Ehepläne?
- Kant über Ehe und Frauen


Zur Begründung eines eigenen Hausstandes ist er freilich auch jetzt nicht gekommen. Manche seiner Bekannten erwarteten es nun. Hippel schreibt in einem undatierten Brief, der aber in den März 1770 fallen muß: "Langhans ist tot und M. Kant kommt als Ordinarius Prof. Matheseos an seine Stelle. Eine schriftliche Versicherung wenigstens von Min. Fürst hat er in seinen Händen. Ich bin keine Minute sicher, dass er sich nicht als Bräutigam bei mir ansagen läßt; denn man sagt, dass er nicht völlig abgeneigt sei, diesen unphilosophischen Schritt zu wagen." Und so wäre es denn an dieser Stelle am Platze, von seinen Ehegedanken zu reden; denn wenn sie vorhanden waren, müssen sie spätestens in diese Zeit, die erste Hälfte der 70er Jahre, gefallen sein. Sein Jugendfreund Heilsberg berichtete darüber nach Kants Tod an Professor Wald: "Soviel ich weiß, verriet er zweimal in seinem Leben eine ernsthafte Absicht zum Heiraten, einmal traf der Gedanke eine gut gezogene, sanfte und schöne auswärtige Witwe, die hier Anverwandte besuchte. Er leugnete nicht, dass es eine Frau wäre, mit der er gern leben würde, berechnete Einnahme und Ausgabe, und schob die Entschließung einen Tag nach dem andern auf. Die schöne Witwe besuchte auch Freunde im Oberlande und ward daselbst anderweitig verheiratet. Das zweitemal rührte ihn ein hübsches westfälisches Mädchen, welche von einer adligen Dame, die Besitzungen in Preußen hatte, als Reisegesellschafterin mitgebracht war; Kant war mit dieser artigen, zugleich häuslich erzogenen Person gerne in Gesellschaft; und ließ sichs oft merken, säumte aber wieder so sehr mit seinen Anträgen, dass er sich vornahm, einen Besuch bei ihr abzustatten, da sie mit ihrer Gebieterin sich schon an der westfälischen Grenze befand. Von der Zeit ab wurde nicht mehr an Heiraten gedacht." Noch bestimmter sagt Borowski: "Mir sind zwei seiner ganz würdige Frauenzimmer (wem kann an den Namen etwas gelegen sein!) bekannt, die nacheinander sein Herz und seine Neigung an sich zogen. Aber freilich war er da nicht mehr im Jünglingsalter, wo man sich schnell bestimmt und rasch wählt. Er verfuhr zu bedächtlich, zögerte mit dem Antrage, der wohl nicht abgewiesen worden wäre, und — darüber zog eine von diesen in eine entferntere Gegend, und die andere gab einem rechtschaffenen Manne sich hin, der schneller als Kant im Entschließen und Zusagefordern war."*)

Das ist alles, was wir außer dem schon in Kapitel 3 Berührten an einigermaßen Zuverlässigem über Kants Ehepläne erfahren. Sein mehrjähriger früherer Zuhörer R. B. Jachmann, dem Kant bei dessen letzten Anwesenheit in Königsberg "die wichtigsten Umstände aus seiner Lebensgeschichte" mitzuteilen versprochen hatte, hat vergebens mehr aus ihm herauszulocken gesucht, indem er unter den 56 Fragen, auf die er Auskunft erbat (Beilage zu seinem Brief an Kant vom 16. August 1800), auch drei ziemlich indiskrete über seine Beziehungen zum weiblichen Geschlecht stellte: "33. Hat nicht ein Frauenzimmer das Glück gehabt, ausschließlich Liebe und Achtung auf sich zu ziehen? 34. Welche Frauenzimmer sind überhaupt zur Bildung in geselligen Eigenschaften beförderlich gewesen? 50. Was hat zum ehelosen Stand bestimmt, und ist nie der Wille gewesen, sich zu ver-heuraten?" Ging es überhaupt schon gegen Kants Natur, über solche intime, ihn selbst angehende Dinge sich zu äußern, so hatte der 76 jährige gewiß erst recht keine Neigung dazu. Und so muß sich Jachmann in seiner Biographie von 1804 mit bloßen Mutmaßungen begnügen. "Dass Kant in seiner Jugend geliebt habe, das möchte ich nach seinem Temperamente und nach seinem gefühlvollen Herzen beinahe mit völliger Gewißheit zu behaupten wagen. ... Ob aber seine erste Liebe sich keiner Gegenliebe zu erfreuen hatte, oder ob seine körperliche Beschaffenheit und sein entschiedener Hang nach metaphysischen Spekulationen und wissenschaftlichen Beschäftigungen ihm anrieten, der Ehe zu entsagen, dies muß ich unentschieden lassen" (S. 92!). Zu den beiden letzten von Jachmann angeführten Gründen, der schwachen Körperkonstitution und dem übermächtigen Hang zur Philosophie, kam sicher der in beiden oben erzählten Fällen deutlich in den Vordergrund tretende ökonomische Gesichtspunkt, den Kant in seinen späteren Jahren auch jüngeren Freunden, denen er gelegentlich selbst zur Ehe riet, zu beachten empfahl; denn Wohlhabenheit halte länger vor als Schönheit und Reiz. "Da ich eine Frau brauchen konnte," soll er als 75 jähriger einem durchreisenden Besucher scherzend gesagt haben, "konnt' ich keine ernähren; und da ich eine ernähren konnte, konnt' ich keine mehr brauchen." Abneigung gegen das Institut der Ehe an sich, das er vielmehr sehr hochachtete, hat ihn sicher nicht abgehalten. Gewiß klingt die in § 24 seiner 'Rechtslehre' (1797) gegebene Definition der Ehe als der "Verbindung zweier Personen verschiedenen Geschlechts zum lebenswierigen wechselseitigen Besitz ihrer Geschlechtseigenschaften" fast abschreckend roh. Aber das ist eine dem "Titel: Eherecht" entnommene juristische Begriffsbestimmung, die dazu womöglich irgendeinem ledernen Kompendium der Zeit entlehnt sein kann. Jedenfalls ist demgegenüber auf die geradezu ideale Auffassung der Ehe hinzuweisen, die sich im dritten Abschnitt der 'Beobachtungen' (1764) findet. Hier heißt es: "In dem ehelichen Leben soll das vereinigte Paar gleichsam eine einzige moralische Person ausmachen, welche durch den Verstand des Mannes und den Geschmack der Frau belebt und regiert wird." Wenn im ehelichen Verhältnis bereits "vom Recht des Befehlshabers die Rede ist", so sei die Sache schon verdorben; denn, "wo die ganze Verbindung eigentlich nur auf Neigung errichtet ist, da ist sie schon halb zerrissen, sobald das Sollen anfängt, sich hören zu lassen". Beide Geschlechter sollen einander vielmehr ergänzen: der Mann soll mehr auf "Erfahrung gegründete Einsicht", die Frau "mehr Freiheit und Richtigkeit in der Empfindung" hinzubringen. In "der Blüte der Jahre", meint er allerdings dort, solle die "ganze Vollkommenheit" des schönen Geschlechts in der "schönen Einfalt" und einem "verfeinerten Gefühl" an allem Edlen und Reizenden bestehen; wenn aber die äußeren Reize nachlassen, könnten die Musen an Stelle der Grazien treten und der Ehemann der "erste Lehrmeister" sein. Kants Mißerfolge sind zu bedauern. Er wäre sicher ein ganz guter Ehemann geworden.

Wenn er später — besonders in seiner Anthropologie und den Notizen für diese Vorlesung — sich über manche Hausfraueneigenschaften wie Herrschsucht, Schwatzhaftigkeit, Ausschelten des Gesindes, Gefallsucht u. n. a. mokiert, so sind das halb scherzhafte Äußerungen des alten Junggesellen. Seine sittliche und ästhetische Hochschätzung des weiblichen Elements hat ihn bis in seine höchsten Altersjahre (B. IV, Kap. 7) nicht verlassen; wenn auch Äußerungen wie: "eine Gesellschaft ohne Frauenzimmer ist nicht komplett" oder "der Umgang mit wohlgesitteten Frauenzimmern poliert" zu Goethes bekanntem Spruch im Tasso sich wie nüchternste Prosa zu reinster Poesie verhalten. Von gelehrten oder gar politischen Frauen wollte er allerdings nicht viel wissen; für den einzig wahren Beruf des Weibes hielt er vielmehr den der Hausfrau und unterhielt sich deshalb mit den Damen seiner Bekanntschaft gern über Mode und Kochkunst, von der auch er etwas verstand.

 

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*) Eine sehr hübsche novellistische Einkleidung der ganzen Sache bringt Schricker: 'Aus Immanuel Kants Leben' in 'Kunst und Leben'. Ein neuer Almanach für das deutsche Haus. Stuttg., W. Spemann (1881). S. 231—262.


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Seite zuletzt aktualisiert: 30.12.2006 
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