Anmerkung


Es liegt viel daran, die Philosophie nach ihren Teilen genau zu bestimmen und zu dem Ende nicht dasjenige, was nur Folgerung oder Anwendung derselben auf gegebene Fälle ist, ohne besondere Prinzipien zu bedürfen, unter die Glieder der Einteilung derselben, als eines Systems, zu setzen.

Praktische Sätze werden von den theoretischen entweder in Ansehung der Prinzipien oder der Folgerungen unterschieden. Im letztern Falle machen sie nicht einen besondern Teil der Wissenschaft aus, sondern gehören zum theoretischen, als eine besondere Art von Folgerungen aus derselben. Nun ist die Möglichkeit der Dinge nach Naturgesetzen von der nach Gesetzen der Freiheit ihren Prinzipien nach wesentlich unterschieden. Dieser Unterschied besteht aber nicht darin, daß bei der letztern die Ursach in einem Willen gesetzt wird, bei der erstern aber außer demselben, in den Dingen selbst. Denn, wenn doch der Wille keine andern Prinzipien befolgt, als die, von welchen der Verstand einsieht, daß der Gegenstand nach ihnen, als bloßen Naturgesetzen, möglich sei, so mag immer der Satz, der die Möglichkeit des Gegenstandes durch Kausalität der Willkür enthält, ein praktischer Satz heißen, er ist doch, dem Prinzip nach, von den theoretischen Sätzen, die die Natur der Dinge betreffen, gar nicht unterschieden, vielmehr muß er das seine von dieser entlehnen, um die Vorstellung eines Objekts in der Wirklichkeit darzustellen.

Praktische Sätze also, die dem Inhalte nach bloß die Möglichkeit eines vorgestellten Objekts (durch willkürliche Handlung) betreffen, sind nur Anwendungen einer vollständigen theoretischen Erkenntnis und können keinen besondern Teil einer Wissenschaft ausmachen. Eine praktische Geometrie, als abgesonderte Wissenschaft, ist ein Unding: obgleich noch so viel praktische Sätze in dieser reinen Wissenschaft enthalten sind, deren die meisten als Probleme einer besonderen Anweisung zur Auflösung bedürfen. Die Aufgabe: mit einer gegebenen Linie und einem gegebenen rechten Winkel ein Quadrat zu konstruieren, ist ein praktischer Satz, aber reine Folgerung aus der Theorie. Auch kann sich die Feldmeßkunst (agrimensoria) den Namen einer praktischen Geometrie keineswegs anmaßen und ein besonderer Teil der Geometrie überhaupt heißen, sondern gehört in Scholien der letzteren, nämlich den Gebrauch dieser Wissenschaft zu Geschäften.*)

Selbst in einer Wissenschaft der Natur, so fern sie auf empirischen Prinzipien beruht, nämlich der eigentlichen Physik, können die praktischen Vorrichtungen, um verborgene Naturgesetze zu entdecken, unter dem Namen der Experimentalphysik, zu der Benennung einer praktischen Physik (die eben so wohl ein Unding ist), als eines Teils der Naturphilosophie, keinesweges berechtigen. Denn die Prinzipien, wornach wir Versuche anstellen, müssen immer selbst aus der Kenntnis der Natur, mithin aus der Theorie hergenommen werden. Eben das gilt von den praktischen Vorschriften, welche die willkürliche Hervorbringung eines gewissen Gemütszustandes in uns betreffen (z.B. den der Bewegung oder Bezähmung der Einbildungskraft, die Befriedigung oder Schwächung der Neigungen). Es gibt keine praktische Psychologie, als besondern Teil der Philosophie über die menschliche Natur. Denn die Prinzipien der Möglichkeit seines Zustandes, vermittelst der Kunst, müssen von denen der Möglichkeit unserer Bestimmungen aus der Beschaffenheit unserer Natur entlehnt werden und, obgleich jene in praktischen Sätzen bestehen, so machen sie doch keinen praktischen Teil der empirischen Psychologie aus, weil sie keine besondere Prinzipien haben, sondern gehören bloß zu den Scholien derselben.

Überhaupt gehören die praktischen Sätze (sie mögen rein a priori, oder empirisch sein), wenn sie unmittelbar die Möglichkeit eines Objekts durch unsere Willkür aussagen, jederzeit zur Kenntnis der Natur und dem theoretischen Teile der Philosophie. Nur die, welche direkt die Bestimmung einer Handlung, bloß durch die Vorstellung ihrer Form (nach Gesetzen überhaupt), ohne Rücksicht auf die Mittel des dadurch zu bewirkenden Objekts, als notwendig darstellen, können und müssen ihre eigentümliche Prinzipien (in der Idee der Freiheit) haben, und, ob sie gleich auf eben diese Prinzipien den Begriff eines Objekts des Willens (das höchste Gut) gründen, so gehört dieses doch nur indirekt, als Folgerung, zu der praktischen Vorschrift (welche nunmehr sittlich heißt). Auch kann die Möglichkeit desselben durch die Kenntnis der Natur (Theorie) nicht eingesehen werden. Nur jene Sätze gehören also allein zu einem besondern Teile eines Systems der Vernunfterkenntnisse, unter dem Namen der praktischen Philosophie.

Alle übrige Sätze der Ausübung, an welche Wissenschaft sie sich auch immer anschließen mögen, können, wenn man etwa Zweideutigkeit besorgt, statt praktischer technische Sätze heißen. Denn sie gehören zur Kunst, das zu stande zu bringen, wovon man will, daß es sein soll, die, bei einer vollständigen Theorie, jederzeit eine bloße Folgerung und kein für sich bestehender Teil irgend einer Art von Anweisung ist. Auf solche Weise gehören alle Vorschriften der Geschicklichkeit zur Technik **) und mithin zur theoretischen Kenntnis der Natur als Folgerungen derselben. Wir werden uns aber künftig des Ausdrucks der Technik auch bedienen, wo Gegenstände der Natur bisweilen bloß nur so beurteilt werden, als ob ihre Möglichkeit sich auf Kunst gründe, in welchen Fällen die Urteile weder theoretisch noch praktisch (in der zuletzt angeführten Bedeutung) sind, indem sie nichts von der Beschaffenheit des Objekts, noch der Art, es hervorzubringen, bestimmen, sondern wodurch die Natur selbst, aber bloß nach der Analogie mit einer Kunst, und zwar in subjektiver Beziehung auf unser Erkenntnisvermögen nicht in objektiver auf die Gegenstände beurteilt wird. Hier werden wir nun die Urteile selbst zwar nicht technisch, aber doch die Urteilskraft, auf deren Gesetze sie sich gründen, und ihr gemäß auch die Natur, technisch nennen, welche Technik, da sie keine objektiv bestimmende Sätze enthält, auch keinen Teil der doktrinalen Philosophie, sondern nur der Kritik unserer Erkenntnisvermögen ausmacht.

 

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*) Diese reine und eben darum erhabene Wissenschaft scheint sich etwas von ihrer Würde zu vergeben, wenn sie gesteht, daß sie, als Elementargeometrie, obzwar nur zwei, Werkzeuge zur Konstruktion ihrer Begriffe brauche, nämlich den Zirkel und das Lineal, welche Konstruktion sie allein geometrisch, die der höheren Geometrie dagegen mechanisch nennt, weil zu der Konstruktion der Begriffe der letzteren zusammengesetztere Maschinen erfodert werden. Allein man versteht auch unter den ersteren nicht die wirkliche Werkzeuge (circinus et regula), welche niemals mit mathematischer Präzision jene Gestalten geben könnten, sondern sie sollen nur die einfachste Darstellungsarten der Einbildungskraft a priori bedeuten, der kein Instrument es gleichtun kann.

**) Hier ist der Ort, einen Fehler zu verbessern, den ich in der Grundl. zur Met. der Sitten beging. Denn, nachdem ich von den Imperativen der Geschicklichkeit gesagt hatte, daß sie nur bedingterweise und zwar unter der Bedingung bloß möglicher, d.i. problematischer, Zwecke geböten, so nannte ich dergleichen praktische Vorschriften problematische Imperativen, in welchem Ausdruck freilich ein Widerspruch liegt. Ich hätte sie technisch, d.i. Imperativen der Kunst nennen sollen. Die pragmatische, oder Regeln der Klugheit, welche unter der Bedingung eines wirklichen und so gar subjektiv-notwendigen Zweckes gebieten, stehen nun zwar auch unter den technischen (denn was ist Klugheit anders, als Geschicklichkeit, freie Menschen und unter diesen so gar die Naturanlagen und Neigungen in sich selbst, zu seinen Absichten brauchen zu können). Allein daß der Zweck, den wir uns und andern unterlegen, nämlich eigene Glückseligkeit, nicht unter die bloß beliebigen Zwecke gehöret, berechtigt zu einer besondern Benennung dieser technischen Imperativen: weil die Aufgabe nicht bloß, wie bei technischen, die Art der Ausführung eines Zwecks, sondern auch die Bestimmung dessen, was diesen Zweck selbst (die Glückseligkeit) ausmacht, fodert, welches bei allgemeinen technischen Imperativen als bekannt vorausgesetzt werden muß.


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