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Übersetzung aus Harden

April 1908

Seit Jahren gehen die deutschen Leser der ›Zukunft‹ des eigentlichen Genusses verlustig. Sie haben das Gefühl, daß hier die wertvollsten Gedanken in einer fremden Sprache vorgetragen werden, von der sie nur ahnen können, daß sie viel schöner ist als die ihnen geläufige. Wiederholt ist deshalb die dringende Bitte an mich ergangen, ein Lexikon anzulegen, welches, wenngleich mit Preisgabe des dichterischen Moments, das gerade für den politischen Leitartikel unentbehrlich ist, über den Sinn der einzelnen Sätze trockenen Aufschluß gibt. Ich habe dem allgemeinen Drängen nachgegeben und will die Arbeit durchführen, soweit es mir bei dem Stand meiner Bildung möglich ist und soweit neugriechische und hyperboräische Sprachelemente, die den deutschen Satzbau erst zu seiner ornamentalen Geltung bringen, mir nicht unüberwindliche Hindernisse in den Weg legen. Ich muß mindestens für den ersten Versuch um Nachsicht bitten. Mancher Stelle konnte ich nur mit einiger Freiheit der Auffassung beikommen; manche blieb unübersetzbar. Anderseits glaube ich nicht fehl zu gehen, wenn ich gewisse Bezeichnungen, die der Autor anzuwenden liebt, wie z.B. »Fritzenstaat« oder »Reussenkaiser« als Telegrammadressen auffasse und in solchen Fällen die Klarheit der Kürze vorziehe. Durchwegs aber möchte ich die Verantwortung ablehnen, wenn etwa mit der Fremdartigkeit auch der aparte Reiz einer Wendung verloren ginge.

Der vom württembergischen Wahlkreis Biberach Abgeordnete

Der Abgeordnete von Biberach

Der meininger Müller

Der Abgeordnete Müller-Meiningen

Der Heilbronner

Der Abgeordnete von Heilbronn

Freisinnshäuflein

Die Freisinnigen

Genossenfraktion

Die Sozialdemokraten

Wallotbräu

Deutscher Reichstag

Herr Gröber runzelt über dem Bartdickicht die Stirn

Herr Gröber, der einen dichten Bart hat, runzelt die Stirn

Wahrscheinlich, daß nur jähe Wut den schwäbischen Tort gebar

Wahrscheinlich, daß der schwäbische Abgeordnete nur im Zorn Unrecht tat

Wie Herr Landgerichtsrat Gröber, wenn er in Kätchens Heimat auf der Sella säße, darüber urteilen würde

Wie Herr Gröber als Richter in Heilbronn darüber urteilen würde

Die denunciatio des Herrn Müller

Die Denunziation des Herrn Müller

Korypho

Korfu

Die Stadt Konstantins

Konstantinopel

Den Sitz Konstantins erklettern

Den byzantinischen Thron besteigen

Die Beute des geflügelten Markuslöwen werden

Von Venedig besiegt werden

Johannes Zimiskes, der im cubiculum die brünstige Theophano umarmt, wehrt dem Romäerreich die Slavengefahr ab

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Unter den Kalimafkon, dem prächtig wallenden Trauerschleier, verwest der Leib des von großen Kriegern und Organisatoren geschaffenen Staates

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Von dem Basileus erbt der Zar der Moskowiter, der die Palaeologentochter freit, den Stirnreif des Konstantinos Monomachos

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Der Kongreß der von Bonapartes Tatze zerstückten Europa

Der Wiener Kongreß

Ein vom deutschen Volk Abgeordneter

Ein deutscher Abgeordneter

Der vom Sultan Gesandte

Der türkische Gesandte

Das Tier mit den zwei Pigmentschichten unter der Chagrinhaut

Das Chamäleon

Die für den Kaiser gedeckte Tafel wird mit allen Wundern südlichen Lenzes geschmückt

An der Hoftafel wird junges Gemüse serviert

Vgl.: Die Fackel, Nr. 251-52, X. Jahr
Wien, 28. April 1908.

* * *

Anfang Mai 1908

Unterm Wonnemond ein borussisches Sodom bezetern

Im Mai über preußische Sittenverderbtheit klagen

Onans Schatten schleicht durch Schulen und Internate

In Schulen und Internaten gehts zu

Schnellschreiber

Reporter

Der oft gebüttelte Milchmann Riedel

Der Milchhändler Riedel, der oft mit der Polizei zu tun hatte

Schritt vor Schritt

Schritt für Schritt

Die Kränkelnden

Die Päderasten

Der Skalde, Fasanen Jäger und Krückensimulant wird mit seinem Girren dem Reich nicht mehr schaden

Fürst Eulenburg wird mit seinem süßlichen Wesen keinen Schaden mehr stiften

Vier Häupter sanken bleichend vom Rumpf

Vier Personen sind unmöglich gemacht

Unterm Sonnensegel den Lehren alter Geschichte nachträumen

Vor einem Zettelkasten seekrank werden

Vgl.: Die Fackel, Nr. 253, X. Jahr
Wien, 9. Mai 1908.

* * *

Ende Mai 1908

Auf dem Gerichtstisch der Kruzifixus  

Auf dem Gerichtstisch das Kruzifix

Ein Wort den Hirnzentren einprägen

Ein Wort sich merken

Hundertmal ist aus keuchender Brust auf Eissprossen die Furcht in den Kopf geklettert, nicht zu dauern, bis all dies Grausig-Skurrile den Mitlebenden erzählt ist

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In dem rotwangigen Weißkopf zitterts vor verhaltener Erregung

Bernstein ist aufgeregt

Der Antaios, der wieder auf heimischen Boden ringt

Bernstein plaidiert wieder in München

Ein gutmütiger Oberbayer, der Zunge und Faust nicht gern feiern läßt, wenn ihm ein Läuslein über die Leber gelaufen ist

Der resolute Milchhändler Riedel, der die Wahrheit sagen muß, wenn ihm Herr Harden über eine tiefer unten liegende Partie gelaufen ist

Ein Vergnügen, dem Mann zu lauschen. Hold wuchs ihm der Schnabel nicht; aber er ziert sich auch nicht und jedes Wort hat den Schmack des Erlebten

Er ist ein Grobian; aber wenn er erzählt, was er vor fünfundzwanzig Jahren erlebt hat, so lauscht jeder Schmock mit Vergnügen

Unser Richter sucht bei der Übertragung ins Hochdeutsche dem Wort seinen Wesensruch zu wahren

Mayer sucht bei der Übertragung ins Hochdeutsche dem Wort seinen wesentlichen Gestank zu wahren, was schwerer ist als bei der Übertragung ins Desperanto

Ungefähr dreißigmal haben Polizei und Gerichte ihn gepönt

Der Riedel ist leider vorbestraft

Nicht für schlimm makelnde Tat

Nicht für entehrende Handlungen (z.B. sexuelle)

Des Sexualtriebes Befriedigung hat die junge Seele schon gekitzelt

Der Riedel war keine Unschuld mehr

Er ging ins Zivile

Er quittierte

Der Zeigfinger

Der Zeigefinger

Der Feldafinger

Der Riedel

Seit diesen Vorgängen ist viel Wasser durchs Würmbett gelaufen

Lang, lang ist’s her

Der in der Thurmstraße Gebietende

Isenbiel

»Was gings Dich an, Tropf, damischer?« fragt Frau Riedel

(Überaus seltene Dialektwendung der Grunewaldbauern, ähnlich nur noch bei den Kuhmägden von Mürzzuschlag, die bekanntlich seinerzeit über den Bezirkshauptmann Hervay sagten: »Der kann in der Brautnacht ein Mensch nicht von einer Jungfer unterscheiden und will im Mürzbezirk hier der Höchste sein!«)

Die Augen mühen sich, dem Ausfrager zu sagen: »Redst damisch daher, Tropf Du, eiskalter«

(Siehe oben)

Das Gehirn assoziiert im Gangliondunkel die Möglichkeiten

Der Fischerjackl hofft doch noch, daß nichts herauskommen wird

Wer scharf hinschaut, ahnt in dem ganglion ciliare die Furcht, hinter dem pupillarischen Spottversuch die bange Frage, was die nächste Minute wohl bringen könne

Dem Fischerjackl wird entrisch zu Mut

Die Herren, die vom Mann heischen, was dem Normalen das Weib gewährt

Die Homosexuellen

Vor Gericht die Spinatgartenschande ausspreiten

Als päderastischer Zeuge von Herrn Harden geführt werden

Das Ohr läßt von außen her keine Schallwelle durch das ovale Fenster ins knöcherne Labyrinth

Man hört nichts

Die Magennerven langen nach Futter

Man ist hungrig

Das Gefäß, dem ein Kindlein entbunden werden kann, mag Eifersucht bewachen

Auf eine Frau kann man eifersüchtig sein

Die im Pflichtbett lieblos gezeugte Brut

Die Kinder verheirateter Homosexueller

Die Gefühlsdominante bergen

Seine Anlage verheimlichen

Die weit von der Norm abbiegende Wesenskurve verhüllen

Den homosexuellen Trieb verbergen

Küsse, die von Gethsemane her unter Männern in Verruf sind

Judasküsse nach § 175

Im Hagestolzenheim, das dem Tarifeden einer Luxusdirne ähnelt, neben dem breiten Himmelbett das neuste Buch des just in die Mode gelotsten Sexualmystagogen haben

In seiner eleganten Junggesellenwohnung sich auch geistig beschäftigten (Tarifeden lies Tarif-Eden)

Soll der Schoß deutscher Frauen aus edel gezüchtetem, unerschöpftem Stamm verdorren, weil dem Herrn Gemahl Ephebenfleisch besser schmeckt?

Sollen die deutschen Hausfrauen unbefriedigt ausgehen, weil sie einem kultivierten Geschmack zu langweilig sind?

Der Ruch der Männerminne

Der Verdacht der Homosexualität

Der Justizrat fältelt die Wange

Bernstein wird nachdenklich

Britenfräuleinromane

Gouvernantenromane

Zwei Interviews aus der ersten Maidekade

Zwei Interviews vom Anfang Mai

Der Schänder ehrlich reifender Mannheit

Eulenburg

Die zurückgestaute Wahrheit stürzt über die Beinpfosten der Mundschleuße

Einer beeilt sich, auszusprechen was ist

Vgl.: Die Fackel, Nr. 254-55, X. Jahr
Wien, 22. Mai 1908.