I. Begrenzung der Ästhetik und Widerlegung einiger Einwürfe gegen die Philosophie der Kunst

 

 Begrenzen wir uns nun aber vorläufig schon auf das Schöne der Kunst, so stoßen wir bereits bei diesem ersten Schritt sogleich auf neue Schwierigkeiten.

 Das erste nämlich, was uns beifallen kann, ist die Bedenklichkeit, ob sich auch die schöne Kunst einer wissenschaftlichen Behandlung würdig zeige. Denn das Schöne und die Kunst zieht sich wohl wie ein freundlicher Genius durch alle Geschäfte des Lebens und schmückt heiter alle äußeren und inneren Umgebungen, indem sie den Ernst der Verhältnisse, die Verwicklungen der Wirklichkeit mildert, die Müßigkeit auf eine unterhaltende Weise tilgt und, wo es nichts Gutes zu vollbringen gibt, die Stelle des Bösen wenigstens immer besser als das Böse einnimmt. Doch wenn sich die Kunst auch allenthalben, vom rohen Putze der Wilden an bis auf die Pracht der mit allem Reichtum gezierten Tempel, mit ihren gefälligen Formen einmischt, so scheinen dennoch diese Formen selbst außerhalb der wahrhaften Endzwecke des Lebens zu fallen, und wenn auch die Kunstgebilde diesen ernsten Zwecken nicht nachteilig werden, ja sie zuweilen selbst, wenigstens durch Abhalten des Üblen, zu befördern scheinen, so gehört doch die Kunst mehr der Remission, der Nachlassung des Geistes an, während die substantiellen Interessen vielmehr seiner Anstrengung bedürfen. Deshalb kann es den Anschein haben, als wenn das, was nicht für sich selbst ernster Natur ist, mit wissenschaftlichem Ernste behandeln zu wollen unangemessen und pedantisch sein würde. Auf allen Fall erscheint nach solcher Ansicht die Kunst als ein Überfluß, mag auch die Erweichung des Gemüts, welche die Beschäftigung mit der Schönheit bewirken kann, nicht eben als Verweichlichung nachteilig werden. Es hat in dieser Rücksicht vielfach nötig geschienen, die schönen Künste, von denen zugegeben wird, daß sie ein Luxus seien, in betreff auf ihr Verhältnis zur praktischen Notwendigkeit überhaupt, und näher zur Moralität und Frömmigkeit, in Schutz zu nehmen und, da ihre Unschädlichkeit nicht zu erweisen ist, es wenigstens glaublich zu machen, daß dieser Luxus des Geistes etwa eine größere Summe von Vorteilen gewähre als von Nachteilen. In dieser Hinsicht hat man der Kunst selbst ernste Zwecke zugeschrieben und sie vielfach als eine Vermittlerin zwischen Vernunft und Sinnlichkeit, zwischen Neigung und Pflicht, als eine Versöhnerin dieser in so hartem Kampf und Widerstreben aneinanderkommenden Elemente empfohlen. Aber man kann dafür halten, daß bei solchen zwar ernsteren Zwecken der Kunst Vernunft und Pflicht dennoch nichts durch jenen Versuch des Vermittelns gewönnen, weil sie eben ihrer Natur nach als unvermischbar sich solcher Transaktion nicht hergäben und dieselbe Reinheit forderten, welche sie in sich selbst haben. Und außerdem sei die Kunst auch hierdurch der wissenschaftlichen Erörterung nicht würdiger geworden, indem sie doch immer nach zwei Seiten hin diene und neben höheren Zwecken ebensosehr auch Müßigkeit und Frivolität befördere, ja überhaupt in diesem Dienste, statt für sich selber Zweck zu sein, nur als Mittel erscheinen könne. - Was endlich die Form dieses Mittels anbetrifft, so scheint es stets eine nachteilige Seite zu bleiben, daß, wenn die Kunst auch in der Tat ernsteren Zwecken sich unterwirft und ernstere Wirkungen hervorbringt, das Mittel, das sie selber hierzu gebraucht, die Täuschung ist. Denn das Schöne hat sein Leben in dem Scheine. Ein in sich selbst wahrhafter Endzweck aber, wird man leicht anerkennen, muß nicht durch Täuschung bewirkt werden, und wenn er auch durch dieselbe hie und da eine Förderung gewinnen kann, so mag dies doch nur auf beschränkte Weise der Fall sein; und selbst dann wird die Täuschung nicht für das rechte Mittel gelten können. Denn das Mittel soll der Würde des Zweckes entsprechend sein, und nicht der Schein und die Täuschung, sondern nur das Wahrhafte vermag das Wahrhafte zu erzeugen. Wie auch die Wissenschaft die wahrhaften Interessen des Geistes nach der wahrhaften Weise der Wirklichkeit und der wahrhaften Weise ihrer Vorstellung zu betrachten hat.

 In diesen Beziehungen kann es den Anschein nehmen, als sei die schöne Kunst einer wissenschaftlichen Betrachtung unwert, weil sie nur ein gefälliges Spiel bleibe und, wenn sie auch ernstere Zwecke verfolge, dennoch der Natur dieser Zwecke widerspreche, überhaupt aber nur im Dienste jenes Spiels wie dieses Ernstes stehe und sich zum Elemente ihres Daseins wie zum Mittel ihrer Wirkungen nur der Täuschung und des Scheins bedienen könne.

 Noch mehr aber zweitens kann es das Ansehen haben, daß, wenn sich auch die schöne Kunst überhaupt wohl philosophischen Reflexionen darbiete, sie dennoch für eigentlich wissenschaftliche Betrachtung kein angemessener Gegenstand wäre. Denn die Kunstschönheit stellt sich dem Sinne, der Empfindung, Anschauung, Einbildungskraft dar, sie hat ein anderes Gebiet als der Gedanke, und die Auffassung ihrer Tätigkeit und ihrer Produkte erfordert ein anderes Organ als das wissenschaftliche Denken. Ferner ist es gerade die Freiheit der Produktion und der Gestaltungen, welche wir in der Kunstschönheit genießen. Wir entfliehen, so scheint es, bei dem Hervorbringen wie beim Anschauen ihrer Gebilde jeder Fessel der Regel und des Geregelten; vor der Strenge des Gesetzmäßigen und der finsteren Innerlichkeit des Gedankens suchen wir Beruhigung und Belebung in den Gestalten der Kunst, gegen das Schattenreich der Idee heitere, kräftige Wirklichkeit. Endlich ist die Quelle der Kunstwerke die freie Tätigkeit der Phantasie, welche in ihren Einbildungen selbst freier als die Natur ist. Der Kunst steht nicht nur der ganze Reichtum der Naturgestaltungen in ihrem mannigfachen bunten Scheinen zu Gebot, sondern die schöpferische Einbildungskraft vermag sich darüber hinaus noch in eigenen Produktionen unerschöpflich zu ergehen. Bei dieser unermeßlichen Fülle der Phantasie und ihrer freien Produkte scheint der Gedanke den Mut verlieren zu müssen, dieselben vollständig vor sich zu bringen, zu beurteilen und sie unter seine allgemeine Formeln einzureihen.

 Die Wissenschaft dagegen, gibt man zu, habe es ihrer Form nach mit dem von der Masse der Einzelheiten abstrahierenden Denken zu tun, wodurch einerseits die Einbildungskraft und deren Zufall und Willkür, das Organ also der Kunsttätigkeit und des Kunstgenusses, von ihr ausgeschlossen bleibt. Andererseits, wenn die Kunst gerade die lichtlose dürre Trockenheit des Begriffs erheiternd belebe, seine Abstraktionen und Entzweiung mit der Wirklichkeit versöhne, den Begriff an der Wirklichkeit ergänze, so hebe ja eine nur denkende Betrachtung dies Mittel der Ergänzung selbst wieder auf, vernichte es und führe den Begriff auf seine wirklichkeitslose Einfachheit und schattenhafte Abstraktion wieder zurück. Ihrem Inhalte nach beschäftige sich ferner die Wissenschaft mit dem in sich selbst Notwendigen.Legt nun die Ästhetik das Naturschöne beiseite, so haben wir in dieser Rücksicht scheinbar nicht nur nichts gewonnen, sondern uns von dem Notwendigen vielmehr noch weiter entfernt. Denn der Ausdruck Natur gibt uns schon die Vorstellung von Notwendigkeit und Gesetzmäßigkeit, von einem Verhalten also, das der wissenschaftlichen Betrachtung näher zu sein und ihr sich darbieten zu können Hoffnung läßt. Im Geiste aber überhaupt, am meisten in der Einbildungskraft, scheint im Vergleich mit der Natur eigentümlich die Willkür und das Gesetzlose zu Hause, und dieses entzieht sich von selbst aller wissenschaftlichen Begründung.

 


 © textlog.de 2004 • 17.04.2024 00:28:30 •
Seite zuletzt aktualisiert: 14.09.2004 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright