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Juni 1916

Das Gegenstück

Aus München wird uns geschrieben: Unter dem Schlagworte »Die Feldgrauen für die Feldgrauen« veranstalten Offiziere und Mannschaften der hiesigen Ersatzformationen ein ganz eigenes Theater, wobei sie das von einem Feldgrauen verfaßte Stück »Der Hias« zur Aufführung bringen. Im Rahmen einer dreiaktigen Komödie werden uns einzelne Bilder aus dem Leben in Feindesland vor Augen geführt, und wir lernen so ziemlich alles kennen, was der Krieg an Abenteuerlichem, Verwegenem und Überraschendem, nicht minder aber auch an herzhaft Erfrischendem und Ergreifendem mit sich bringt. Patrouillengänge, Gefangennahme, Kriegsgericht gegen »deutsche Barbarei«, französischer Chauvinismus und frohgemutes Lagerleben wie die Feier des Königsgeburtstages wechseln in bunter Reihe ab, wobei ganz besonders das kameradschaftliche Zusammenleben der Offiziere und sonstigen Vorgesetzten mit der Mannschaft und deren treues Zusammenhalten geschildert wird. Die Anhänglichkeit der Mannschaft an die Offiziere zeigt sich im schönsten Licht, — und solch ein Muster echt bayerischer Art ist der Offiziersbursche Hias, der durch seine rasche Entschlossenheit, seine Tapferkeit und seine Klugheit seinen verwundeten Leutnant vor schmachvollem Ende in den Händen der Franzosen rettet und die Schuldigen der gerechten Vergeltung zuführt. Aber um die Fabel des Stückes handelt es sich gar nicht; was uns bei diesem Theater so mächtig packt, ist der frische Zug, der es durchweht, ist die Ursprünglichkeit und Echtheit, die ihm anhaften. Es ist Theater und doch keines, vielmehr in höherem Sinne wahrhaftiges Leben, das durch die unbeholfene Darstellung nur noch gewinnt. Was diese Feldgrauen uns jetzt auf der Bühne des Münchner Volkstheaters »vorspielen«, das ist nur die Wiedergabe des Erlebten, wenn auch in anderer Form, das ist aus ihren Empfindungen herausgeboren und wohl nur ein Spiegelbild ihres ureigensten Wesens, wie es sich draußen im Felde gebildet hat. Am deutlichsten zeigt sich dies im zweiten Akte, da der »Geburtstag des Kini« (Königs) gefeiert wird und die Soldaten nun durch ihre bescheidenen, von den Kameraden bejubelten Darbietungen das Fest verschönern und für deren Erheiterung sorgen. Und während Schnadahüpfeln gesungen werden und ein unverfälscht bayrischer Schuhplattler getanzt wird — dabei zwei Soldaten als fesche Dearndl —, arbeitet am Offizierstische das Feldtelefon, werden Meldungen entgegengenommen und abgegeben, arbeitet die Kriegsmaschine ihren eisernen, unerbittlichen Gang! Dieser Akt ist vom Publikum beklatscht worden, wie dies noch keine Kunstleistung erfahren hat. In den Zwischenpausen spielte das Militärorchester patriotische Lieder und Märsche. Es ist wohl überflüssig zu betonen, daß sämtliche Mitwirkenden, denen sich auch einige Damen der Gesellschaft angeschlossen haben, keinerlei Spielhonorar beziehen, die gesamten Einnahmen aus diesen Vorstellungen fließen dem Roten Kreuz für militärische Wohlfahrtseinrichtungen zu. Und da es also auch nach dieser Richtung hin kein Theater im üblichen Sinne sein will, nennt der Theaterzettel keinen einzigen Namen der Mitwirkenden, ja, nicht einmal der Verfasser des Stückes tritt aus seiner bescheidenen Zurückhaltung heraus. Im dritten Akte sollte auch ein Film vorgeführt werden, aber leider hat die Polizei ihn wegen Feuersgefahr gestrichen, so daß wir darum kamen, die Auffahrt der Artillerie, Handgranatenkampf, Handgemenge und Nahkampf zu sehen. Zum Schlusse endlich gab es noch ein in großen Dimensionen gehaltenes lebendes Bild »Krieg und Frieden«, das ebenfalls sehr viel Beifall fand. Wie uns mitgeteilt wird, beabsichtigt das Theater der Feldgrauen, das in München nur acht Vorstellungen veranstaltet, das ganze Land zu bereisen; es wird sicherlich überall herzliche Aufnahme finden, um so mehr, als in diesem Stück so manches kluge, liebe und zuversichtliche Wort fällt, das lebhaftes Echo in den Herzen der Zuhörer weckt. Und dazwischen viel Scherz und gesunder, kräftiger, echt bajuvarischer Humor, der wirklich zündend wirkte. Daß schließlich auch unserer Verbündeten, ganz besonders aber der ruhmreichen österreichisch- ungarischen Armee, gedacht wird, versteht sich von selbst. Kein Zweifel, der »boarische Hias«, der unverfälschte Typus des »bayrischen Löwen«, wird auf seiner Rundfahrt durch die deutschen Gaue seinen Weg machen, und er wird sicherlich überall herzhaftem Verständnis begegnen, — jenem stillen, behäbigen, guten Lächeln, das so sehr die Seele erwärmen kann.

Nur daß wir hier, gemäß der Volksart, mehr aufs Individuelle gegangen sind, die dort mehr aufs Allgemeine. Aber auch dies ist so schön, so in höherem Sinne wahrhaftiges Leben, so traulich ist es, dazusitzen, während die Kriegsmaschine auf der Bühne ihren eisernen unerbittlichen Gang arbeitet, und Soldaten zu sehen, die Soldaten spielen, und solche wieder, die fesche Dearndln sind, und Damen der Gesellschaft, die mittun, und nur der Handgranatenkampf entfällt wegen Feuersgefahr, aber der Tod stellt lebende Bilder, die andern sind im Nahkampf umgekommen, wir sind um den Nahkampf gekommen, aber gesunder Humor bringt Ersatz, und so ans Herz geht es, daß man hoffen kann durchzuhalten, bis man mit jenem stillen, behäbigen, guten Lächeln, das die Seele erwärmt, einst im ewigen Frieden zu sich kommt. Kein Handgemenge — Schuhplattler gibt’s heut! Kein Nahkampf — Schnadahüpfeln! Kein Ärgernis in der Welt. Ich habe die Regie. »Was für eine Gesellschaft ist es? ... Wie kommt es, daß sie umherstreifen? ...« »Die besten Schauspieler der Welt, sei es für Tragödie, Komödie, Historie, Pastorale, Pastoral-Komödie, Historiko-Pastorale, Tragiko-Historie, Tragiko-Komiko- Historiko-Pastorale, für unteilbare Handlung oder fortgehendes Gedicht. Seneka kann für sie nicht zu traurig, noch Plautus zu lustig sein. Für das Aufgeschriebne und für den Stegreif haben sie ihres Gleichen nicht.« »... der Natur gleichsam den Spiegel vorzuhalten: der Tugend ihre eignen Züge, der Schmach ihr eignes Bild, und dem Jahrhundert und Körper der Zeit den Abdruck seiner Gestalt zu zeigen .... O es gibt Schauspieler, die ich habe spielen sehn und von andern preisen hören, und das höchlich, die, gelinde zu sprechen, weder den Ton noch den Gang von Christen, Heiden oder Menschen hatten, und so stolzierten und blökten, daß ich glaubte, irgendein Handlanger der Natur hätte Menschen gemacht, und sie wären ihm nicht geraten; so abscheulich ahmten sie die Menschheit nach .... Und die bei euch den Narren spielen, laßt sie nicht mehr sagen, als in ihrer Rolle steht: denn es gibt ihrer, die selbst lachen, um einen Haufen alberne Zuschauer zum Lachen zu bringen, wenn auch zu derselben Zeit irgendein notwendiger Punkt des Stückes zu erwägen ist.« »... Die Schauspieler können nichts geheim halten, sie werden alles ausplaudern.« »... Habt ihr den Inhalt gehört? Wird es kein Ärgernis geben? — Nein, nein; sie spaßen nur, vergiften im Spaß, kein Ärgernis in der Welt. — Wie nennt ihr das Stück? — Die Mausefalle. Und wie das? Metaphorisch ....« »Der König steht auf. — Wie? Durch falschen Feuerlärm geschreckt ...?« »Ei, der Gesunde hüpft und lacht, dem Wunden ists vergällt; der eine schläft, der andere wacht, das ist der Lauf der Welt. Sollte nicht dies, und ein Wald von Federbüschen (wenn meine sonstige Anwartschaft in die Pilze geht) nebst ein paar gepufften Rosen auf meinen erhöhten Schuhen, mir zu einem Platz in einer Schauspielergesellschaft verhelfen? ...« »Ha ha! Kommt, Musik! kommt, die Flöten! Denn wenn der Kini von dem Stück nichts hält, ei nun! vielleicht — daß es ihm nicht gefällt.« O lieber Horatio, ich wette Tausende auf das Wort des Geistes!

Vgl.: Die Fackel, Nr. 426-430, XVIII. Jahr
Wien, 15. Juni 1916.