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Notizen

Ein Brief

Mai 1913

Die meisten Briefe, die im Verlag der Fackel geschrieben werden, haben durchaus keinen geschäftlichen Inhalt. Es sind Antworten an Einsender, deren Annäherung als schimpflich empfunden wurde, motivierte Entziehungen des Abonnements, wenn der Abonnent mit Berufung auf diese Würde sich zu weit vorgewagt hatte, Kündigungen des Freiexemplars an Redaktionen, die über die Pflicht hinaus, den »Inhalt« abzudrucken, zu einer Kritik übergegriffen hatten, Zurechtweisungen von Behörden, die sich für verpflichtet hielten, den Herausgeber von einem Abonnement auf die Fackel zu unterrichten, Verweigerungen von Nachdrucken mit Grundlegung zu späteren Haßausbrüchen und dergleichen mehr. Man sieht, es gibt auch im Verlag viel zu tun. Einer dieser Briefe lautet:

Wien, 24. April 1913.

An die Schriftleitung

der Deutschen Tageszeitung, Berlin.

Ein Berliner Ausschnittbureau übersendet uns den Artikel, den Sie am 14. April über Peter Altenberg gebracht haben und der mit den Worten beginnt:

»Peter Altenberg, so schreibt Adolf Bartels im 18. Bogen seines deutschen Schrifttums, heißt eigentlich Richard Engländer.«

Sonst zitieren Sie keinen weiteren Ausspruch dieser Autorität, sondern gehen zu einem Nachdruck der Altenberg’schen Skizze »So wurde ich« über, in der des Anteils gedacht ist, den der Herausgeber der Fackel an der Publikation des ersten Altenberg’schen Buches hat, und die mit den Worten schließt: »Und was bin ich geworden?! Ein Schnorrer!« Dazu schreiben Sie: »Nun, Peter mag sich trösten, das ist ein guter alter jüdischer Beruf. Uns Deutsche interessiert an der Skizze vor allem, wie die Juden ihrem Rassegenossen helfen. Die sechs älteren ›Werke‹ von Peter Altenberg haben inzwischen die 7., 4., 3., 4., 4., 3. Auflage erlebt, obschon er als Schriftsteller eigentlich ›parlamentarisch‹ kaum zu charakterisieren ist. Man höre noch zwei Aphorismen von Peter Altenberg: ...«

Daß Sie zwei Aphorismen von Peter Altenberg nicht verstehen und sich überhaupt unfähig fühlen, ihn als Schriftsteller parlamentarisch zu charakterisieren, würde uns natürlich nicht aufregen und gewiß nicht Stoff zu einem Brief an Sie geben. Was uns, den Verlag der Fackel, interessiert, ist nur die Stelle Ihrer Notiz, wo Sie sich erdreisten, das Eintreten des Herausgebers der Fackel für Peter Altenberg als die »Hilfe der Juden für ihren Rassegenossen« darzustellen. Es kann natürlich nicht unsere Sache sein, Ihnen eine bessere Ansicht über diesen Punkt beizubringen oder Ihnen zu versichern, daß jede Zeile, die Sie und jedes deutschantisemitische Blatt je geschrieben haben, jenem jüdischen Drang verwandter war als die Erkenntnis, aus der der Herausgeber der Fackel für Peter Altenberg eintritt, ganz abgesehen davon, daß die Sprache Altenbergs deutscher und sein Inhalt christlicher ist als sämtliche Jahrgänge, die sämtliche deutsch-christlichen Schriftleiter Deutschlands und Österreichs bisher zusammengeschrieben haben. Sie würden’s ja doch nicht glauben und beweisen läßt sichs nicht so leicht wie die Konfession. Was uns aber interessiert, ist die Tatsache, daß Sie jene Bemerkung über den Herausgeber der Fackel denselben Lesern vorsetzen, denen Sie durch Jahre in eindringlichen Hinweisen und geradezu begeisterten Notizen die Lektüre der Fackel, wohl zur Aufklärung über die Verworfenheit der jüdischen Presse, empfohlen haben. Nun würde uns dieser Wechsel der Gesinnung nicht besonders aufregen, da wir die Verworfenheit der Presse ohne rassenmäßige oder konfessionelle Nuancen ins Auge fassen und nie daran gezweifelt haben, daß sich die antisemitische Presse von der jüdischen zu ihren Gunsten höchstens durch die geringere Geschicklichkeit unterscheidet. Auch ist der Herausgeber der Fackel der Ansicht, daß die deutsche Treue, jedenfalls insofern sie von den deutschen Schriftleitern strapaziert wird, an Wert hinter der ärgsten jüdischen Pofelware nicht zuweit zurücksteht, und er hat auf die Beständigkeit einer nationalen Anhängerschaft noch nie übertriebene Hoffnungen gesetzt. Das alles ist uns also gleichgültig, und Ihr Tadel kann uns so wenig anhaben wie Ihre Komplimente. Was uns ausschließlich angeht, ist das geschäftliche Verhältnis, in dem wir, wie sich zu unserer Beschämung herausstellt, zu Ihnen stehen und das natürlich nicht durch ein Urteil, wohl aber durch eine Unsauberkeit alteriert werden kann. Es besteht darin, daß Sie von uns ein Freiexemplar ständig erhalten, welches Sie seinerzeit erbeten haben und das Ihnen im Sinne einer rein administrativen Übung bewilligt wurde, der die kostenlose Propaganda unserer preßfeindlichen Absichten durch die Presse nicht unerwünscht war. Für das Freiexemplar haben Sie die Verpflichtung übernommen, den »Inhalt« der Fackel abzudrucken. Diese Verpflichtung haben Sie wiederholt durch ungeschickte Nachdrucke von Aufsätzen überboten, deren Erlaubnis Ihnen gegeben oder von Ihnen genommen wurde. Wir erinnern uns, daß Ihnen sogar einmal der honorarfreie Abdruck einer umfangreichen Satire »Der Fortschritt«, ausnahmsweise (unter der Bedingung sorgfältigen Druckvergleichs) gestattet wurde. Dies alles bringen wir aber nicht etwa vor, um Ihnen zu beweisen, daß die Schnorrerei nicht nur ein guter alter jüdischer Beruf ist. Wir wollen Ihnen bloß bekanntgeben, daß wir künftig nicht gesonnen sind, undankbaren Vertretern dieses Berufes entgegenzukommen, und darum das Freiexemplar einstellen. Sie mögen sich dann mit Recht darüber beklagen, daß die Juden den Angehörigen einer fremden Rasse nicht helfen wollen.

Der Verlag der Fackel.

Vgl.: Die Fackel, Nr. 374/375, XV. Jahr
Wien, 8. Mai 1913.