Entgegensetzung von Natur und Vernunft


In der Darstellung und Deduktion der Natur, wie sie im System des Naturrechts gegeben ist, zeigt sich die absolute Entgegensetzung der Natur und der Vernunft und die Herrschaft der Reflexion in ihrer ganzen Härte.

Das Vernunftwesen muß sich nämlich eine Sphäre für seine Freiheit bilden; diese Sphäre schreibt es sich zu; es ist aber diese Sphäre selbst nur im Gegensatz, nur insofern es sich ausschließend darein setzt, daß keine andere Person darin wähle; indem es sie sich zuschreibt, setzt es sie sich zugleich wesentlich entgegen. Das Subjekt — als das Absolute, in sich selbst Tätige und Sich-selbst-Bestimmende zum Denken eines Objekts - setzt die ihm zugehörige Sphäre seiner Freiheit außer sich und sich geschieden von ihr32), seine Beziehung auf dieselbe ist nur ein Haben. Der Grundcharakter der Natur ist, eine Welt des Organischen, ein absolut Entgegengesetztes zu sein; das Wesen der Natur ist ein atomistisches Totes, eine flüssigere oder zähere und haltbarere Materie33), die auf mannigfaltige Art gegenseitig Ursache und Wirkung ist. Der Begriff der Wechselwirkung mindert die völlige Entgegensetzung des bloß Ursächlichen und des bloß Bewirkten wenig; die Materie wird dadurch mannigfaltig gegenseitig modifikabel; aber selbst die Kraft zu dieser dürftigen Verbindung liegt außer ihr. Die Unabhängigkeit der Teile, vermöge welcher sie in sich selbst organische Ganze sein sollen, sowie die Abhängigkeit der Teile vom Ganzen ist die teleologische Abhängigkeit vom Begriff, denn die Artikulation34) ist gesetzt zum Behuf eines Anderen, des Vernunftwesens, das wesentlich von ihr geschieden ist. Luft, Licht usw. werden zur atomistischen bildsamen Materie, und zwar Materie hier überhaupt im gewöhnlichen Sinne, als schlechthin dem Sich-selbst-Setzenden entgegengesetzt.

Fichte kommt auf diese Art näher dazu, mit dem Gegensatz der Natur und der Freiheit fertigzuwerden und die Natur als ein absolut Bewirktes und Totes aufzuzeigen, als Kant; bei diesem ist die Natur gleichfalls gesetzt als ein absolut Bestimmtes. Weil sie aber nicht durch dasjenige, was bei Kant Verstand heißt, bestimmt gedacht werden kann, sondern ihre besonderen mannigfaltigen Erscheinungen durch unseren menschlichen diskursiven Verstand unbestimmt gelassen werden, so müssen sie durch einen anderen Verstand bestimmt gedacht werden, aber so, daß dies nur als Maxime unserer reflektierenden Urteilskraft gilt und nichts über die Wirklichkeit eines anderen Verstandes ausgemacht wird. Fichte bedarf dieses Umwegs, die Natur erst durch die Idee eines anderen aparten Verstandes, als der menschliche ist, zu einem Bestimmten werden zu lassen, nicht; sie ist es unmittelbar durch und für die Intelligenz. Diese beschränkt sich selbst absolut, und dies Sich-selbst-Beschränken ist aus Ich = Ich nicht abzuleiten, nur daraus zu deduzieren, d. h. seine Notwendigkeit aus der Mangelhaftigkeit des reinen Bewußtseins aufzuzeigen, und die Anschauung dieser ihrer absoluten Beschränktheit, der Negation, ist die objektive Natur.

Auffallender wegen der daraus sich ergebenden Konsequenzen wird dies Verhältnis der Abhängigkeit der Natur vom Begriff, die Entgegensetzung der Vernunft, in den beiden Systemen der Gemeinschaft der Menschen.

 

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32) Fichte, Grundlage des Naturrechts (1796), SW, Bd. III, S. 57 f.

33) Fichte, Grundlage des Naturrechts (1796), SW, Bd. III, S. 67 ff.

34) Fichte, Grundlage des Naturrechts (1796), SW, Bd. III, S. 61


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