger geworden wäre in diesen vier Jahren, da der Militarismus seinen Rüssel darin stecken hatte, ein Volksgut, das nicht ärmer geworden wäre seit dem Tag, da er seine Pranke darauf gelegt hat? Gibt es ein österreichisches Wirrsal, das nicht bunter wäre durch die unberufene Einmengung der Montur? Und wenn wir dem Unvermeidlichen nur auf den wahren Passionswegen begegnet sind, die zur Beschaffung eines Passes führten, um seiner Kompetenz zu entfliehn, etwa als einem jener grauslichen Kriegsüberwacher, die doch gar nicht wußten, wie das aussah, was sie zu überwachen hatten, und die uns mit ihm gestohlen werden konnten, oder dann als einem jener größenwahnsinnigen Grenzschutzoffiziere, die die Spione durch die blödesten Fragen langweilten und um derentwillen allein diese Grenzen es verdient hätten preisgegeben zu werden — wir, die so glücklich waren, nicht dem Krieg ins Gesicht sehen zu müssen, wußten doch genug von ihm, da wir diesen Oberleutnants ins Gesicht sehen mußten! Die Berufung auf den liebenswürdigen und bescheidenen Standesgenossen, dessen Eigenschaften auch vom feindlichen Ausland anerkannt worden seien, »im Gegensatz zu den Offizierskorps anderer Länder« — also mit deutlicher Abrückung der einen Schulter von der andern — dürfte wenig zur Korrektur der im Krieg gewonnenen Eindrücke, des einzigen was für uns im Krieg gewonnen wurde, beitragen. Der preußische Offizier mag von der Außenwelt mit Fug als ein Monstrum bestaunt worden sein und von dieser Verblüffung der beweglichere österreichische Kamerad profitiert haben, schon deshalb weil ihn der Feind nicht so häufig zu Gesicht bekam. Im Lande selbst hat jener nur die Schnauze seiner Volksart, die schon militärtauglich geboren ist, während dieser durch eine dem allgemeinen Charakter ungemäße Löwenhaut Aufsehen und Ärgernis erregt, so daß er in seiner Umgebung weit preußischer wirkt als der Preuße. Darum hat er sich jetzt auch über die Äußerungen einer Antipathie zu beklagen, die dem andern in solchem Maße erspart bleibe, und über einen Mangel an heimatlicher Wärme, die dem nördlichen Kameraden vielleicht zuteil wird. Darum muß er sich gegen das Generalisieren zur Wehr setzen. Mir san ja eh die reinen Lamperln, das ist jetzt die tägliche Tonart der Wölfe, die damit freilich auf die heimische Gemütsverfassung Eindruck machen könnten. Werden sie der anonymen Grausamkeit beschuldigt, so berufen sie sich auf die Gefallenen; werden sie des anonymen Griffs in das vom Vaterland beschlagnahmte Gut beschuldigt, so wollen sie nur Wohltätigkeitsaktionen geleitet und höchstens noch dem »isolierten Gagisten«, der sich nicht anders zu helfen wußte, mit etwas Wäsche ausgeholfen haben, da die andern ja eh an der Front bedient wurden. Wie sie an der Front bedient wurden, davon könnte viel Ungeziefer berichten, wenn es nicht Bedenken trüge, mit der Presse in Verbindung zu treten; und der isolierte Gagist ist offenbar der Erzherzog Max, dessen Wäschekammer von unserem Mangel komplettiert wurde. Die Technik dieser Rechtfertigungen besteht im Alibi eines überführten Diebs, der beweisen kann, daß er ein anderes Mal nicht gestohlen hat, und in der Beteuerung, daß man nicht generalisieren darf. Kein anderer Beruf war je in die Zwangslage versetzt, durch solche Argumente und durch solche Fürbitte sich ein Ehrenzeugnis verschaffen zu müssen. Wenn die Berufsoffiziere Postbeamte oder Versicherungsagenten sein werden, wo wird man ihrem Stande bitteres Unrecht tun, indem man ihm die Verfehlungen einzelner anrechnet. Auch fünfzig verbrecherische Postler unter hundert würden nichts gegen die Institution beweisen. Aber zehn Soldatenschinder unter hundert Offizieren beweisen sehr viel gegen die Institution, deren Wesen die unwiderrufliche Macht ist und das Verhängnis des Zufalls, der uns gerade der Ausnahme untertan macht und also einen Professor zwingt, sich von seinem Schulbuben ohrfeigen zu lassen. Die inappellable Möglichkeit, daß ein Kulturmensch unter einem von jenen zehn dienen muß, macht den Militarismus zur Infamie, selbst wenn er nicht eo ipso eher der Nährboden für die Existenz solcher wäre als der andern; macht einen Beruf verhaßt, dem sich die rechtschaffensten Leute verschrieben haben können. Sie leben gewiß in der Sklaverei und nicht in der Position der Sklavenhalter. Welche Tätigkeit zwänge unter den Einwirkungen eines demoralisierenden Ehrbegriffs so den Menschen in die Wahl, Hammer oder Amboß, Knecht oder Kanaille zu sein? Von allen Brandmalen der Zeit wohl das deutlichste ist die Verzerrung der militärischen Ehre, deren fortwirkendes Dekorum in einer veränderten Kriegshandlung, welche statt Söldner Sklaven der Wehrpflicht, statt Helden Märtyrer beschäftigt, selbst das Blutgeschäft korrumpiert hat.