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479. Erbarmen¹⁾. Barmherzigkeit²⁾. (Mitleid, Mitgefühl, Bedauern, Rührung)

1) Mercy.
Pitié.
Pietà (commiserazione).
2) Pity.
Miséricorde (compassion).
Misericordia (carità).

Barmherzigkeit zeigt die Bereitwilligkeit, Leidenden zu helfen, in ihrer Quelle, in dem zu einem dauernden Zustande, zu einer festhaftenden Eigenschaft gewordenen Mitgefühl, Erbarmen die Wirkung dieses Gefühls in einzelnen Fällen an. Die Barmherzigkeit bewegt uns, mit einem Unglücklichen Erbarmen zu haben, und der Barmherzige kann keinen Leidenden sehen, ohne Erbarmen mit ihm zu haben. Barmherzigkeit verhält sich also zu Erbarmen, wie die Tugend zur Übung derselben. Auch die Ausdrücke Mitleid (vgl. Art. 227), Mitgefühl, Mitschmerz, Mitkummer, Bedauern, Rührung gehören hierher. Mitgefühl ist der allgemeinste Ausdruck und bezeichnet, daß man an dem, was einem andern widerfährt, mit seinem Gefühle lebhaft teilnimmt; vorwiegend wird das Wort dann verwendet, wenn diese Schicksale des Nächsten trauriger Art sind. Mitleid ist die lebendige Teilnahme an dem Leid eines andern, so daß man das Leid mitfühlt und zugleich dadurch zu tätiger Hilfe angespornt wird. Der Begriff der tätigen Hilfe gehört zwar nicht notwendig zum Mitleid] aber der Wunsch zu helfen verbindet sich doch häufig mit dem Mitleid, so daß das Wort dadurch dem Begriffe Barmherzigkeit näher steht als der Ausdruck Mitgefühl, der ohne Rücksicht auf den Wunsch zu helfen lediglich die Teilnahme des Gefühls ausdrückt. Mitschmerz, Mitkummer, Mittrauer, Mitbetrübnis u. ähnl. Ausdrücke deuten die Teilnahme an dem im Grundwort (Schmerz, Kummer, Betrübnis usw.) genannten Seelenzustande eines anderen an und sind also besondere, genauer bestimmte Formen des Mitleids. „Da dachte ich nicht, daß mir ein gleiches Schicksal bevorstehe; aber mein Mitgefühl so wahr und lebhaft, ist noch lebendig. Jetzt kann ich mein Mitleid gegen mich selbst wenden.“ Goethe. Für Mitleid findet sich zuweilen auch die Form das Mitleiden, was zunächst ein wirkliches Miterleiden eines Übels ausdrückte, jetzt aber gewöhnlich nur in der Bedeutung von Mitgefühl, Mitleid gebraucht wird. Bedauern (Gegens. Schadenfreude empfinden; beneiden) drückt lediglich aus, daß einem die unglückliche Lage, der Schmerz, Kummer usw. eines andern Leid verursacht, wie beneiden ausdrückt, daß einem die glückliche Lage eines andern Leid verursacht. Die lebendige Teilnahme des Gefühls, wie beim Mitleid, Mitgefühl, so daß man ganz und gar mit dem andern empfindet und seine Lage gleichsam mit durchlebt, ist in dem Begriffe Bedauern nicht mit enthalten. Ich kann z. B. einen Verbrecher wegen der schlimmen Lage, in die er durch die Bestrafung seines Verbrechens geraten ist, bedauern, ohne Mitleid mit ihm zu haben. Von einem Menschen, der einem Laster ergeben ist und sich weder durch Drohungen noch durch Warnungen davon abbringen läßt, kann man sagen: „Er ist zu bedauern, aber ihm ist nicht zu helfen.“ Bedauern ist also der am wenigsten nachdrückliche und äußerlichste Ausdruck von allen; er wird daher auch bei ganz geringen Unannehmlichkeiten gebraucht, z. B. Ich bedaure, der Einladung nicht folgen zu können. Mit Bedauern habe ich Ihre Absage gelesen usw. Die Wendung: „Mich dauert oder mich jammert einer“, ist zwar noch etwas starker als: ich bedauere jemand“, steht aber sonst mit bedauern auf einer Stufe, indem sie gleichfalls das lebendige Ergriffensein von dem gleichen Leid nicht ausdrückt. „Der Alte jammert einen, aber Mitleid hat man nicht mit ihm.“ Goethe. Sanders führt folgenden Stilfehler aus der Nationalzeitung an: „Die Gefangenen können einem vielleicht Mitleid (sollte heißen: Bedauern), aber nicht Mitgefühl einflößen.“ Rührung bezeichnet überhaupt die sanfte Bewegung und Erregung unseres Innern, einen gemäßigten, man möchte sagen angenehmen Schmerz, der sowohl durch fremdes als durch eigenes Leid herbeigeführt werden kann. Auch eine plötzliche, unerwartete Freude kann eine solche Rührung herbeiführen. „Rührung in seiner strengen Bedeutung bezeichnet die gemischte Empfindung des Leidens und der Lust an dem Leiden. Rührung kann man also nur dann über eigenes Unglück empfinden, wenn der Schmerz über dasselbe gemäßigt genug ist, um der Lust Raum zu lassen, die etwa ein mitleidender Zuschauer dabei empfindet. Der Verlust eines großen Gutes schlägt uns heute zu Boden und unser Schmerz rührt den Zuschauer; in einem Jahre erinnern wir uns dieses Leidens selbst mit Rührung.“ Schiller. „Rührung ist, wenn ich weder die Vollkommenheit und das Unglück des Gegenstandes deutlich denke, sondern von beiden nur einen dunkeln Begriff habe. So rührt mich z. B. der Anblick eines Bettlers.“ Lessing. So könnte man z. B. folgenden Satz bilden: Der hartherzige Mann, der sonst für die Lage der Armen und Notleidenden nicht einmal ein Bedauern hatte, wurde endlich durch die Bitten der hilflosen Frau gerührt, und aus der Rührung erwuchs, nachdem einmal das Eis seines Herzens gebrochen war, ein leises Mitgefühl, das sich allmählich bis zum wärmsten Mitleid steigerte, und zum erstenmal in seinem Leben wurde er dadurch zu tätiger Barmherzigkeit getrieben.