Martin Knutzen


Und nun hatte er das Glück, gleich am Beginn seiner Universitätsstudien einen Lehrer zu finden, der ihm eben auf diesen Gebieten die wertvollsten Anregungen zu geben vermochte, und der auch persönliches Interesse für ihn gewann. Es war der von uns absichtlich bisher noch nicht genannte, seit sieben Jahren an der Königsberger Akademie wirkende außerordentliche Professor für Logik und Metaphysik Martin Knutzen. Allerdings verband auch er, gleich F. A. Schultz, mit seinem Leibniz-Wolffschen Standpunkt in der Philosophie starke theologische, ja pietistische Neigungen. Allein er zeigte dabei doch eine gewisse Selbständigkeit und größere Tiefe als die meisten Durchschnittswolffianer, war von manchen erfahrungsmäßigen Gedankengängen bewegt und bestritt die materialistischen Gegner wenigstens mit beachtenswerten Gründen. Vor allem aber: jung wie er war — er zählte nur ein Jahrzehnt mehr als Kant und hatte seine Professur schon mit 21 Jahren erlangt —, war er für die zahlreichen zu seinen Füßen sitzenden jugendlichen Hörer ein anregender Lehrer, der, wie später sein großer Schüler, Selbstdenker, nicht "Nachbeter", aus ihnen zu machen suchte. Die Klarheit der Darstellung, sowie die Schärfe und Gewandtheit der Gliederung, wie sie sich z. B. in seinem logischen Lehrbuch zeigt, muß in seinem mündlichen Vortrag erst recht zum Ausdruck gekommen sein. Der fleißige Gelehrte, der, durch allzu starke geistige Anstrengung vor der Zeit aufgebraucht, bereits mit 37 Jahren starb, hielt Vorlesungen über alle Zweige der Philosophie und verwandter Gebiete. Wenn der junge Kant, wie sein Biograph Borowski erzählt, Knutzens "Unterricht in Philosophie und Mathematik unausgesetzt beiwohnte", so fand er eine reiche Tafel besetzt. Er konnte von philosophischen Fächern bei ihm hören: Allgemeine Philosophie, Logik, praktische Philosophie (Moral), Naturrecht, Psychologie, Naturphilosophie, Lehre von den Irrtümern; von mathematischen: niedere und höhere Mathematik, Analysis des Unendlichen, Astronomie; außerdem sich an der von Knutzen begründeten "Physiko-theologischen Gesellschaft" und an dessen Disputierübungen beteiligen. Wohl in diesen oder in den nach der Königsberger Studienordnung von ihm abzuhaltenden "Prüfungs"-Collegien, in denen die Professoren ihre Zuhörer näher kennenlernen und ihren "Fleiß und Attention", wie ihre Auffassungskraft prüfen sollten, war Knutzen, "ein weiser Prüfer der Köpfe" (Borowski), auf die hervorragende Begabung des jungen Studenten aufmerksam geworden und zog ihn in vertrauteren Verkehr. Er lieh ihm aus seiner reichlich versehenen Bücherei vor allem Newtons Werke und, da Kant Geschmack daran fand, auch alle anderen Bücher, die dieser begehrte.

Dadurch ging dem jungen Studenten eine ganz neue Welt auf. Er brauchte jetzt kaum mehr weitere akademische Vorlesungen zu besuchen, die ihm doch nichts mehr geben konnten. In welchem Jahr er damit aufgehört hat, wissen wir freilich bei dem Mangel aller genaueren Nachrichten nicht. Aber schwerlich wird er die ganzen 6 bis 7 Jahre hindurch, die er als "Studiosus" in seiner Vaterstadt zubrachte, beständig Vorlesungen gehört haben, zumal da ein großer Teil derselben sich jährlich, mindestens aber alle zwei Jahre wiederholte. Vielmehr ist zu vermuten, dass er seit etwa 1744/45, wo er mit den Vorarbeiten zu seiner 1746 eingereichten Erstlingsschrift begann, keine oder doch nur ganz vereinzelte Kollegien mehr gehört hat. Nach Kraus, der als langjähriger wissenschaftlicher Vertrauter Kants ein guter Zeuge ist, hätte das Erscheinen des Kometen von 1744, über den Knutzen in demselben Jahre eine Schrift herausgab, in dem 20 jährigen die erste Idee zu seiner berühmten "Naturgeschichte des Himmels" (1755) geweckt; indes läßt sich ein bestimmter Einfluß der übrigens mehr philosophisch-spekulativen als exakt-naturwissenschaftlichen Knutzenschen Schrift nicht nachweisen, überhaupt wuchs der Schüler allmählich wohl über den Lehrer hinaus. Denn wenn ihm auch das Andenken an den verehrten Mann, der ihn zuerst in Philosophie, Mathematik und Naturwissenschaft tiefer eingeführt, immer "heilig" blieb, so ist doch auffallend, dass er in keiner seiner sämtlichen späteren Schriften ihn mit Namen genannt hat; nicht einmal in derjenigen, in der es am natürlichsten gewesen wäre, weil er mit ihr seine Universitätsstudien abschloß: den "Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte".


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