III. Begriff des Kunstschönen


Nach diesen Vorerinnerungen treten wir nun unserem eigentlichen Gegenstande, der Philosophie des Kunstschönen, näher, und indem wir ihn wissenschaftlich zu behandeln unternehmen, haben wir mit dem Begriff desselben den Anfang zu machen. Erst wenn wir diesen Begriff festgestellt haben, können wir die Einteilung und damit den Plan des Ganzen der Wissenschaft darlegen; denn eine Einteilung, wenn sie nicht, wie es bei unphilosophischer Betrachtung geschieht, auf eine nur äußerliche Weise vorgenommen werden soll, muß ihr Prinzip in dem Begriff des Gegenstandes selbst finden.

 Bei solcher Forderung tritt uns sogleich die Frage entgegen, woher wir diesen Begriff entnehmen. Beginnen wir mit dem Begriffe des Kunstschönen selbst, so wird derselbe dadurch unmittelbar zu einer Voraussetzung und bloßen Annahme; bloße Annahmen jedoch läßt die philosophische Methode nicht zu, sondern was ihr gelten soll, dessen Wahrheit muß bewiesen, d. h. als notwendig aufgezeigt sein.

 Über diese Schwierigkeit, welche die Einleitung in jede selbständig für sich betrachtete philosophische Disziplin betrifft, wollen wir uns mit wenigen Worten verständigen.

 Bei dem Gegenstande jeder Wissenschaft kommt zunächst zweierlei in Betracht: erstens, daß ein solcher Gegenstand ist, und zweitens, was er ist.

 Über den ersten Punkt pflegt sich in den gewöhnlichen Wissenschaften wenig Schwierigkeit zu erheben. Ja, es könnte zunächst sogar lächerlich erscheinen, wenn sich die Forderung auftäte, es solle in der Astronomie und Physik bewiesen werden, daß es eine Sonne, Gestirne, magnetische Erscheinungen usw. gebe. In diesen Wissenschaften, die es mit sinnlich Vorhandenem zu tun haben, werden die Gegenstände aus der äußeren Erfahrung genommen, und statt sie zu beweisen, wird es für hinreichend gehalten, sie zu weisen. Doch schon innerhalb der nicht- philosophischen Disziplinen können Zweifel über das Sein ihrer Gegenstände aufkommen, wie z. B. in der Psychologie, der Lehre vom Geiste, der Zweifel, ob es eine Seele, einen Geist gibt,d. h. ein von dem Materiellen verschiedenes, für sich selbständiges Subjektives, oder in der Theologie, daß ein Gott ist. Wenn ferner die Gegenstände subjektiver Art, d. h. nur im Geiste und nicht als äußerlich sinnliche Objekte vorhanden sind, so wissen wir, im Geiste sei nur, was er durch seine Tätigkeit hervorgebracht hat. Hiermit tritt sogleich die Zufälligkeit ein, ob Menschen diese innere Vorstellung oder Anschauung in sich produziert haben oder nicht und, wenn auch das erstere wirklich der Fall ist, ob sie solche Vorstellung nicht auch wieder verschwinden gemacht oder dieselbe wenigstens zu einer bloß subjektiven Vorstellung herabgesetzt haben, deren Inhalt kein Sein an und für sich selbst zukomme; wie z. B. das Schöne häufig als nicht an und für sich in der Vorstellung notwendig, sondern als ein bloß subjektives Gefallen, ein nur zufälliger Sinn ist angesehen worden. Schon unsere äußeren Anschauungen, Beobachtungen und Wahrnehmungen sind oft täuschend und irrig, aber noch viel mehr sind es die inneren Vorstellungen, wenn sie auch die größte Lebendigkeit in sich haben und uns unwiderstehlich zur Leidenschaft fortreißen sollten.

  Jener Zweifel nun, ob ein Gegenstand der inneren Vorstellung und Anschauung überhaupt sei oder nicht, wie jene Zufälligkeit, ob das subjektive Bewußtsein ihn in sich erzeugt und ob die Art und Weise, wie es ihn vor sich gebracht, dem Gegenstande seinem Anundfürsichsein nach auch entsprechend sei, erregt im Menschen gerade das höhere wissenschaftliche Bedürfnis, welches fordert, daß, wenn es uns auch so vorkomme, als ob ein Gegenstand sei oder daß es einen solchen gebe, derselbe dennoch müsse seiner Notwendigkeit nach aufgezeigt oder bewiesen werden.

 Mit diesem Beweise, wird er wahrhaft wissenschaftlich entwickelt, ist sodann zugleich der anderen Frage, was ein Gegenstand sei, Genüge geleistet. Dies auseinanderzusetzen würde uns jedoch an diesem Orte zuweit führen, und es ist darüber nur folgendes anzudeuten.

 Wenn von unserem Gegenstande, dem Kunstschönen, die Notwendigkeit aufgezeigt werden soll, so wäre zu beweisen, daß die Kunst oder das Schöne ein Resultat von Vorhergehendem sei, das, seinem wahren Begriffe nach betrachtet, mit wissenschaftlicher Notwendigkeit zum Begriffe der schönen Kunst hinüberführt. Indem wir nun aber von der Kunst anfangen, ihren Begriff und dessen Realität, nicht aber das ihrem eigenen Begriff zufolge ihr Vorangehende in seinem Wesen abhandeln wollen, so hat die Kunst für uns als besonderer wissenschaftlicher Gegenstand eine Voraussetzung, die außerhalb unserer Betrachtung liegt und, als ein anderer Inhalt wissenschaftlich abgehandelt, einer anderen philosophischen Disziplin angehört. Es bleibt deshalb nichts übrig, als den Begriff der Kunst sozusagen lemmatisch aufzunehmen, was bei allen besonderen philosophischen Wissenschaften, wenn sie vereinzelt betrachtet werden sollen, der Fall ist. Denn erst die gesamte Philosophie ist die Erkenntnis des Universums als in sich eine organische Totalität, die sich aus ihrem eigenen Begriffe entwickelt und, in ihrer sich zu sich selbst verhaltenden Notwendigkeit zum Ganzen in sich zurückgehend, sich mit sich als eine Welt der Wahrheit zusammenschließt. In der Krone dieser wissenschaftlichen Notwendigkeit ist jeder einzelne Teil ebensosehr einerseits ein in sich zurückkehrender Kreis, als er andererseits zugleich einen notwendigen Zusammenhang mit anderen Gebieten hat, - ein Rückwärts, aus dem er sich herleitet, wie ein Vorwärts, zu dem er selbst in sich weitertreibt, insofern er fruchtbar Anderes wieder aus sich erzeugt und für die wissenschaftliche Erkenntnis hervorgehen läßt. Die Idee des Schönen also, mit der wir anfangen, zu beweisen, d. h. sie der Notwendigkeit nach aus den für die Wissenschaft vorangehenden Voraussetzungen herzuleiten, aus deren Schoße sie geboren wird, ist nicht unser gegenwärtiger Zweck, sondern das Geschäft einer enzyklopädischen Entwicklung der gesamten Philosophie und ihrer besonderen Disziplinen. Für uns ist der Begriff des Schönen und der Kunst eine durch das System der Philosophie gegebene Voraussetzung. Da wir aber dies System und den Zusammenhang der Kunst mit demselben hier nicht erörtern können, so haben wir den Begriff des Schönen noch nicht wissenschaftlich vor uns, sondern was für uns vorhanden ist, sind nur die Elemente und Seiten desselben, wie sie in den verschiedenen Vorstellungen vom Schönen und der Kunst schon im gewöhnlichen Bewußtsein sich vorfinden oder vormals gefaßt worden sind. Von hier aus wollen wir dann erst auf die gründlichere Betrachtung jener Ansichten übergehen, um dadurch den Vorteil zu erlangen, zunächst eine allgemeine Vorstellung von unserem Gegenstande sowie durch die kurze Kritik eine vorläufige Bekanntschaft mit den höheren Bestimmungen zu bewirken, mit welchen wir es in der Folge zu tun haben werden. In dieser Weise wird unsere letzte einleitende Betrachtung gleichsam das Einläuten zum Vortrage der Sache selbst vorstellen und eine allgemeine Sammlung und Richtung auf den eigentlichen Gegenstand bezwecken.

 



Inhalt:


Gewöhnliche Vorstellungen von der Kunst
Historische Deduktion des wahren Begriffs der Kunst


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