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Dezember 1911

Schauspielermonumente

Leute, die jeder Enthüllung ausweichen sollten, haben sich um das Kainz-Denkmal verdient gemacht. Wenngleich es nun sicher pietätvoller ist, Kainz kein Denkmal zu setzen, als die alten Burgschauspieler zu schmähen, so hat die Idee dennoch Anklang gefunden, die Kränze, die in diesem Fall die Nachwelt sich selbst geflochten hat, lassen andere Persönlichkeiten nicht schlafen, und schon ist der Vorschlag aufgetaucht, einen Burgtheaterhain zu gründen und zwar so, daß um jenen Hamlet herum Büsten von Sonnenthal, Mitterwurzer und Charlotte Wolter aufgestellt werden sollen. Eine nach mehrfacher Richtung schamlose Vorstellung, selbst wenn diese Büsten besser ausfielen als die Statue des Herrn Jaray, dem man eher das Arrangement der Tapete, hinter der der Polonius stirbt, zugetraut hätte. Aber die Erinnerung an jene Großen und Edlen wird es keinen Tag lang ertragen, die Staffage für das Kainz-Denkmal abzugeben. Daß neben diesem das Standbild der Wolter im Bavariaformat auszuführen wäre, müßte sich auch für die Überschätzung des Kainz’schen Talentes von selbst verstehen: eine insofern berechtigte Überschätzung, als nie vorher die Distanz eines einzelnen Könners zum Jammer einer herabgekommenen Bühne so deutlich erlebt wurde. Aber selbst die Kritiklosigkeit, welche darauf besteht, diesen einen vor allen auszuzeichnen, weil sie seine Distanz zur Größe des Burgtheaters nicht erlebt hat, wäre ein belangloses Übel, ein Fall ohne tiefere Fernsicht als die auf eine Komplettierung jener Widerwärtigkeiten, die das Wiener Weichbild schon beleben. Wichtiger und den Wiener Horizont erhellend ist der Geistesblitz der Grundidee, Schauspielern Monumente zu setzen. Auch vom Standpunkt einer Sitte, die es sich nicht nehmen läßt, dem Nachruhm eine Quittung in Stein auszustellen, vom Standpunkt einer Gesellschaft, die diesen Anschauungsunterricht für Analphabeten der Pietät nötig hält und nötig hat, vom Standpunkt der Gehirne, die das Leben nicht lebenswert finden, wenn sie es nicht sehenswürdig finden, muß die Idee, Theatergrößen auf diese Art der Nachwelt zu vermachen, als alberner, als abstruser, ja geradezu als wienerischer Einfall abgelehnt werden. Was ist von Josef Kainz übrig? Schlechte Gedichte. Von den Andern? Nichts; also mehr. Das Denkmal des Schauspielers ist das Grammophon. Vielleicht in Zukunft ein Ding wie ein Kinematogrammophon. Daß die Stimme der Wolter verklungen war, ehe es die Technik so weit gebracht hatte, dessen möge sich die Technik schämen. Über ihre Säumigkeit hat sich die Erinnerung an Kainz nicht zu beklagen, und sein Hamlet-Monolog, in einem Automatenbüfett angehört, gibt der Erinnerung und dem neuen Erlebnis mehr als die Statue, die man einem, der sprechen konnte, gesetzt hat. Völlig geistlos, eine zweimal tote Idee, den Sprecher des Hamlet in der Szene festzuhalten, da er vom Schädel sagt, er habe einmal eine Zunge gehabt: ein armer Yorick, und ein armseliger, der ihn zu bedauern vorgibt. Wenn es einen Schauspieler gegeben hat, dessen Andenken die Plastik zuhilfekommen müßte, dürfte; dessen Verlust sie halbwegs ersetzen könnte, sollte: so ist es die Wolter. Denn sie war nicht nur Stimme, sondern auch Standbild. Schon bei Lebzeiten hätte man es ihr nachahmen und überall dort aufstellen sollen, wo sie nicht war. Die Schauspielkunst lebt nicht fort: ihr bei Lebzeiten ein Monument zu setzen und es nach dem Tode abzutragen, wäre sinnvoller als die Übung, zu der man sich in Wien entschlossen hat. Schauspielkunst müßte in Stein ausgedrückt werden können, wenn die Statue Sinn haben soll. Das könnte sie dort, wo es eine Hermione zu ehren gilt. Als mnemotechnisches Mittel ist ein Denkmal für Dichter und Denker, für Maler und Musiker überflüssig, für Schauspieler unsinnig. An jene hat der Nachlebende anders zu denken; zu diesen wird er durch keine Vorstellung geführt. Ein Schauspielerdenkmal hat nur Wert als Erinnerungsbehelf für den Betrachter, der das Modell in Erinnerung hat. Selbst ihm erstarrt die Hand, die einer Statue applaudieren soll. Das Schauspielerdenkmal schrumpft zur Privatangelegenheit zusammen und ist in allen Gegenden lästig außer im Foyer, wo es immer zu den Angehörigen spricht, oder auf dem Friedhof, wo auch das Denkmal des Privatmanns einer Pietät dient, die die Nachkommen aus Pietät übernehmen. Sinnvoll und notwendig ist nur die plastische Fortsetzung dessen, der plastisch gelebt hat. Schöne Frauen haben ein Monument verdient, und darum jene, die sie nicht gesehen haben; denn nur Kunst vermöchte die Schönheit zu ersetzen. Künstler brauchen kein Monument. Schauspieler verdienen keines und haben an jeder Möglichkeit, durch ein Denkmal ersetzt zu werden, vorbeigelebt. Einem Schauspieler ein Monument setzen, schließt, um der Nachwelt wenigstens einen Trost der Logik zu gewähren, die Verpflichtung in sich, auch dem Publikum ein Denkmal zu setzen, das den Schauspieler bewundert hat. So könnte eine Theaterwirkung wesentlich überliefert werden, weil die Schauspielkunst die einzige ist, die ohne den Empfänger nicht leben kann und mit ihm stirbt: also keine Kunst ist. Die Verewigung des Publikums wäre aber ein Ziel, aufs innigste nicht zu wünschen. Zudem wächst es immer frisch nach. Und mit ihm die sozialen Parasiten, die aus dem Rahmen des Publikums herausbrechen, um sich im Zwischenakt bemerkbar zu machen. Sie verdienen gewiß kein Denkmal. Sie können die Logik eines Denkmals nicht zu Ende denken. Die freilich auch dort erfüllt ist, wo sich ergibt, daß ein Denkmalkomitee es sich selbst schon gesetzt hat, indem der Ruhm der Toten die Reklame der Lebenden bedeutet.

Vgl.: Die Fackel, Nr. 339/340, XIII. Jahr
Wien, 30. Dezember 1911.