Erklärung


Zu Herrn Herwarth Walden, den wir durch unsere Mitarbeiterschaft zu wiederholten Malen in den Augen der Halbkultivierten kompromittiert haben, kommen zwei Kaufleute und fordern ihn auf, die Chefredaktion einer dem französischen 'Le Théâtre' nachgebildeten Zeitschrift zu übernehmen. Herr Walden setzt den Herren auseinander, dass er sich zu einer derartigen illustrierten Zeitschrift nur dann verstehen könne, wenn sie in einer streng künstlerischen und durchaus vornehmen Form gehalten sei, legt ihnen zahlreiche Nummern der früher von ihm geleiteten Zeitschriften vor, deren Ton und Inhalt die Herren als für die neue Zeitschrift maßgebend anerkennen. Zum Überfluß macht Herr Walden die Herren mit dem skandalösen Benehmen bekannt, das die Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger seiner streng künstlerischen Haltung wegen ihm gegenüber an den Tag gelegt hat. So auf das Genaueste informiert, engagieren die beiden Kaufleute Herrn Herwarth Walden auf mehrere Jahre unkündbar als Chefredakteur. Darauf versieht er die Herren, die zunächst nicht viel mehr wußten, als dass sie eine Theaterzeitschrift haben wollten, mit Ideen und Anregungen. Die neue Zeitschrift, die auf Herrn Waldens Vorschlag den Titel 'Das Theater' erhält, erscheint vom 1. September 1909 ab als Halbmonatsschrift, findet im In- und Ausland eine große Verbreitung und genießt den Beifall der maßgebenden künstlerischen Kreise.

Aber schon am ersten Tage stellt sich heraus, dass die Herren Kaufleute Neigung haben, sich nach bekanntem Muster, jedoch mit vermehrtem Eifer, in die redaktionellen Angelegenheiten einzumischen. Sie erlauben sich Kritiken über unsere Mitarbeiterschaft und geben immer deutlicher zu verstehen, dass sie die Zeitschrift im Geschmack eines Familienblattes gehalten wünschen. Sie gebärden sich ganz so wie Leute, die es nicht länger erwarten können, dass die Redaktion Bilder gegen Bezahlung veröffentlicht und die Nennung von Konfektionsfirmen gegen pekuniäre Leistung einführt, was ja schließlich vom Standpunkt der Kaufleute einen reellen Handel und keine Korruption bedeutet. Schließlich gehen die Herren soweit, dass sie ihren Redakteur anweisen, er möge seine Mitarbeiter zu einem dem Fassungsvermögen der Verleger angepaßten Stil anhalten. Als sich Herr Walden auch in diesem Falle gänzlich abgeneigt zeigt, entschließen sich die Kaufleute, die inzwischen in Berlin — die Herren waren fremd am Platze — Fühlung mit den verständnisvollen und gefügigen Literaten bekommen haben, eben jenen Kontraktbruch zu begehen, den die Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger ihnen so schön vorgemacht hat, und entlassen den unbequemen Redakteur. Sie entlassen ihn, nicht ohne ihm vorher einen Artikel zensuriert und dafür seinen Herausgebernamen mit einer Schneiderreklame und ähnlichen Beiträgen in Verbindung gebracht zu haben. Der Fall ist eine autorrechtliche Novität; aber sie wußten bereits, dass sie dabei des Beifalls und des »Ahas« aller jener gewiß sein würden, denen wir Mitarbeiter von jeher fatal waren. Wir stellen in diesem Ereignis die Logik der Zeitläufte fest. Es kann garnicht anders sein, als dass Konfektionäre sich in die Angelegenheiten der Kunst und Literatur einmischen. Und wenn diese Herren, die einen Redakteur mit einem Kommis verwechseln, weil sie geistige Stoffe nicht mit der Elle messen können, von uns verlangen, wir möchten so schreiben, dass wir sogar ihnen verständlich sind, so wollen wir uns wenigstens einmal so ausdrücken, dass sie nicht im Zweifel über das sind, was wir meinen. Wir sagen also: Auf diesen Abschluß brauchen sich die Herren Kaufleute nichts einzubilden. Er ist unlauterer Wettbewerb mit Herrn Nissen. Aber auch auf die Zufriedenheit der Kundschaft, die wir bekämpft haben und weiter bekämpfen werden, brauchen sie sich nichts zu gute zu tun. Solche Spässe werden wir noch öfter erleben, und dabei die notwendige, wenn auch lästige Bekanntschaft einer Sorte von Menschen machen, die glauben, sie könnten uns dazu benutzen, für den schlechtesten Teil des Publikums Pofelware zu liefern. Auf den Kontraktbruch dieser Prinzipale, die vor jedem Schmock und Rekordlibrettisten zittern, waren wir von der ersten Nummer an gefaßt. Ein Dutzend in Freiheit redigierter Nummern — wenn das der biedere Nissen erlebt hätte, — der nur bis drei zählen konnte!

Dr. Rudolf Blümner, Dr. Alfred Döblin, Dr. S. Friedlaender, Ferdinand Hardekopf, Dr. Siegmund Kalischer, Rudolf Kurtz, Else Lasker-Schüler, Ludwig Rubiner, René Schickele, Mario Spiro, Felix Stössinger.

Dieser Erklärung habe ich bloß eine Aufklärung beizufügen. Wenn nicht alle Anzeichen trügen, ist jetzt in Deutschland die Überwachungswut ausgebrochen. Dem Redakteur der Bühnengenossenschaftszeitung war und ist ein Mime als »Überwacher« zur Seite gestellt, und da und dort erklären sich auch die Vertreter der anderen intelligenten Berufe bereit, die Überwachung der unbotmäßigen Schriftsteller zu übernehmen. Es gibt — bei dem gleichzeitigen Anwachsen der Zeitschriftenindustrie — kaum einen Zigarrenhändler mehr, der nicht daheim seinen Redakteur im Kotter hätte, und namentlich haben sie es auf die Lyrik abgesehen, soweit sie nicht sachlichen Beweggründen entspringt, nicht den Zwecken der Gemeinverständlichkeit zustrebt und überhaupt über das erweislich Wahre hinausgeht. Mit einem Wort, ihr Verständnis für Kunst reicht so weit, dass ihnen das »ich weiß nicht, was soll es bedeuten« eben noch als lyrischer Gedanke einleuchtet, aber sonst nur die Lage bezeichnet, in der sie sich gegenüber der Lyrik befinden. Nun habe ich nie ein Hehl daraus gemacht, dass ich die Weltanschauung des Kofmich, wenn sie uns Automobile baut, für akzeptabel halte, weil wir ihr dann umso prompter entfliehen können. Aber wenn es ihren Einbruch in das Geistesleben, wie er sich im neuen Deutschland donnerwetter-tadellos vollzieht, abzuwehren gilt, so tue ich mit. Ich habe mich jetzt während eines längeren Aufenthaltes in Berlin davon überzeugt, dass die Zustände düster sind, dass sogar die Plakatierungsinstitute sich eine Zensur der Autoren anmaßen und dass allenthalben in der Bürgerschaft das Streben vorwaltet, der Polizei den geistigen Teil ihrer Arbeit abzunehmen. Wurde einst irgendwo in Deutschland ein Redakteur in Ketten über die Straße geführt, so läßt man jetzt keinen Künstler ohne Überwacher ausgehen. Nun wird die 'Fackel' bekanntlich von einem Manne redigiert, der keinen Zigarrenfritzen fragen muß, ehe er ein Gedicht von Else Lasker-Schüler zum Druck befördert. Sie ist deshalb wie keine andere Zeitschrift in der Lage, die Überwachung der Überwacher zu übernehmen. In Österreich, wo die Straßen in schlechtem Zustand sind, vernachlässige ich seit langem meine Pflicht, indem ich philosophische Anwandlungen bekomme. Für Deutschland bin ich noch straßenkehrerischer Anwandlungen fähig. Ich kann nicht leugnen, dass ich seit einiger Zeit bedenklich über die Grenze schiele. Solche Irridenta wäre meinen Landsleuten bequem, und ich werde sie eben darum nicht im Stiche lassen. Wenn aber den Berliner Literaturkaufleuten mein Übertritt unbequem sein sollte, dann kann ich sie nur ersuchen, alles zu unterlassen, was mich anregen könnte. Während mich in Wien oft die stärkste Korruption nicht mehr aufpulvern kann, wirkt in Deutschland die kleinste Reklamenotiz, mit der man einem Redakteur in sein geistiges Gebiet gepfuscht hat, auf mich wie ein Lebenselixier. Man muß also in der Dosis vorsichtig sein. Namentlich jene Wiener Herren, die ihren Charaktermangel bereits dem Berliner Betrieb angepaßt und ihre Tantiemenpolitik mit allem Komfort der Neuzeit ausgestattet haben, möchte ich nicht in der Hoffnung lassen, dass mich das Gefühl der Landsmannschaft und die Freude des Wiedersehens völlig übermannen und daran hindern werde, in der neuen Aufmachung den alten Dreck zu erkennen. Und nun, nachdem ich so die einen auf meine Schwächen aufmerksam gemacht, die andern an sie erinnert habe, hoffe ich, dass sich ein gedeihliches Zusammenarbeiten erzielen lassen wird.

Karl Kraus.

 

 

Nr. 294/295, XI. Jahr

31. Januar 1910.


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