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Die Fackel

September 1911

Aus einem Aufsatz der ›Neuen Zürcher Zeitung‹ über die »Chinesische Mauer« seien einige Sätze zitiert, die an das Problem der Publikumswirkung anknüpfen:

Wenn man in einem Zürcher Café nach Wiener Zeitschriften fragt, so bringt der Kellner den ›Pschütt‹, die ›Wiener Karikaturen‹, die ›Wiener Mode‹ und die ›Wiener Rundschau‹ — aber daß in Wien eine Zeitschrift erscheine, die an persönlichem und kulturellem Wert einzig dasteht, weil sie seit einem Dezennium als Ausdruck einer Persönlichkeit im Kampf mit der gesamten Presse liegt und von dieser pflichtschuldigst totgeschwiegen wird, weiß niemand. Ich meine ›Die Fackel‹, und ihr Herausgeber heißt Karl Kraus ....

Daß man im Zürcher Kaffeehaus etwas von der Fackel wüßte, wäre der Güter höchstes nicht. Der Übel größtes aber ist, daß man im Wiener Kaffeehaus von ihr weiß. Und schmerzhaft wird das lokale Renommee, wenn man es erlebt, wovon sie zu gleicher Zeit auch wissen, hierzulande, und wovon sie ausschließlich wissen, dort, wo man von der Fackel nichts weiß. Es besteht ja keine rechtliche Möglichkeit, der vom Kellner geistig bedienten Intelligenz zwischen dem Lesen der Witzblätter die Fackel zu entziehen; sonst wäre es längst geschehen. Aber maßlos traurig ist, was sich inzwischen der reichsdeutsche Journalleser, der trotz tausend Rezensionen nichts von ihrem Dasein weiß, unter der Fackel vorzustellen beginnt. In Frankfurt hebt ein journalistischer Skandalprozeß an, der sich um das üble Geschäft eines Wurstblattes dreht, das seit etwa fünf Jahren die Freundlichkeit hat, sich ›Die Fackel‹ zu nennen, nachdem es früher ›Die Sonne‹ geheißen hat. Vermutlich ist die Änderung auf eine Beschwerde der älteren Besitzerin des Titels zurückzuführen, die ihr tägliches Erscheinen in Frankfurt von dem Verschwinden der Schmutzkonkurrentin abhängig machte. Die Fackel aber, die sich in Deutschland auf kein Urheberrecht berufen kann, muß sich das Treiben gefallen lassen. Nun wäre mir ja nichts lieber, als einen Titel zu opfern, der wohl immer in einem billigen Sinn ornamental war und längst nicht den Inhalt dieser Zeitschrift erschöpft, der heute nur noch der dümmste Leser die Ambition, in irgendetwas »hineinzuleuchten«, zutrauen mag. Aber selbst ihre früheste Vergangenheit ist durch das elende Parasitentum, das sich ihr in Wien und andern Städten angeheftet hat, schwer kompromittiert. Und wahrhaft trostlos ist die Selbstverständlichkeit des Odiums, mit dem jetzt — ein ganzes Jahr wird von dem Prozeß widerhallen — die gesamte deutsche Presse den Namen dieser Zeitschrift belehnt, ohne mit einer Silbe zu erwähnen, daß er in der Literatur immerhin noch einen andern Inhalt deckt als die Ausbeutung der Frankfurter Ehebettaffären durch einen gewinnsüchtigen Schmierer. Der »Herausgeber der Fackel« verfaßt Kundgebungen, die er in die Welt hinaussendet — sogar mich hat er bedacht —, und bittet die Redaktionen, von seiner Rechtfertigung »wenn nicht dem ganzen Wortlaute nach, so doch in extenso« den Lesern Kenntnis zu geben. Es ist nichts unmöglich; es kann wirklich geschehen, daß man irgendwann irgendwo mit so etwas verwechselt wird. Das wäre wenn schon nicht tödlich, so doch letal. Und darum — so peinlich es ist — muß der Fall hier, wenn schon nicht mit deutlichen Worten, so doch expressis verbis, und wenn schon nicht leidenschaftslos, so doch sine ira et studio festgehalten sein. Das Beste freilich wäre, die Wiener Maxime zu befolgen: »Gar nicht ignorieren!« Denn es kann mir, wenn schon nicht gleichgültig, so doch zum mindesten egal sein, daß einer einmal behauptet, der Mann, der das Geschäft in Frankfurt am Main betreibt, sei der Autor der Chinesischen Mauer. Was tue ich aber gegen die Ausschnittbureaus, die mir jetzt sämtliche Artikel zuschicken, in denen erzählt wird, daß die Fackel »ein übelbeleumundetes Wochenblatt in Frankfurt« ist?

Vgl.: Die Fackel, Nr. 331/332, XIII. Jahr
Wien, 30. September 1911.