XII. Einteilung der Kritik der Urteilskraft


Die Einteilung eines Umfanges von Erkenntnissen gewisser Art, um ihn als System vorstellig zu machen, hat ihre nicht gnug eingesehene Wichtigkeit, aber auch ihre eben so oft verkannte Schwierigkeit. Wenn man die Teile zu einem solchen möglichen Ganzen schon als vollständig gegeben ansieht, so geschieht die Einteilung mechanisch, zu Folge einer bloßen Vergleichung und das Ganze wird Aggregat (ungefähr so wie die Städte werden, wenn, ohne Rücksicht auf Polizei, ein Boden, unter sich meldende Anbauer, nach jedes seinen Absichten, eingeteilt wird). Kann und soll man aber die Idee von einem Ganzen nach einem gewissen Prinzip vor der Bestimmung der Teile voraussetzen, so muß die Einteilung szientifisch geschehen, und nur auf diese Art wird das Ganze ein System. Die letztere Forderung findet allemal statt, wo von einem Umfange der Erkenntnis a priori (die mit ihren Prinzipien auf einem besondern gesetzgebenden Vermögen des Subjekts beruht) die Rede ist, denn da ist der Umfang des Gebrauchs dieser Gesetze durch die eigentümliche Beschaffenheit dieses Vermögens, daraus aber auch die Zahl und das Verhältnis der Teile zu einem Ganzen der Erkenntnis, gleichfalls a priori bestimmt. Man kann aber keine gegründete Einteilung machen, ohne zugleich das Ganze selbst zu machen und in allen seinen Teilen, obzwar nur nach der Regel der Kritik, vorher vollständig darzustellen, welches nachher in die systematische Form einer Doktrin (wofern es in Ansehung der Natur dieses Erkenntnisvermögens dergleichen überhaupt geben kann) zu bringen nichts als Ausführlichkeit der Anwendung auf das Besondere und die Eleganz der Präzision damit zu verknüpfen erfordert.

Um nun eine Kritik der Urteilskraft (welches Vermögen gerade ein solches ist, das, obzwar auf Prinzipien a priori gegründet, doch niemals den Stoff zu einer Doktrin abgeben kann) einzuteilen, ist die Unterscheidung zum Grunde zu legen, daß nicht die bestimmende, sondern bloß die reflektierende Urteilskraft eigene Prinzipien a priori habe; daß die erstere nur schematisch, unter Gesetzen eines andern Vermögens (des Verstandes), die zweite aber allein technisch (nach eigenen Gesetzen), verfahre und daß dem letztern Verfahren ein Prinzip der Technik der Natur, mithin der Begriff einer Zweckmäßigkeit, die man an ihr a priori voraussetzen muß, zum Grunde liege, welche zwar nach dem Prinzip der reflektierenden Urteilskraft nur als subjektiv, d.i. beziehungsweise auf dieses Vermögen selbst notwendig von ihm vorausgesetzt wird, aber doch auch den Begriff einer möglichen objektiven Zweckmäßigkeit, d.i. der Gesetzmäßigkeit der Dinge der Natur als Naturzwecke, bei sich führt.

Eine bloß subjektiv beurteilte Zweckmäßigkeit, die sich also auf keinen Begriff gründet, noch, so fern als sie bloß subjektiv beurteilt wird, gründen kann, ist die Beziehung aufs Gefühl der Lust und Unlust, und das Urteil über dieselbe ist ästhetisch (zugleich die einzige mögliche Art, ästhetisch zu urteilen). Weil aber, wenn dieses Gefühl bloß die Sinnenvorstellung des Objekts, d.i. die Empfindung desselben, begleitet, das ästhetische Urteil empirisch ist und zwar eine besondere Rezeptivität, aber keine besondere Urteilskraft erfordert, weil ferner, wenn diese als bestimmend angenommen würde, ein Begriff von Zwecke zum Grunde liegen mußte, die Zweckmäßigkeit also als objektiv nicht ästhetisch, sondern logisch beurteilt werden mußte: so wird unter der ästhetischen Urteilskraft, als einem besondern Vermögen, notwendig keine andere, als die reflektierende Urteilskraft, das Gefühl der Lust (welches mit der Vorstellung der subjektiven Zweckmäßigkeit einerlei ist) nicht als der Empfindung in einer empirischen Vorstellung des Objekts, auch nicht als dem Begriffe desselben, folglich nur als der Reflexion und deren Form (die eigentümliche Handlung der Urteilskraft), wodurch sie von empirischen Anschauungen zu Begriffen überhaupt strebt, anhängend und mit ihr nach einem Prinzip a priori verknüpft, angesehen werden müssen. Es wird also die Ästhetik der reflektierenden Urteilskraft einen Teil der Kritik dieses Vermögens beschäftigen, so wie die Logik eben desselben Vermögens, unter dem Namen der Teleologie, den andern Teil derselben ausmacht. Bei beiden aber wird die Natur selbst als technisch, d.i. als zweckmäßig in ihren Produkten betrachtet, einmal subjektiv, in Absicht auf die bloße Vorstellungsart des Subjekts, in dem zweiten Falle aber als objektiv zweckmäßig in Beziehung auf die Möglichkeit des Gegenstandes selbst. Wir werden in der Folge sehen: daß die Zweckmäßigkeit der Form in der Erscheinung die Schönheit, und das Beurteilungsvermögen derselben der Geschmack sei. Hieraus würde nun zu folgen scheinen, daß die Einteilung der Kritik der Urteilskraft, in die ästhetische und teleologische, bloß die Geschmackslehre und physische Zweckslehre (der Beurteilung der Dinge der Welt als Naturzwecke) in sich fassen müßte.

Allein man kann alle Zweckmäßigkeit, sie mag subjektiv oder objektiv sein, in innere und relative einteilen, davon die erstere in der Vorstellung des Gegenstandes an sich, die zweite bloß im zufälligen Gebrauche derselben gegründet ist. Diesem gemäß kann die Form eines Gegenstandes erstlich schon für sich, d.i. in der bloßen Anschauung ohne Begriffe für die reflektierende Urteilskraft als zweckmäßige wahrgenommen werden, und alsdenn wird die subjektive Zweckmäßigkeit dem Dinge und der Natur selbst beigelegt, zweitens mag das Objekt für die Reflexion bei der Wahrnehmung nicht das mindeste Zweckmäßige zu Bestimmung seiner Form an sich haben, gleichwohl aber kann dessen Vorstellung, auf eine a priori im Subjekte liegende Zweckmäßigkeit, zur Erregung eines Gefühls derselben, (etwa der übersinnlichen Bestimmung der Gemütskräfte des Subjekts) angewandt, ein ästhetisches Urteil gründen, welches sich auch auf ein (zwar nur subjektives) Prinzip a priori bezieht, aber nicht, so wie das erstere, eine Zweckmäßigkeit der Natur in Ansehung des Subjekts, sondern nur einen möglichen zweckmäßigen Gebrauch gewisser sinnlicher Anschauungen ihrer Form nach vermittelst der bloß reflektierenden Urteilskraft. Wenn also das erstere Urteil den Gegenständen der Natur Schönheit beilegt, das zweite aber Erhabenheit und zwar beide bloß durch ästhetische (reflektierende) Urteile, ohne Begriffe vom Objekt, bloß in Rücksicht auf subjektive Zweckmäßigkeit, so würde für das letztere doch keine besondere Technik der Natur vorauszusetzen sein, weil es dabei bloß auf einen zufälligen Gebrauch der Vorstellung, nicht zum Behuf der Erkenntnis des Objekts, sondern eines andern Gefühls, nämlich dem der innern Zweckmäßigkeit in der Anlage der Gemütskräfte, ankommt. Gleichwohl würde das Urteil über das Erhabene in der Natur von der Einteilung der Ästhetik der reflektierenden Urteilskraft nicht auszuschließen sein, weil es auch eine subjektive Zweckmäßigkeit ausdrückt, die nicht auf einem Begriffe vom Objekte beruht.

Mit der objektiven Zweckmäßigkeit der Natur, d.i. der Möglichkeit der Dinge als Naturzwecke, worüber das Urteil nur nach Begriffen von diesen, d.i. nicht ästhetisch (in Beziehung aufs Gefühl der Lust oder Unlust) sondern logisch gefället wird, und teleologisch heißt, ist es eben so bewandt. Die objektive Zweckmäßigkeit wird entweder der inneren Möglichkeit des Objekts, oder der relativen Möglichkeit seiner äußeren Folgen zum Grunde gelegt. Im ersteren Falle betrachtet das teleologische Urteil die Vollkommenheit eines Dinges nach einem Zwecke, der in ihm selbst liegt (da das Mannigfaltige in ihm zueinander sich wechselseitig als Zweck und Mittel verhält), im zweiten geht das teleologische Urteil über ein Naturobjekt nur auf dessen Nützlichkeit, nämlich die Übereinstimmung zu einem Zwecke, der in anderen Dingen liegt.

Diesem gemäß enthält die Kritik der ästhetischen Urteilskraft erstlich die Kritik des Geschmacks (Beurteilungsvermögen des Schönen), zweitens die Kritik des Geistesgefühls, denn so nenne ich vorläufig das Vermögen, an Gegenständen eine Erhabenheit vorzustellen. - Weil die teleologische Urteilskraft ihre Vorstellung von Zweckmäßigkeit nicht vermittelst der Gefühle, sondern durch Begriffe auf den Gegenstand bezieht, so bedarf es zu Unterscheidung der in ihr enthaltenen Vermögen, inneren so wohl als relativen (in beiden Fällen aber objektiver Zweckmäßigkeit) keiner besondern Benennungen; weil sie ihre Reflexion durchgehends auf Vernunft (nicht aufs Gefühl) bezieht.

Noch ist anzumerken: daß es die Technik in der Natur und nicht die der Kausalität der Vorstellungskräfte des Menschen, welche man Kunst (in der eigentlichen Bedeutung des Worts) nennt, sei, in Ansehung deren hier die Zweckmäßigkeit als ein regulativer Begriff der Urteilskraft nachgeforscht wird, und nicht das Prinzip der Kunstschönheit oder einer Kunstvollkommenheit nachgesucht werde, ob man gleich die Natur, wenn man sie als technisch (oder plastisch) betrachtet, wegen einer Analogie, nach welcher ihre Kausalität mit der der Kunst vorgestellt werden muß, in ihrem Verfahren technisch, d.i. gleichsam künstlich nennen darf. Denn es ist um das Prinzip der bloß reflektierenden, nicht der bestimmenden Urteilskraft (dergleichen allen menschlichen Kunstwerken zum Grunde liegt) zu tun, bei der also die Zweckmäßigkeit als unabsichtlich betrachtet werden soll, und die also nur der Natur zukommen kann. Die Beurteilung der Kunstschönheit wird nachher als bloße Folgerung aus denselbigen Prinzipien, welche dem Urteile über Naturschönheit zum Grunde liegen, betrachtet werden müssen.

Die Kritik der reflektierenden Urteilskraft in Ansehung der Natur wird also aus zwei Teilen bestehen, aus der Kritik des ästhetischen und der des teleologischen Beurteilungsvermögens der Dinge der Natur.

Der erste Teil wird zwei Bücher enthalten, davon das erste die Kritik des Geschmacks oder der Beurteilung des Schönen, das zweite die Kritik des Geistesgefühls (in der bloßen Reflexion über einen Gegenstand) oder der Beurteilung des Erhabenen sein wird.

Der zweite Teil enthält eben so wohl zwei Bücher, davon das erste die Beurteilung der Dinge als Naturzwecke in Ansehung ihrer innern Möglichkeit, das andere aber das Urteil über ihre relative Zweckmäßigkeit unter Prinzipien bringen wird.

Jedes dieser Bücher wird in zweien Abschnitten eine Analytik und eine Dialektik des Beurteilungsvermögens enthalten.

Die Analytik wird, in eben so vielen Hauptstücken, erstlich die Exposition und dann die Deduktion des Begriffs einer Zweckmäßigkeit der Natur zu verrichten suchen.


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