VIII. Von der Ästhetik des Beurteilungsvermögens


Der Ausdruck einer ästhetischen Vorstellungsart ist ganz unzweideutig, wenn darunter die Beziehung der Vorstellung auf einen Gegenstand, als Erscheinung, zur Erkenntnis desselben verstanden wird; denn alsdenn bedeutet der Ausdruck des Ästhetischen, daß einer solchen Vorstellung die Form der Sinnlichkeit (wie das Subjekt affiziert wird) notwendig anhänge und diese daher unvermeidlich auf das Objekt (aber nur als Phänomen) übertragen werde. Daher konnte es eine transzendentale Ästhetik als zum Erkenntnisvermögen gehörige Wissenschaft geben. Seit geraumer Zeit aber ist es Gewohnheit geworden, eine Vorstellungsart ästhetisch, d.i. sinnlich, auch in der Bedeutung zu heißen, daß darunter die Beziehung einer Vorstellung nicht aufs Erkenntnisvermögen, sondern aufs Gefühl der Lust und Unlust gemeinet wird. Ob wir nun gleich dieses Gefühl (dieser Benennung gemäß) auch einen Sinn (Modifikation unseres Zustandes) zu nennen pflegen, weil uns ein anderer Ausdruck mangelt, so ist er doch kein objektiver Sinn, dessen Bestimmung zum Erkenntnis eines Gegenstandes gebraucht würde (denn etwas mit Lust anschauen, oder sonst erkennen, ist nicht bloße Beziehung der Vorstellung auf das Objekt, sondern eine Empfänglichkeit des Subjekts), sondern der gar nichts zum Erkenntnisse der Gegenstände beiträgt. Eben darum, weil alle Bestimmungen des Gefühls bloß von subjektiver Bedeutung sind, so kann es nicht eine Ästhetik des Gefühls als Wissenschaft geben, etwa wie es eine Ästhetik des Erkenntnisvermögens gibt. Es bleibt also immer eine unvermeidliche Zweideutigkeit in dem Ausdrucke einer ästhetischen Vorstellungsart, wenn man darunter bald diejenige versteht, welche das Gefühl der Lust und Unlust erregt, bald diejenige, welche bloß das Erkenntnisvermögen angeht, sofern darin sinnliche Anschauung angetroffen wird, die uns die Gegenstände nur als Erscheinungen erkennen läßt.

Diese Zweideutigkeit kann indessen doch gehoben werden, wenn man den Ausdruck ästhetisch, weder von der Anschauung, noch weniger aber von Vorstellungen des Verstandes, sondern allein von den Handlungen der Urteilskraft braucht. Ein ästhetisch Urteil, wenn man es zur objektiven Bestimmung brauchen wollte, würde so auffallend widersprechend sein, daß man bei diesem Ausdruck wider Mißdeutung genug gesichert ist. Denn Anschauungen können zwar sinnlich sein, aber Urteilen gehört schlechterdings nur dem Verstande (in weiterer Bedeutung genommen) zu, und ästhetisch oder sinnlich urteilen, so fern dieses Erkenntnis eines Gegenstandes sein soll, ist selbst alsdann ein Widerspruch, wenn Sinnlichkeit sich in das Geschäft des Verstandes einmengt und (durch ein vitium subreptionis) dem Verstande eine falsche Richtung gibt; das objektive Urteil wird vielmehr immer nur durch den Verstand gefällt, und kann sofern nicht ästhetisch heißen. Daher hat unsere transzendentale Ästhetik des Erkenntnisvermögens wohl von sinnlichen Anschauungen, aber nirgend von ästhetischen Urteilen reden können, weil, da sie es nur mit Erkenntnisurteilen, die das Objekt bestimmen, zu tun hat, ihre Urteile insgesamt logisch sein müssen. Durch die Benennung eines ästhetischen Urteils über ein Objekt wird also so fort angezeigt, daß eine gegebene Vorstellung zwar auf ein Objekt bezogen, in dem Urteile aber nicht die Bestimmung des Objekts, sondern des Subjekts und seines Gefühls verstanden werde. Denn in der Urteilskraft werden Verstand und Einbildungskraft im Verhältnisse gegen einander betrachtet, und dieses kann zwar erstlich objektiv, als zum Erkenntnis gehörig, in Betracht gezogen werden (wie in dem transzendentalen Schematism der Urteilskraft geschah); aber man kann eben dieses Verhältnis zweier Erkenntnisvermögen doch auch bloß subjektiv betrachten, so fern eins das andere in eben derselben Vorstellung befördert oder hindert und dadurch den Gemütszustand affiziert und also ein Verhältnis, welches empfindbar ist (ein Fall, der bei dem abgesonderten Gebrauch keines andern Erkenntnisvermögens statt findet). Obgleich nun diese Empfindung keine sinnliche Vorstellung eines Objekts ist, so kann sie doch, da sie subjektiv mit der Versinnlichung der Verstandesbegriffe durch die Urteilskraft verbunden ist, als sinnliche Vorstellung des Zustandes des Subjekts, das durch einen Actus jenes Vermögens affiziert wird, der Sinnlichkeit beigezählt und ein Urteil ästhetisch, d.i. sinnlich (der subjektiven Wirkung, nicht dem Bestimmungsgrunde nach) genannt werden, obgleich Urteilen (nämlich objektiv) eine Handlung des Verstandes (als Obern Erkenntnisvermögens überhaupt) und nicht der Sinnlichkeit ist.

Ein jedes bestimmende Urteil ist logisch, weil das Prädikat desselben ein gegebener objektiver Begriff ist. Ein bloß reflektierendes Urteil aber über einen gegebenen einzelnen Gegenstand kann ästhetisch sein, wenn (ehe noch auf die Vergleichung desselben mit andren gesehen wird) die Urteilskraft, die keinen Begriff für die gegebene Anschauung bereit hat, die Einbildungskraft (bloß in der Auffassung desselben) mit dem Verstande (in Darstellung eines Begriffs überhaupt) zusammenhält und ein Verhältnis beider Erkenntnisvermögen wahrnimmt, welches die subjektive bloß empfindbare Bedingung des objektiven Gebrauchs der Urteilskraft (nämlich die Zusammenstimmung jener beiden Vermögen unter einander) überhaupt ausmacht. Es ist aber auch ein ästhetisches Sinnenurteil möglich, wenn nämlich das Prädikat des Urteils gar kein Begriff von einem Objekt sein kann, indem es gar nicht zum Erkenntnisvermögen gehört, z.B. der Wein ist angenehm, da denn das Prädikat die Beziehung einer Vorstellung unmittelbar auf das Gefühl der Lust und nicht aufs Erkenntnisvermögen ausdruckt.

Ein ästhetisches Urteil im allgemeinen kann also für dasjenige Urteil erklärt werden, dessen Prädikat niemals Erkenntnis (Begriff von einem Objekte) sein kann (ob es gleich die subjektive Bedingungen zu einem Erkenntnis überhaupt enthalten mag). In einem solchen Urteile ist der Bestimmungsgrund Empfindung, Nun ist aber nur eine einzige so genannte Empfindung, die niemals Begriff von einem Objekte werden kann, und diese ist das Gefühl der Lust und Unlust. Diese ist bloß subjektiv, da hingegen alle übrigen Empfindung zu Erkenntnis gebraucht werden kann. Also ist ein ästhetisches Urteil dasjenige, dessen Bestimmungsgrund in einer Empfindung liegt, die mit dem Gefühle der Lust und Unlust unmittelbar verbunden ist. Im ästhetischen Sinnes-Urteile ist es diejenige Empfindung, welche von der empirischen Anschauung des Gegenstandes unmittelbar hervorgebracht wird, im ästhetischen Reflexionsurteile aber die, welche das harmonische Spiel der beiden Erkenntnisvermögen der Urteilskraft, Einbildungskraft und Verstand im Subjekte bewirkt, indem in der gegebenen Vorstellung das Auffassungsvermögen der einen und das Darstellungsvermögen der andern einander wechselseitig beförderlich sind, welches Verhältnis in solchem Falle durch diese bloße Form eine Empfindung bewirkt, welche der Bestimmungsgrund eines Urteils ist, das darum ästhetisch heißt und als subjektive Zweckmäßigkeit (ohne Begriff) mit dem Gefühle der Lust verbunden ist.

Das ästhetische Sinnesurteil enthält materiale, das ästhetische Reflexionsurteil aber formale Zweckmäßigkeit. Aber, da das erstere sich gar nicht aufs Erkenntnisvermögen bezieht, sondern unmittelbar durch den Sinn aufs Gefühl der Lust, so ist nur das letztere als auf eigentümlichen Prinzipien der Urteilskraft gegründet anzusehen. Wenn nämlich die Reflexion über eine gegebene Vorstellung vor dem Gefühle der Lust (als Bestimmungsgrunde des Urteils) vorhergeht, so wird die subjektive Zweckmäßigkeit gedacht, ehe sie in ihrer Wirkung empfunden wird, und das ästhetische Urteil gehört so fern, nämlich seinen Prinzipien nach, zum obern Erkenntnisvermögen und zwar zur Urteilskraft, unter deren subjektive und doch dabei allgemeine Bedingungen die Vorstellung des Gegenstandes subsumiert wird. Dieweil aber eine bloß subjektive Bedingung eines Urteils keinen bestimmten Begriff von dem Bestimmungsgrunde desselben verstattet, so kann dieser nur im Gefühle der Lust gegeben werden, so doch, daß das ästhetische Urteil immer ein Reflexionsurteil ist: da hingegen ein solches, welches keine Vergleichung der Vorstellung mit den Erkenntnisvermögen, die in der Urteilskraft vereinigt wirken, voraussetzt, ein ästhetisches Sinnenurteil ist, das eine gegebene Vorstellung auch (aber nicht vermittelst der Urteilskraft und ihrem Prinzip) aufs Gefühl der Lust bezieht. Das Merkmal, über diese Verschiedenheit zu entscheiden, kann allererst in der Abhandlung selbst angegeben werden und besteht in dem Anspruche des Urteils auf allgemeine Gültigkeit und Notwendigkeit; denn wenn das ästhetische Urteil dergleichen bei sich führt, so macht es auch Anspruch darauf, daß sein Bestimmungsgrund nicht bloß im Gefühle der Lust und Unlust für sich allein, sondern zugleich in einer Regel der oberen Erkenntnisvermögen, und namentlich hier in der der Urteilskraft, liegen müsse, die also in Ansehung der Bedingungen der Reflexion a priori gesetzgebend ist und Autonomie beweiset; diese Autonomie aber ist nicht (so wie die des Verstandes, in Ansehung der theoretischen Gesetze der Natur, oder der Vernunft, in praktischen Gesetzen der Freiheit) objektiv, d.i. durch Begriffe von Dingen oder möglichen Handlungen, sondern bloß subjektiv, für das Urteil aus Gefühl gültig, welches, wenn es auf Allgemeingültigkeit Anspruch machen kann, seinen auf Prinzipien a priori gegründeten Ursprung beweiset. Diese Gesetzgebung müßte man eigentlich Heautonomie nennen, da die Urteilskraft nicht der Natur, noch der Freiheit, sondern lediglich ihr selbst das Gesetz gibt und kein Vermögen ist, Begriffe von Objekten hervorzubringen, sondern nur mit denen, die ihr anderweitig gegeben sind, vorkommende Fälle zu vergleichen und die subjektive Bedingungen der Möglichkeit dieser Verbindung a priori anzugeben.

Eben daraus läßt sich auch verstehen, warum sie in einer Handlung, die sie für sich selbst (ohne zum Grunde gelegten Begriff von Objekte), als bloß reflektierende Urteilskraft, ausübt, statt einer Beziehung der gegebenen Vorstellung auf ihre eigene Regel mit Bewußtsein derselben, die Reflexion unmittelbar nur auf Empfindung, die, wie alle Empfindungen, jederzeit mit Lust oder Unlust begleitet ist, bezieht (welches von keinem andern obern Erkenntnisvermögen geschieht); weil nämlich die Regel selbst nur subjektiv ist und die Übereinstimmung mit derselben nur an dem, was gleichfalls bloß Beziehung aufs Subjekt ausdrückt, nämlich Empfindung, als dem Merkmale und Bestimmungsgrunde des Urteils, erkannt werden kann; daher es auch ästhetisch heißt, und mithin alle unsere Urteile, nach der Ordnung der obern Erkenntnisvermögen, in theoretische, ästhetische und praktische eingeteilt werden können, wo unter den ästhetischen nur die Reflexionsurteile verstanden werden, welche sich allein auf ein Prinzip der Urteilskraft, als obern Erkenntnisvermögens, beziehen, da hingegen die ästhetische Sinnenurteile es nur mit dem Verhältnis der Vorstellungen zum innern Sinne, so fern derselbe Gefühl ist, unmittelbar zu tun haben.


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